Da ist immer ein Moment, der bleibt. Meist aus Kindertagen. Wie bei Dinah Hauser. Sie hat panische Angst vor der Spritze, seit sie fünf Jahre alt ist. Angefangen hat alles mit einer Blutentnahme, die nicht sofort klappen wollte. «Sechs Leute haben mich irgendwann festgehalten und haben versucht, Blut zu nehmen. Eine traumatische Erfahrung.»
Sie sei mittlerweile erwachsen, könne damit umgehen, sagt Hauser. «Aber ich kann heute noch nicht in ein Spital reingehen, ohne dass mir unwohl wird.» Lange Zeit habe sie sich beim Zahnarzt ohne Betäubung behandeln lassen, aus lauter Angst vor der Spritze.
Dinah Hauser ist dennoch doppelt gegen Corona geimpft. Der Weg dahin war aber alles andere als einfach: «Ich musste weinen, als sie mir die Spritze gaben. Zum Glück bin ich an sehr einfühlsames Impfpersonal geraten. Und ich habe mit den Jahren eine Atemtechnik erlernt, die meine Panik im Zaum hält, sodass ich nicht um mich schlage oder das Bewusstsein verliere.» Ihr Ziel: Blutspende. «Ich will mich konfrontieren, der Angst nicht die Kontrolle überlassen.»
Drei Prozent der Bevölkerung leiden unter einer Spritzenphobie, sagt die deutsche Angstforscherin Angelika Erhardt. Vor allem junge Erwachsene unter 30 seien betroffen, sagte sie gegenüber «Zeit online». Weil Angsterkrankungen im Alter eher abnehmen würden und der Mensch dann häufiger in Situationen gerät, in denen er sich auch mit Spritzen behandeln lassen muss.
Auch ist die Spritzenphobie kein verbreitetes Thema, wenn das Thema Impfung nicht gerade im Dauerlicht der Öffentlichkeit steht. Denn ist ein Mensch nicht chronisch krank, kommt er nur selten mit der Angstquelle in Berührung. Viele behandeln die Angst deshalb über Jahrzehnte nicht. Weil keine Dringlichkeit gegeben ist. Dabei ist eine echte Spritzenphobie mit grossem Leiden verbunden. Manche Menschen denken, sie müssten sterben, so stark ist die Angst.
Dabei lässt sich Spritzenphobie, die zu den Angsterkrankungen gehört, gut behandeln. Mit Hypnose beispielsweise oder einer Verhaltenstherapie. In Deutschland bietet das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München eine spezielle Kurzzeittherapie für Menschen mit Spritzenphobie an. In sechs Sitzungen wird der Patient mit Gesprächen, Spritzenbildern und echter Injektion angeleitet, die Angst zu überwinden.
In der Schweiz boten unter anderem die beiden Appenzeller Kantone Coronaimpfungen unter Hypnose an – und gerieten damit in die Schlagzeilen. Eine, die das Angebot annahm, ist die 20-jährige Leonie Ledergerber. Nach monatelangem Zögern. «Ich hätte mich viel früher mit der Coronaimpfung auseinandergesetzt, doch da war diese Mauer aus Angst», schildert sie ihr Empfinden.
«Wäre es eine Tablette, wäre es ein komplett anderes Thema gewesen.» Die Hypnose hat ihr geholfen. Ihr Tipp für Betroffene: sich die Zeit nehmen. Sich selbst und seine Ängste ernst nehmen. Und sich dann die Hilfe holen, die man braucht.
Neben Hypnose helfen auch Expositionstherapie oder EMDR, ein Verfahren, bei dem mit Hilfe von schnellen Augenbewegungen traumatische Erlebnisse besser integriert und überwunden werden können. Raimund Dörr, Psychotherapeut und ehemaliger Leiter des EMDR-Instituts Schweiz, sagt, es hätten viel mehr Menschen Angst vor der Spritze als allgemeinhin angenommen. Der Infektiologe Jan Fehr sagte gegenüber der «NZZ am Sonntag», man gehe davon aus, dass in der Schweiz jede sechste Person betroffen sei.
Eine Angst sei aber noch keine Phobie, sagt Dörr. Und doch sei auch bei Menschen unterhalb der Phobie-Grenze die Hemmschwelle höher, sich impfen zu lassen. Und das Leiden real. «Die Angst ist in der Regel an eine reale Erinnerung geknüpft, die als sehr belastend empfunden wurde», so Dörr. Ziel sei deshalb, die Gefühle, die an die Erinnerung geknüpft sind, abzuschwächen und die eigene Handlungsfähigkeit wieder in den Vordergrund zu rücken.
Das Problem an der Spritzenphobie: Viele Menschen haben keinen direkten, positiven Anreiz, etwas an ihrer Situation zu ändern. Eine Flugangst beispielsweise möchten viele überwinden, weil sie an den schönen Strand wollen, verreisen, etwas erleben. Die direkte «Belohnung» durch die Spritze bleibt aus. Es ist ähnlich wie beim Zahnarzt: Die positiven Effekte sind gross für die Gesundheit, doch eben nicht per se mit einem guten Sofort-Gefühl verbunden.
Die Befragten in diesem Text konnten sich überwinden, weil sie ihre Liebe zu anderen Menschen höher gewichten als ihre Angst. «Ich habe Menschen in meinem Umfeld, die in der Risikogruppe sind. Die Impfung ist für mich das kleinere Übel als ihre oder eine eigene Erkrankung», sagt Dinah Hauser.
Leonie Ledergerber hatte schon länger Ferien mit ihren Grosseltern geplant, dann kam die 2G-Regel. «Ich weiss nicht, wie lange mein Grossvater noch lebt, und ich habe dann einfach die anstehende Reise als Motivation genommen, um es hinter mich zu bringen», sagt sie.
Matthias von Wartburg war trotz Spritzenangst einer der Ersten, die sich impfen liessen. Für ihn sei das «ein Akt der Solidarität». Seine Angst hat sich eingeschlichen, als er als Kind in Bern spazierte und dabei Drogensüchtige im Gebüsch sah, die sich Heroin spritzten. Und dann kam noch der doppelte Schädelbruch, ein Unfall beim Segeln, auch als Kind, «ich musste im Spital jeden Morgen Blut geben. Ich habe mich aus Angst so versteift, es war immer ein Drama. Oft haben sie deshalb nicht getroffen.»
Er habe im Spital jede Nacht von Spritzen geträumt, sagt von Wartburg. Heute habe er das Glück, dass er die Angst zu grossen Teilen verdrängen kann. «Ich muss ruhig werden, ich muss gut atmen, ich muss es einfach geschehen lassen, dann stehe ich es durch. Die Erinnerung bleibt im Körper gespeichert. Doch heute bin ich erwachsen, und ich kann ändern, was mich belastet.»
Titel und Text passen nicht ganz zusammen.
Mir hilft es, das dem Personal einfach zu sagen: "Sie ich habe Angst vor Spritzen, also wundern Sie sich nicht..."
Dann geht das schon. Und das Personal kann damit gut umgehen.