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Als die US-Serie «Holocaust» Deutschland veränderte

Mit dabei: die junge Meryl Streep.
Mit dabei: die junge Meryl Streep.bild: wikimedia

Als die US-Serie «Holocaust» Deutschland veränderte 

Vor 40 Jahren ging eine Serie um die Welt – «Holocaust». Nur in Deutschland gab es erbitterten Widerstand gegen die Ausstrahlung. Am Ende lief sie im Dritten Programm. Eine Dokumentation zeigt, was dann geschah.
11.01.2019, 21:40
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Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen, aber das Wort «Holocaust» war bis vor 40 Jahren in der deutschen Bevölkerung unbekannt. Erst mit der US-Serie dieses Namens, die ab 22. Januar 1979 erstmals ausgestrahlt wurde, etablierte sich der Begriff. Und erst mit «Holocaust» wurde der Völkermord an den Juden für Millionen Deutsche konkret. Viele Ältere, die noch selbst die Nazizeit miterlebt hatten, vergossen damals Tränen - nicht über reale Menschen, sondern über die fiktive Familie Weiss.

Der Ankauf der US-Serie war überaus umstritten – das dokumentiert jetzt der Film «Wie ‹Holocaust› ins Fernsehen kam», der am Montag, 14. Januar, im WDR und am Mittwoch, 16. Januar, im NDR und SWR gezeigt wird. Auch die Serie selbst wird derzeit wiederholt.

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Serie ging an DDR-Bürgern vorbei

«Diese Sendung ‹Holocaus› war nach meiner Erinnerung die umstrittenste Sendung, die der WDR je hatte», sagt Petra Witting-Nöthen, die das historische Archiv des Senders leitet. Der damalige WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach bekam Morddrohungen, auf zwei Sendemasten wurden Sprengstoffanschläge verübt.

Die Rechten ereiferten sich über die «Hetzserie», die Linken lehnten das «kommerzielle Hollywood-Melodrama» aus Amerika ab.

In der Politik, in der Presse und in der Bevölkerung - überall gab es Bedenken: Die Rechten ereiferten sich über die «Hetzserie», die Linken lehnten das «kommerzielle Hollywood-Melodrama» aus Amerika ab. Viele Intellektuelle waren der Meinung, dass man die Massenvernichtung überhaupt nicht in Unterhaltungsfilmen aufbereiten dürfe. Und deutsche Filmemacher äusserten sich abfällig über manche Kameraeinstellung.

«Stellen Sie sich mal vor: Die ganze Welt sendet es – aber die Deutschen haben ästhetische Bedenken», sagt der heute 90 Jahre alte Rohrbach. Eine Ausstrahlung in der ARD konnte aber auch er nicht durchsetzen – als Kompromiss landete die Serie in den Dritten Programmen, die sich dafür immerhin auf gemeinsame Sendetermine einigten. An den meisten DDR-Bürgern ging die Serie dadurch vorbei: Sie konnten nur ARD und ZDF empfangen.

Treffen der Schreibtischmörder: Die Teilnehmer an der Wannsee-Konferenz 1942

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Treffen der Schreibtischmörder: Die Teilnehmer an der Wannsee-Konferenz 1942
Die Villa in Berlin, in der die Wannsee-Konferenz stattfand. Am 20. Januar 1942 trafen sich hier 15 NS-Vertreter, um die «Endlösung der Judenfrage» zu planen. Kaum einer von ihnen wurde deswegen zur Rechenschaft gezogen. Heute ist das Haus eine Gedenk- und Bildungsstätte.
quelle: dpa dpa-zentralbild / z5466/_britta pedersen
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Die Geschichte aus der Opferperspektive

Als der Vierteiler erst einmal lief, entfaltete er sofort eine enorme Wirkung. Nach WDR-Angaben hat damals fast die Hälfte der Bundesdeutschen über 14 Jahren wenigstens einen Teil der Serie gesehen. «Es war ein gewaltiger Erfolg», erinnert sich Rohrbach, «und der Erfolg bestand aber in einem Entsetzen».

Deutsche Filmemacher und Schriftsteller fragten sich, warum ihnen keine vergleichbare Erschütterung gelungen war. Zumal «Holocaust» noch nicht einmal für das deutsche Publikum konzipiert war, sondern eben für amerikanische Zuschauer.

Die Antwort ist wohl: «Holocaust» erzählte das Geschehen einerseits aus der Opferperspektive. Das Leid von Millionen wurde in einem Einzelschicksal verdichtet – ähnlich wie dies auf andere Weise das «Tagebuch der Anne Frank» tut. Mit den Hauptfiguren der Serie konnte man sich identifizieren, es waren richtige deutsche Bildungsbürger mit Flügel und Goethe-Gesamtausgabe.

Dadurch dass jedoch gleichzeitig in einem zweiten Handlungsstrang die Karriere des Nazis Erik Dorf nachgezeichnet wurde, war es den Zuschauern, die selbst noch die Nazizeit erlebt hatten, nicht möglich, sich auch zum Opfer zu stilisieren.

«Wie erklären wir unseren Kindern, dass wir das nicht verhindert haben?»

Die Frage, wo man selbst gestanden hatte, war unausweichlich. Und so wollten denn auch viele Zuschauerinnen und Zuschauer in den anschliessenden Diskussionsrunden wissen: «Wie erklären wir unseren Kindern, dass wir das nicht verhindert haben?» Die Antwort darauf konnte ihnen kein Studioexperte geben.

Serie löste viel aus

Einer Umfrage zufolge zeigten sich nach der Ausstrahlung 64 Prozent der Zuschauer erschüttert, 22 Prozent gaben an, fast geweint zu haben. Das war für die damalige Zeit aussergewöhnlich, denn das Deutschland des Jahres 1979 war den Verbrechen noch sehr nahe.

Wenn man von dort noch einmal 40 Jahre zurückrechnet, befindet man sich im Jahr 1939. Wie die Filmemacherin Alice Agneskirchner recherchiert hat, schickten sogar viele ehemalige Wehrmachtssoldaten Fotos ein, die die Massenmorde während des Russlandfeldzugs dokumentierten.

«Erst durch diesen Film ist so etwas wie Erinnerungskultur in Deutschland entstanden», sagt der Direktor des NS-Dokumentationszentrums Köln, Werner Jung. Wenige Monate später entschied der Bundestag in einer Abstimmung, dass die Massenmorde aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht verjähren sollten. Die Mehrheit dafür war nur knapp: 255 zu 222. Man kann sich fragen, wie sie ohne die «Holocaust»-Serie ausgefallen wäre. (sda/dpa)

Auf Youtube kannst du die gesamte Serie anschauen:

Teil 3 und 4

Der berühmteste Wachmann der Welt entschuldigt sich

Video: srf
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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broccolino
11.01.2019 22:21registriert Februar 2014
Spannender Artikel! Ich hatte noch nie etwas von dieser Serie gehört und auch nicht gewusst, dass das Wort sich erst damit etablierte. Danke für diesen Text!
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Thomas Bollinger (1)
12.01.2019 02:10registriert Juli 2015
Ich war damals 14 - ich kann mich gut erinnern. Das erzählte Entsetzen wurde plötzlich zum unauslöschbaren Bild. Damals hatten wir vielleicht 4 oder 5 Fernsehsender, kein Internet, kaum farbig gedruckte Medien. Die Wirkung war enorm, jeder hats geschaut. Kann man sich heute fast nicht vorstellen, dass die Hälfte der Leute gleichzeitig das selbe zu Hause ansehen - und am nächsten Tag war es natürlich Tagesgespräch.
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Graviton
11.01.2019 22:18registriert Januar 2018
Leute... Ich hab‘ zu tun. Ihr könnt mir doch nicht einfach so mal über 6 Stunden Filmmaterial mit Kultstatus vor die Nase setzen. Echt ey.
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