Vor etwa 168'000 Jahren kollabierte ein blauer Gigant mit rund 17 Sonnenmassen in der Grossen Magellanschen Wolke, einer Satellitengalaxie unserer Milchstrasse. Der sterbende Stern, Sanduleak −69° 20, war Teil eines Dreifachsystems im Sternbild Schwertfisch. Erst im Februar 1987 erreichte das Licht seiner Explosion die Erde. Seither gehören die Überreste dieser Supernova – der erdnächsten seit Keplers Supernova von 1604 – zu den am häufigsten untersuchten astronomischen Objekten.
SN 1987A, wie die Supernova im astronomischen Jargon heisst, wurde also bereits von zahlreichen Teleskopen unter die Lupe genommen, darunter auch vom Weltraumteleskop Hubble. Nun hat auch dessen potenter Nachfolger, das James-Webb-Weltraumteleskop, auf die faszinierenden Überreste der kosmischen Katastrophe fokussiert. Und das James-Web-Teleskop wäre nicht das James-Webb-Teleskop, wenn es nicht etwas gefunden hätte, das zuvor noch nie beobachtet wurde.
Die neuen Beobachtungen der NIRCam (Nahinfrarotkamera) von Webb, schreibt die NASA, lieferten «einen entscheidenden Hinweis darauf, wie sich eine Supernova im Laufe der Zeit entwickelt und ihren Überrest formt».
Die bläuliche Region in der Mitte, die an ein Schlüsselloch erinnert, besteht aus klumpigen Gas- und Staubpartikeln, die bei der Supernova-Explosion ausgestossen wurden. Der Staub ist hier so dicht, dass selbst das Webb-Teleskop ihn mit seiner Infrarotkamera nicht durchdringen kann – daher das dunkle «Loch» im Schlüsselloch.
Auffallend ist der helle äquatoriale Ring, der die blaue Fläche umgibt und in dem sich heisse weisse Flecken befinden, die wie eine Perlenkette aussehen. Der Ring besteht aus Material, das etwa 20'000 Jahre vor der Explosion ausgestossen wurde. Die weissen Flecken – die «Perlen» – entstanden, als die Schockwelle der Supernova den Ring durchquerte. Die «Perlenkette» grenzt an zwei rötliche Arme, die sich in Form einer Sanduhr nach aussen erstrecken.
Diese Strukturen sind bereits bekannt – schon die Weltraumteleskope Hubble und Spitzer haben sie beobachtet. Was das Webb-Teleskop jedoch erstmals sichtbar gemacht hat, sind zum einen weisse Flecken auch ausserhalb des Rings, von denen diffuse Emissionen ausgehen. Auch sie entstanden durch die Wirkung der Schockwelle auf das vor der Explosion ausgestossene Material. Zum anderen – und dies ist die wichtigere Entdeckung – sind es die zwei schwach ausgeprägten «Halbmonde», die links und rechts des «Schlüsselochs» zu erkennen sind.
Die «Halbmonde» sind vermutlich Teil der äusseren Gasschichten, die von der Supernova-Explosion herausgeschleudert wurden. Die Astronomen wissen jedoch noch nicht genau, was sie da eigentlich sehen. Sie nehmen aber an, dass durch unseren Blickwinkel auf SN 1987A die Illusion erzeugt wird, im Inneren dieser halbmondförmigen Regionen befinde sich mehr Material, als tatsächlich der Fall ist.
Diese Beobachtungen verdanken sich der beispiellosen Auflösung des Webb-Teleskops. Das inzwischen ausrangierte Spitzer-Teleskop beobachtete SN 1987A im Infrarotbereich während fast seiner gesamten Betriebsdauer (2003–2020) und lieferte wertvolle Erkenntnisse, doch es erreichte mit seinem 60-mal kleineren Hauptspiegel nie die Präzision und Detailgenauigkeit des Webb-Teleskops. Das Hubble-Teleskop wiederum hat zwar eine hohe Auflösung, aber im Bereich des sichtbaren Lichts, das oft durch einen Schleier aus Staub und Gas behindert wird.
Obwohl SN 1987A seit beinahe 40 Jahren beobachtet wird, sind noch längst nicht alle seine Geheimnisse gelüftet. So nehmen die Astrophysiker zwar an, dass sich nach dem Kollaps des Vorgängersterns Sanduleak −69° 202 ein Neutronenstern bildete. Doch eine entsprechende Strahlungsquelle am Ort des Vorgängersterns konnte bisher weder im Bereich der Röntgenstrahlung noch der Radiostrahlung nachgewiesen werden, und dies gilt auch für den Bereich des sichtbaren Lichts.
So gibt es mehrere Hypothesen, die diese fehlende Strahlungsquelle zu erklären suchen – etwa jene, die annimmt, zurückgefallene Materie habe dem Neutronenstern ausreichend Masse verschafft, damit er sich in ein Schwarzes Loch umwandeln konnte. Eine andere postuliert, dass eine kalte Staubwolke die Strahlung des Neutronensterns absorbiere und damit dessen Nachweis verhindere. Das Webb-Teleskop wird SN 1987A auch weiterhin beobachten – und möglicherweise das Rätsel der seltsamen «Halbmonde» lösen, die es jetzt entdeckt hat. (dhr)