Wissen
Forschung

Monsterwellen gibt es tatsächlich – und sie könnten noch höher werden

Kein Seemannsgarn: Monsterwellen gibt es tatsächlich

23.01.2023, 20:0124.01.2023, 15:32
Daniel Huber
Folge mir
Mehr «Wissen»

Am 17. November 2020 peitschte ein Sturm im Pazifik vor Vancouver Island (Kanada) die See zu rund sechs Meter hohen Wellen auf – nichts Besonderes in dieser Region. Doch dann kam plötzlich eine einzige viel höhere Welle, eine sogenannte Monsterwelle. Wir wissen es, weil eine Boje, die sieben Kilometer vor dem Küstenort Ucluelet verankert war, von der Wasserwand um 17,6 Meter nach oben getragen wurde. Das entspricht beinahe der dreifachen Höhe der anderen Wellen und ist damit Rekord.

Die Ucluelet-Welle, deren wissenschaftliche Auswertung vor rund einem Jahr im Fachmagazin «Scientific Reports» veröffentlicht wurde, ist nicht die höchste jemals gemessene Welle, sondern die höchste bisher bekannte Extremwelle im Verhältnis zum umgebenden Seegang. Die höchste durch eine Boje ermittelte Welle wurde am 8. September 2019 vor der Küste Neufundlands in Kanada während des Hurrikans Dorian gemessen: Sie erreichte 30,7 Meter. Der Unterschied zu anderen Wellen war hier aber bedeutend geringer; mehrere davon waren etwa 25 Meter hoch.

Animation zur Ucluelet-Welle.Video: YouTube/ScienceAlert

Kaventsmann, Weisse Wand und Drei Schwestern

Während «Monsterwelle» in der Umgangssprache einfach eine sehr hohe Welle bezeichnet, ist sie für Ozeanografen – die eher von «Extremwellen» sprechen und auch die englischen Begriffe «Freak wave» oder «Rogue wave» verwenden – genauer definiert: Damit eine Welle eine Monsterwelle ist, muss sie die sogenannte signifikante Wellenhöhe (Hs) um das 2,2-fache überschreiten. Die signifikante Wellenhöhe ist ein Durchschnittswert, der über einen bestimmten Zeitraum – meist 20 Minuten – ermittelt wird, wobei nur die Werte eines Drittels der Wellen zur Berechnung herangezogen werden, und zwar des höchsten Drittels. Die höchste bisher gemessene signifikante Wellenhöhe liegt bei exakt 19 Metern, sie wurde im Nordatlantik zwischen Island und Grossbritannien gemessen.

Monsterwelle ist nicht gleich Monsterwelle. Die Ozeanografen unterscheiden drei verschiedene Typen:

  • Kaventsmann: eine einzelne, grosse, relativ schnelle und unförmige Welle, die nicht der Richtung des normalen Seegangs folgt.
  • Weisse Wand: eine Welle mit einer extrem steilen Vorderflanke, von deren Kamm die Gischt herabsprüht, gefolgt von einem tiefen Wellental. Sie kann eine Breite von bis zu zehn Kilometern oder mehr aufweisen.
  • Drei Schwestern: drei schnell aufeinanderfolgende grosse Wellen, in deren schmalen Tälern Schiffe nur mit Mühe den nötigen Auftrieb entwickeln können und so von der zweiten oder spätestens der dritten Woge überrollt werden. Unklar ist, ob Drei Schwestern tatsächlich immer aus genau drei Wellen bestehen oder ob es Varianten mit zwei, vier oder fünf Wellen gibt.
Monsterwelle, Rogue Wave
Extremwellen sind mindestens um das Doppelte höher als der umgebende Seegang. Bild: Shutterstock
Eine Monsterwelle ist kein Tsunami
Monsterwellen und Tsunamis unterscheiden sich. Tsunamis entstehen nicht durch Wind und das Zusammenspiel anderer Wellen, sondern durch ruckartige Wasserverdrängung, beispielsweise durch See- oder Erdbeben, durch die der Meeresboden sich plötzlich hebt oder senkt. Auch grosse Mengen von Gestein, die in den Ozean stürzen, können einen Tsunami verursachen (das kann auch in einem See geschehen, wie etwa im Genfersee).
Tsunamis sind zudem sehr lange Wellen, die auf dem offenen Meer hunderte Kilometer lang werden können und dadurch sehr schnell sind – bis zu 800 km/h.
Durch Wind aufgetürmte Wellen können etwa 120 km/h erreichen. Der Wellenberg eines Tsunamis wird auf offener See nur wenige Dutzend Zentimeter hoch; erst in flachen Küstengewässern (Tsunami bedeutet «Hafenwelle») wird der Tsunami abgebremst und türmt sich zu einer gewaltigen Welle auf, die weit ins Landesinnere läuft. Eine Monsterwelle fällt dagegen schnell zusammen, sobald sie auf Land trifft.

Der Beweis: Die Draupner-Welle

Monsterwellen, die anscheinend aus dem Nichts entstehen, galten lange Zeit als Seemannsgarn. Es gab jedoch Indizien, dass sie tatsächlich existieren. So verschwand beispielsweise der moderne, 261 Meter lange Frachter «München» 1978 mit 28 Mann Besatzung im Nordatlantik – beinahe spurlos. Doch ein leeres Rettungsboot, das gefunden wurde, zeigte Spuren einer massiven Kraft, die seine Aufhängung verformt hatte. Das Boot war augenscheinlich von einer Welle getroffen worden, während es noch am Schiff hing – in 20 Metern Höhe. 1982 sank die damals grösste Bohrinsel «Ocean Ranger», die als unsinkbar galt. Alle 84 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Auch hier wird als Ursache eine Monsterwelle vermutet.

1981 photo of the Odeco Ocean Ranger Oil Rig, off Newfoundland, Canada. (AP Photo) BEST QUALITY AVAILABLE
Die Ölplattform Ocean Ranger im Nordwest-Atlantik sank im Februar 1982 während eines Sturms.Bild: AP NY

Den definitiven Beweis lieferte dann am Neujahrstag 1995 die sogenannte Draupner-Welle. Sie ist nach der Ölbohrplattform «Draupner E» benannt, die sich etwa 160 Kilometer südwestlich der Südspitze Norwegens in der Nordsee befindet. Die Plattform war mit – für die damalige Zeit – modernen Messinstrumenten zur Ermittlung der Wellenhöhe ausgestattet. Während Stunden betrug die dort gemessene signifikante Wellenhöhe etwa 12 Meter, doch eine einzelne Welle erreichte 25,6 Meter – mehr als die doppelte signifikante Wellenhöhe. Schäden an der Bohrinsel in entsprechender Höhe zeigten zweifelsfrei, dass es sich nicht um einen Messfehler handeln konnte.

Die Messkurve der Draupner-Welle vom 1. Januar 1995 auf der �lbohrplattform Draupner E in der zentralen Nordsee. Um 16 Uhr mitteleurop�ischer Zeit begann die Messung. Die H�hen sind nicht von Wellenta ...
Messkurve der Draupner-Welle vom 1. Januar 1995 auf der Ölbohrplattform Draupner E. Die Höhen sind nicht von Wellental zu -kamm erfasst, sondern vom mittleren Meeresspiegel zum Wellenkamm.Grafik: Ingvald Straume

Einen weiteren Beweis lieferte noch im selben Jahr die «Queen Elizabeth 2». Der britische Luxusliner, der auf dem Weg von Cherbourg nach New York war, wurde am 11. September über der Neufundlandbank von einer 33 Meter hohen Monsterwelle getroffen. «Es sah aus, als steuerten wir auf die weissen Kliffs von Dover zu», erinnerte sich Kapitän Ronald Warwick, der sagte, er habe in seinem ganzen Leben noch nie eine so hohe Welle gesehen. Die Welle zerschlug die Fenster des 22 Meter über dem Wasser liegenden grossen Salons. Das 293,5 Meter lange und 32 Meter breite Schiff überstand den Aufprall der Wasserwand und blieb fahrtüchtig, war aber schwer beschädigt und musste generalüberholt werden.

Queen Elizabeth 2
Der britische Luxusliner «Queen Elizabeth 2» überstand 1995 den Aufprall einer gigantischen Monsterwelle. Bild: Shutterstock

Verschiedene Erklärmodelle

Danach begann die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens, und seither hat man mehrere dieser gewaltigen Wellen registriert. Sie entwickeln zerstörerische Kräfte: Wenn eine Welle bricht und das Wasser auf ein Schiffsdeck stürzt, wiegt jeder Kubikmeter eine Tonne. Es ist dann so, als ob mehrere Kleinwagen zugleich auf das Schiffsdeck aufprallen. Jedes Jahr gehen im Schnitt schätzungsweise zehn Schiffe der 200-Meter-Klasse durch Seeschlag verloren, einige davon höchstwahrscheinlich aufgrund einer Monsterwelle.

Wie aber entstehen solche Monsterwellen? Ozeanografen haben verschiedene Modelle zur Erklärung von Extremwellen entwickelt:

  • «Huckepack-Modell»: Schnellere Wellen holen langsamere ein und addieren sich zu einer Monsterwelle.
  • «Kreuzseen-Modell»: Durch Wind aufgepeitschte Wellen aus verschiedenen Richtungen treffen aufeinander und türmen sich auf.
  • «Strömungs-Modell»: Meeresströmungen drücken Wellen bei entgegengesetztem Wind zu steilen Bergen zusammen.
  • Nicht-lineare Modelle: Instabilitäten in den Wellenzügen schaukeln sich chaotisch auf, wenn Frequenzen und Wellenlängen in bestimmter Relation zueinander stehen. Dabei führen Resonanzeffekte zu einem exponentiellen Anstieg der Wellenhöhe. Die dafür notwendige Energie wird umliegenden Wellen entzogen, die dadurch an Höhe verlieren.
Modell der Überlagerung von Wellen, hier am Beispiel von Wellen mit derselben Laufrichtung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Monsterwelle#/media/Datei:Freakwave.png
Darstellung des Huckepack-Modells (Überlagerung von Wellen derselben Laufrichtung). Grafik: Wikimedia

Die Bedrohung der Schifffahrt durch Monsterwellen könnte sich in Zukunft noch akzentuieren: Mehrere neuere Studien kommen zum Schluss, dass die Klimaerwärmung, die dem Wettersystem mehr Energie zuführt, zu höheren Wellen führen wird. Die Monsterwelle von Ucluelet könnte ihren Rang als Rekordhalter womöglich bald einbüssen.

BBC Horizon Dok: Freak Wave.Video: YouTube/UK VHS Video Oddities

Unberechenbar und gefährlich: Das sind die berüchtigten «Sneaker Waves»

Video: watson/Fabian Welsch
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So schön ist Unterwasserfotografie
1 / 29
So schön ist Unterwasserfotografie
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Touristen-Schnellboot wird vor Bali von Welle getroffen und sinkt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
20 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Dave1974
24.01.2023 07:48registriert April 2020
Schon deprimierend für eine 30m-Welle, wenn sie nicht als besonders gilt, nur weil drumrum 25m-Wellen toben. :)

Bis zur Draupner-Welle 1995 glaubte man noch nicht mal an Wellen auf offener See, die höher als um die 15m werden. Physik und so.
241
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bauchgrinsler
23.01.2023 23:38registriert Mai 2021
Aber leider steht nichts zu Dauerwellen. Ist wohl vergessen worden.
2819
Melden
Zum Kommentar
20
5583 Franken pro Tag spuckt dieser Vulkan in Form von Goldpartikeln aus

Der Mount Erebus in der Antarktis ist der südlichste aktive Vulkan der Welt. Er ist 3794 Meter hoch und befindet sich auf Ross Island. In seinem Krater brodelt seit Jahrzehnten ein Lavasee vor sich hin – aber das ist nicht das Einzige, was ihn so besonders macht.

Zur Story