Mindestens so viel Wasser wie in sämtlichen Ozeanen der Erde zusammengenommen befindet sich unter unseren Füssen, in hunderten von Kilometern Tiefe. Das Wasser dieses riesigen «Ozeans» schwappt aber nicht flüssig hin und her, sondern ist im Stein gebunden – ein steinernes Meer gewissermassen.
Die Meldung ist nicht taufrisch. Schon 2014 erschien im Wissenschaftsmagazin Nature eine Studie, die erstmals das Vorhandensein von Wasser in diesen Tiefen nachwies. Damals gelang es den Forschern erstmals, in einem kleinen Diamanten aus der Übergangszone zwischen dem oberen und dem unteren Erdmantel in 410 bis 660 Kilometern Tiefe wasserhaltiges Ringwoodit zu finden. Solche Einschlüsse im Diamanten entstehen dort, wo der Kristall gebildet wurde; sie können damit Mineralien aus der Tiefe der Erde konservieren.
Ringwoodit, ein dicht gepacktes Mineral, das zuvor nur von Meteoriten bekannt war, kann grosse Mengen Wasser speichern. Der untersuchte Diamant war jedoch zu klein, um seine chemische Zusammensetzung zu untersuchen. Da sich das Umfeld, aus dem der Diamant stammte, also nicht bestimmen liess, waren die Ergebnisse nicht repräsentativ für den durchschnittlichen Erdmantel.
Im vergangenen September konnte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Tingting Gu den Befund jedoch endgültig bestätigen. Die neue Studie analysierte einen wesentlich grösseren Diamanten aus Botswana, der aus 660 Kilometern Tiefe – direkt aus der Kontaktzone zwischen Übergangsbereich und unterem Erdmantel – stammt. Diamanten aus dieser Tiefe sind äusserst rar, sogar bei jenen ohnehin schon seltenen «supertiefen» Edelsteinen, die lediglich ein Prozent der Diamanten ausmachen. In dieser Kontaktzone ist Ringwoodit das vorherrschende Mineral.
Das Forschungsteam untersuchte mithilfe von lasergestützter Raman-Spektroskopie und FTIR-Spektrometrie sowohl den Wassergehalt wie die chemische Zusammensetzung des Diamanten. Tatsächlich enthält der Diamant Ringwoodit-Einschlüsse, die wiederum einen hohen Wassergehalt aufweisen. Die chemische Zusammensetzung gab Aufschluss über die Herkunft des Diamanten: Er stammt aus einem durchschnittlichen Stück Erdmantel, was den Schluss erlaubt, dass die Wassereinschlüsse repräsentativ für diese gesamte Schicht sind. «Wir haben mit dieser Studie nachgewiesen, dass die Übergangszone kein trockener Schwamm ist, sondern erhebliche Mengen Wasser speichert», erklärt der an der Studie beteiligte Geologe Frank Brenker vom Institut für Geowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt.
Diese Gesteinsschicht aus Ringwoodit und Wadsleyit könnte enorme Mengen von Wasser speichern: Im Maximum mehr als sechsmal so viel, wie in den Ozeanen an der Erdoberfläche vorhanden ist. Der Wasserkreislauf der Erde, der auch unterirdische Wasservorkommen umfasst, ist damit bedeutend umfangreicher als bisher angenommen. Dass Wasser in solche Tiefen und in die Übergangszone gelangt, liegt an der Plattentektonik. Immer wieder tauchen Erdplatten ab, wobei auch Tiefseesedimente mit ins Erdinnere transportiert werden. Diese Sedimente enthalten grosse Mengen an Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO₂).
Die Bewegung der Platten Richtung Erdinneres wird durch die Umwandlung des im oberen Erdmantel vorherrschenden Minerals Olivin in tieferen Schichten (siehe Infobox) gebremst oder gestoppt. «Abtauchende Platten haben oft Schwierigkeiten, die Übergangszone komplett zu durchdringen. So kommt es, dass unter Europa ein ganzer Friedhof solcher Platten in dieser Zone herumliegt» stellt Brenker fest.
Die bremsende Wirkung der Übergangszone für Gesteinsbewegungen gilt auch in der umgekehrten Richtung, also von unten nach oben. So kann es vorkommen, dass sogenannte Mantel-Plumes – das sind aufsteigende Ströme heissen Gesteins aus dem tiefen Erdmantel – an der Unterseite der Übergangszone gestoppt werden. Wasserhaltige Mantel-Plumes beginnen überdies bereits in der Übergangszone zu schmelzen, und nicht erst kurz vor der Erdoberfläche. Der hohe Wassergehalt macht den Erdmantel weicher und dynamischer. Dies wirkt sich wiederum auf die Plattentektonik aus – die Folge ist, dass sich die Platten stärker bewegen und dadurch auch öfter in die Übergangszone abtauchen. Man kann hier von einem Kreislauf der Gesteine sprechen. (dhr)