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Gamechanger fürs Gehirn: Was neue Alzheimer-Therapien wirklich können

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Bei der Alzheimer-Krankheit sterben nach und nach Nervenzellen ab. bild: shutterstock

Gamechanger fürs Gehirn: Was neue Alzheimer-Therapien wirklich können

Alzheimer gilt noch immer als Krankheit, gegen welche die Medizin machtlos ist. Doch neue Daten machen Hoffnung im Kampf gegen das Vergessen. Und eine Studie fördert Kurioses zutage.
16.11.2025, 20:2416.11.2025, 20:24
Stephanie Schnydrig / ch media

Zu früh abgeschrieben?

Die Antikörper-Wirkstoffe gegen Alzheimer wie Lecanemab und Donanemab, die sich gegen die krankhaften Ablagerungen des Proteins Amyloid-beta richten, haben einen schweren Stand: zu teuer, zu starke Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und -blutungen bei zu wenig Nutzen, bemängeln Kritikerinnen und Kritiker. Während andere Länder die Therapie verwenden, ist sie in der Schweiz nach wie vor nicht zugelassen.

Neue Langzeitdaten könnten das Image von Lecanemab und Co. nun korrigieren. Daten von 1800 Studienteilnehmenden, die kürzlich an einem internationalen Alzheimerkongress vorgestellt worden sind, zeigen: Nach vier Jahren war die Krankheit bei behandelten Personen nur halb so weit vorangeschritten wie bei unbehandelten. Bei der Hälfte der Patienten mit Alzheimer im frühesten Stadion blieb das Gedächtnis stabil oder besserte sich sogar.

Das seien eindrückliche Resultate, die man bei Alzheimer lange kaum für möglich gehalten hätte, sagt der Neurologe Ansgar Felbecker, langjähriger Präsident der Swiss Memory Clinics. Zugleich mahnt er zur Vorsicht: «Die Daten stammen aus einem Konferenzvortrag. Sie müssen nun erst von unabhängigen Fachleuten begutachtet werden.»

Ein neues Transportmittel ins Gehirn

Ein Problem der bisherigen Antikörpertherapien ist, dass sie nicht in ausreichend hoher Dosis die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Diese Schranke schützt zwar das Gehirn vor schädlichen Substanzen, versperrt aber im Gegenzug auch heilenden Wirkstoffen den Weg. Die Pharmafirma Roche hat nun eine Lösung entwickelt: die Brainshuttle-Technologie. Diese nutzt den sogenannten Transferrinrezeptor, der normalerweise Eisen ins Gehirn transportiert. «Der Antikörper Trontinemab dockt ebenfalls an diesen Rezeptor an und nutzt ihn sozusagen als Taxi, um ins Gehirn zu gelangen», erklärt der Neurologe Luka Kulic, der die Forschung zu Trontinemab bei Roche leitet.

Die jüngsten Resultate aus der Phase-2-Studie zeigen, dass nach nur 28 Wochen 91 Prozent der behandelten Personen frei von Amyloid-Plaques waren. Das habe bislang keines der bisherigen Antikörpermedikamente erzielt, auch nicht nach deutlich längerer Zeit, so Kulic. Gleichzeitig gab es bei Trontinemab kaum schwere Nebenwirkungen. Derzeit ist eine Phase-3-Studie mit Patientinnen und Patienten im frühen Krankheitsstadium geplant – auch Schweizer Kliniken sollen sich daran beteiligen, unter anderem das Inselspital Bern, wo Ansgar Felbecker tätig ist. Er sagt: «Trontinemab könnte wirklich ein Gamechanger in der Alzheimer-Therapie sein, aber wir müssen die nächsten Studienergebnisse abwarten.»

Angriff gegen Tau

Während sich die bisher zugelassenen Therapien gegen Amyloid-Beta richten, zielen neuere Ansätze auf das zweite Schlüsselprotein der Krankheit: auf das Tau-Protein. Das Problem ist, dass sich dieses Protein zunächst innerhalb der Nervenzellen häuft, weshalb Wirkstoffe nur schwer herankommen.

Doch es gibt hoffnungsvolle Kandidaten: Ansgar Felbecker nennt etwa Wirkstoffe, die auf die mRNA von Tau zielen, um die Produktion des Proteins im Gehirn zu drosseln. Für ein solches Mittel der US-Firma Biogen startet nun die finale klinische Studienphase, die Phase 3.

Ein anderer Ansatz stammt aus Lausanne: Das Biotechunternehmen AC Immune hat eine aktive Immuntherapie entwickelt, die das körpereigene Immunsystem aktiviert, um Antikörper gegen krankhafte Tau-Proteine zu produzieren und somit dessen Ausbreitung zu stoppen. Die bisherigen Ergebnisse seien vielversprechend, sagt CEO Andrea Pfeifer. Bei den Studienteilnehmenden sank der Spiegel von pathologischem Tau im Blut. Nebenwirkungen wurden keine beobachtet. Allerdings war die Studie klein und umfasste erst 50 Personen. Die Resultate werden jetzt im grösseren Rahmen überprüft.

Bewegung bremst Alzheimer

Bewegung kann Alzheimer nicht nur vorbeugen, sondern den Verlauf sogar bremsen. Das zeigt eine kürzlich in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie mit älteren Menschen, die zwar noch keine Demenz hatten, aber bereits erhöhte Amyloidwerte im Gehirn aufwiesen. Über längere Zeit wurden ihre Aktivitäten mit Schrittzählern aufgezeichnet. Das Resultat: Wer sich mehr bewegte, baute geistig langsamer ab. Schon 3000 Schritte täglich reichten, um diesen Effekt zu erzielen, noch besser waren 5000 bis 7500 Schritte.

Körperliche Aktivität verbessert die Durchblutung des Gehirns, was die Nervenzellen schützt und das Gedächtnis stabilisiert.
Körperliche Aktivität verbessert die Durchblutung des Gehirns, was die Nervenzellen schützt und das Gedächtnis stabilisiert.Bild: Shutterstock

«Die Studie kommt zur richtigen Zeit», sagte Steffi Riedel-Heller vom Uniklinikum Leipzig gegenüber der Wissenschaftsredaktion des Science Media Center in Köln. «Während neue Antikörpertherapien erstmals den Krankheitsverlauf beeinflussen können, zeigt sich zugleich, dass Bewegung ein vergleichbar wirkungsvolles, sicheres und breit einsetzbares Mittel bleibt.» Künftige Forschung müsse prüfen, ob Bewegung die Wirkung von Therapien noch verstärken könnte.

Ein seltsamer Befund

Eine aktuelle Entdeckung wirft Fragen auf: In einer Studie mit 462 Personen allen Alters, inklusive Alzheimer-Betroffenen, fanden Forschende ausgerechnet im Blut von Neugeborenen auffällig hohe Werte des Alzheimer-Biomarkers pTau217. Der Spiegel dieses speziellen Tau-Proteins war bei den Babys sogar höher als bei Alzheimer-Erkrankten, allerdings ohne die Bildung von krankhaften Ablagerungen im Gehirn. Die Forschenden vermuten, dass ein bislang unbekannter Schutzmechanismus das Tau bei Neugeborenen ungefährlich macht – ein möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien.

Amedeo Caflisch, Professor für Strukturbiologie an der Universität Zürich, warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen: «Wir wissen nicht, ob und in welcher Form Tau wirklich toxisch ist oder ob das Protein lediglich eine harmlose Begleiterscheinung von Alzheimer ist.» Solange dies unklar sei, bleibe jede therapeutische Ableitung spekulativ. (aargauerzeitung.ch)

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