Chemtrails? Nein. Aber Kondensstreifen sind klimaschädlicher, als du denkst
Die Kondensstreifen, die Flugzeuge am Himmel hinter sich nachzuziehen scheinen, entstehen in grosser Höhe, wenn heisse, feuchte Abgase mit eiskalter Luft in Kontakt kommen. Der Wasserdampf in den Abgasen kondensiert oder gefriert fast sofort, wodurch kleine Eiskristalle entstehen, die das Sonnenlicht reflektieren und den Streifen sichtbar machen. Manche Leute halten die Streifen für Chemtrails, durch die bösartige Mächte angeblich schädliche Chemikalien in der Atmosphäre versprühen. Kondensstreifen sind jedoch völlig harmlos.
Oder eben doch nicht ganz. Bekannt ist schon längst, dass die Streifen längere Zeit bestehen bleiben, wenn die Luft in Flughöhe feucht genug ist. Sie dehnen sich dann langsam zu dünnen, hohen Schleierwolken aus – sogenannten anthropogenen Cirren. Diese künstlichen Zirruswolken lassen Sonnenlicht teilweise durch, halten jedoch die von der Erdoberfläche reflektierte Wärmestrahlung zurück, wirken also ähnlich wie Treibhausgase. Wie stark sie das Klima beeinflussen, war bisher jedoch nicht klar.
Erheblicher Einfluss
In letzter Zeit haben nun mehrere Studien den Einfluss der Kondensstreifen auf den Klimawandel untersucht. Sie zeigen alle, dass er erheblich ist. Frühere Modelle haben dagegen besonders die «versteckten» Kondensstreifen – jene die sich in bereits bestehenden Wolken bilden – übersehen.
Ein Forschungsteam um Andreas Petzold vom Forschungszentrum Jülich hat Messdaten von normalen Passagierflugzeugen im Zeitraum von 2014 bis 2021 analysiert und mit Wetterdaten verglichen. Die im Fachjournal Nature Communications veröffentlichte Studie kommt zum Schluss, dass sich 80 Prozent aller langlebigen Kondensstreifen nicht – wie zuvor angenommen – im wolkenfreien Himmel, sondern in bereits bestehenden Eiswolken bilden. Über dem Nordatlantik und den nördlichen Mittelbreiten liegt der Anteil sogar bei rund 90 Prozent.
Tageszeit ist entscheidend
Ein Team um Torsten Seelig von der Universität Leipzig wertete Satellitendaten des CALIPSO-Lidars und Flugbahnen aus. In ihrer ebenfalls in Nature Communications publizierten Studie zeigen die Wissenschaftler, dass die Tageszeit entscheidend für den Klimaeffekt von in Wolken «versteckten» Kondensstreifen ist. Tagsüber haben Durchflüge von Flugzeugen durch Zirruswolken eher eine abkühlende Wirkung. Sie machen die Wolken heller, dadurch reflektieren diese mehr Sonnenstrahlung. Nachts jedoch kehrt sich dieser Effekt um: Durchflüge durch Zirruswolken haben dann einen stark erwärmenden Effekt.
«Dieser dominiert den Gesamteffekt und führt daher zu einer Netto-Erwärmung», so das Team. Was dies hochgerechnet auf die ganze Welt bedeutet, haben die Forscher mithilfe eines Klimamodells ermittelt. Demnach trägt der Effekt der «versteckten» Kondensstreifen rund zehn Prozent zur gesamten geschätzten Klimawirkung des Flugverkehrs bei.
Knapp 40 Prozent der Flüge
In der dritten, ebenfalls in Nature Communications veröffentlichten Studie zeigen Forscher unter anderem vom Imperial College London, dass sowohl CO₂-Emissionen als auch die Bildung von Kondensstreifen zum Klimawandel durch den Luftverkehr beitragen. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten variieren jedoch stark, abhängig von Wetterbedingungen und Routenwahl. Etwa 38 Prozent der Flüge verursachen laut der Studie Kondensstreifen, die einen Erwärmungseffekt haben.
Durch die Optimierung der Flugstrecken kann dieser Anteil jedoch erheblich reduziert werden. Dies geht aus einer Analyse von fast einer halben Million Flügen über den Nordatlantik hervor. Anhand umfangreicher Flugdaten und meteorologischer Daten konnten die Forscher die Klima- und gesellschaftlichen Kosten entweder den Kondensstreifen oder den Abgasen selbst zuordnen.
Kursanpassungen und alternative Treibstoffe
Aus klimatischer Sicht ist es vorteilhaft, die Bildung von Kondensstreifen bei fast allen diesen Flügen durch kleine Kursanpassungen zu reduzieren, um die Bildung der Streifen zu vermeiden, auch wenn dies zu etwas höheren CO₂-Emissionen führt.
Neben der optimierten Routenplanung könnten auch alternative Treibstoffe mit weniger Russpartikeln die Bildung von Kondensstreifen reduzieren. Denn Russpartikel aus dem Flugzeugabgas dienen als Kristallisationskeime für Eiskristalle: Weniger Russ bedeutet potenziell weniger Kondensstreifen. (dhr)
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