Wie schwer ist ein Kilogramm? Was widersinnig klingt, ist in der Tat eine sehr berechtigte Frage. Eine Frage, über die sich Fachleute schon seit Jahren den Kopf zerbrechen. Die Sache ist nämlich die: Noch gilt zwar ein Zylinder aus Platin-Iridium im Internationalen Büro für Mass und Gewicht (BIPM) im Pariser Vorort Sèvres als das Mass aller Dinge – soweit sie das Kilogramm betreffen.
Aber das sorgsam unter drei Glasglocken in einem Tresor verwahrte Metallstück, 39 Millimeter Höhe auf 39 Millimeter Durchmesser, ist nicht mehr zeitgemäss. Das sogenannte Ur-Kilogramm definiert die Masseinheit der Masse nun schon seit 129 Jahren. Es ist allerdings nicht das Alter des Zylinders, das die Metrologen – jene Zunft der Wissenschaftler, die sich mit dem Messen befasst – betrübt.
Vielmehr sind es zwei Dinge: Zum einen schrumpft das Ur-Kilogramm. Im Laufe der Jahre ist es um einige dutzend Mikrogramm leichter geworden, wie Vergleichsmessungen mit Kopien des Ur-Kilogramms zeigen. Zum andern ist es der Umstand, dass die anderen Basis-Masseinheiten des internationalen Einheitensystems (SI) durch Bezug auf Naturkonstanten definiert sind. Deshalb können sie durch Laborexperimente hergestellt und weitergegeben werden – und sind überall auf der Welt nachprüfbar. Das soll nun endlich auch bei der Masse möglich werden.
Heute, am 16. November 2018, wird das System des Messens auf der Generalkonferenz für Mass und Gewicht neu geordnet. Wissenschaftler aus 60 Ländern haben über ein neues Einheitensystem abgestimmt – denn die Neudefinition des Kilogramms berührt auch die Definition von Ampere (Stromstärke) und Mol (chemische Stoffmenge). Auch die bestehende Definition der Basis-Einheit für Temperatur – also des Kelvins – wird dabei angepasst.
Das Ur-Kilogramm hat also ausgedient; am 20. Mai 2019 – dem Weltmetrologietag – soll das neue Einheitensystem in Kraft treten. Die Einheiten für Zeit (Sekunde), Distanz (Meter) und Lichtintensität (Candela) sind bereits über Naturkonstanten definiert. Solche Naturkonstanten sind beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit (c), die Ladung eines Elektrons (e) oder das sogenannte Plancksche Wirkungsquantum (h).
Die Planck-Konstante beschreibt das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Photons; ihre Einheit setzt sich aus Meter, Sekunde und Kilogramm zusammen. Da Meter und Sekunde bereits über Naturkonstanten definiert sind, lässt sich über die Planck-Konstante auch das Kilogramm ableiten.
Zur exakten Bestimmung der Planck-Konstante gibt es zwei Verfahren, die künftig den metrologischen Instituten der Länder zur Verfügung stehen, um die Masse des Kilogramms zu bestimmen. Die eine Methode nutzt die Masse von Siliziumatomen als Ausgangspunkt, die andere, die auch am Eidgenössischen Institut für Metrologie Metas zum Einsatz kommt, beruht auf der Watt-Waage, einem hochkomplexen Messinstrument.
Die Watt-Waage arbeitet mit einem präzisen Vergleich von mechanischer und elektrischer Leistung, der das Kilogramm über elektrische Einheiten mit der Planckschen Konstante in Beziehung setzt. Auf einer Seite der Watt-Waage befindet sich ein Gewicht von einem Kilo und auf der anderen eine Spule, durch die Strom fliesst. Das daraus entstehende Magnetfeld zieht die Spule nach unten. Gemessen wird dann die Spannung und Stromstärke, die nötig ist, um die Waage im Gleichgewicht zu halten. Dabei müssen winzigste Einflüsse von aussen berücksichtigt werden – beim Metas beispielsweise der Pegel der nahen Aare.
Angesichts derart extremer Feinheiten der Justierung ist evident, dass sich für die Normalsterblichen ausserhalb der naturwissenschaftlichen Gemeinde in der Praxis nichts ändern wird – eine neue Waage wird deshalb niemand kaufen müssen. Das heisst allerdings keineswegs, dass die Neudefinition eine rein akademische Übung ist, die sich auf unseren Alltag nicht auswirken wird.
Verbesserte Einheiten erlauben genauere Messungen. Sie sind damit eine Voraussetzung für wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt. Wissenschaften, in denen präzise Berechnungen notwendig sind, werden davon profitieren. Im Alltag nutzen wir bereits Anwendungen wie das GPS, die ohne präzise Messungen mithilfe von modernen Atomuhren nicht denkbar wären. Auch wenn die Sekunde sich durch ihre Neudefinition 1967 für uns nicht wahrnehmbar verändert hat, hat sich unsere Lebenswelt dadurch deutlich verändert.
(Mit Material der Nachrichtenagentur SDA)