Wir starten mit einer Frage.
Sagen wir doch. Kein Mensch kennt die Globe Air. Dabei war sie die Sternschnuppe der Schweizer Aviatik-Geschichte: dramatisch, grell und schnell verglüht. (Und am Schluss ging ein Wunsch in Erfüllung.) Aber der Reihe nach.
Schweizer Luftfahrt, das bedeutete 1961: Swissair. Für Linienflüge hatte sie ein gesetzlich verbrieftes Monopol, den Markt für Charterflüge dominierte sie über ihre Tochter, die Balair (Kleine Klammer: Linien-Airlines flogen nach Fahrplan, Charter-Gesellschaften nur bei grosser Nachfrage. Ihre Tickets verkauften sie en bloc an Reisebüros, was eine hohe Auslastung garantierte).
Dem Schweizerischen Luftamt (heute BAZL) war das Swissair/Balair-Duopol recht, die Behörde hielt Konkurrenzkämpfe für schädlich. Dann brachte die Globe Air Leben in die Bude.
Die Chartergesellschaft des Investors Peter Staechelin startete 1961 und expandierte mit horrendem Tempo. Schon 1964 transportierte sie mehr Passagiere als ihre direkte Konkurrentin Balair. Und sie bot nicht nur Ferienflüge ans Mittelmeer an, zumindest sporadisch bediente sie auch kleinere Flughäfen wie Interlaken, Lugano, Sitten, Samedan oder Bern. Ab Bern wollte die Globe Air gar regelmässig fliegen, aber Swissair und Balair blockten das Vorhaben ab und das Luftamt verweigerte die Konzession.
Ab 1964 bot die Globe Air Langstreckenflüge an, 1965 gründete sie einen Ableger in Uganda, aber die aggressive Wachstumsstrategie sorgte spätestens 1966 für Probleme. Die Globe Air schloss zu viele Verträge ab und berechnete zu wenig Zeit für die Wartung ihrer neusten Maschinen. Manche Flüge fielen aus, für andere musste die Globe Air zusätzliche Kapazitäten mieten. Für die Passagiere häuften sich Verspätungen und Ausfälle. Und mit der Gründung eines eigenen Reisebüros stiess die Airline auch noch ihre wichtigsten Partner vor den Kopf.
Aber das waren nicht die einzigen Probleme: Schlecht für den Ruf war zudem, dass die Globe-Air-Spitze immer wieder jähzornig auftrat, allerlei Komplotte witterte und kritische Journalisten mit Ehrverletzungsklagen eindeckte. Auch gegenüber den eigenen Angestellten verhielt sich die Firma nicht immer korrekt. Aussergewöhnlich viele verliessen die Globe Air im Streit.
Ende 1966 war die Airline finanziell angeschlagen und dann, am 20. April 1967, geschah auch noch ein Unglück. Eine vollbesetzte «Britannia» prallte bei Nicosia (Zypern) gegen einen Hügel. Nur vier Personen überlebten.
Untersuchungen zeigten, dass der Pilot schon seit 17½ Stunden am Steuer gesessen hatte, aber nicht abgelöst werden konnte, weil der Co-Pilot nicht über die nötigen Papiere verfügte, um die Maschine zu lenken. In Deutschland wurde ein Flugverbot gegen die Globe Air verhängt und das Schweizer Luftamt erwirkte per Ultimatum die Entlassung des kaufmännischen Direktors und Verwaltungsratsdelegierten. Es war der Anfang vom Ende. Die Kunden wandten sich ab, die geplante Umstellung auf Jet-Flugzeuge musste aufgegeben werden und am 17. Oktober 1967 suspendierte das Luftamt die Betriebsbewilligung. Zwei Tage später ging die Globe Air in Konkurs.
Jetzt erst stellte sich heraus, dass die Buchhaltung ausserordentlich kreativ geführt worden war. Seit 1963 waren die Bilanzen systematisch gefälscht worden: Statt eines Verlusts von 13.2 Millionen Franken hatten sie Gewinne von 0.9 Millionen ausgewiesen. Schulden waren als Beteiligungen und Pensionskassengelder als Landegebühren aufgeführt worden. Zudem flog die Airline wiederholt bis zu 25 Prozent unter ihren Selbstkosten. Das Nachsehen hatten zahlreiche Kleinaktionäre, die mit der Hoffnung auf verbilligte Flüge und gute Renditen an der rasanten Erhöhung des Aktienkapitals teilgenommen hatten. Die Richter verurteilten den Direktor sowie den Buchhalter wegen Urkundenfälschung und Betrug.
Bis hierhin ist die Geschichte der Globe Air gar nicht so besonders, Pleiten gehören zu einem Business, von dem Richard Branson mal gesagt hat «der sicherste Weg um Millionär zu werden ist, als Milliardär anzufangen und sich eine Airline zu kaufen». Aber der Globe-Air-Konkurs hatte ein ungewöhnliches Nachspiel.
Um die Forderungen seiner Gläubiger zu decken, verkaufte Investor Staechelin Bilder von Cézanne, Monet, Sisley und van Gogh aus seiner Privatsammlung. Zuletzt hätten auch zwei Picasso-Bilder verkauft werden sollen, welche bislang als Leihgaben im Basler Kunstmuseum gehangen hatten: «Les deux frères» und «Arlequin assis». Obwohl höhere Angebote aus Übersee vorlagen, bot Staechelin die Bilder der Stadt Basel für 8.4 Millionen Franken zum Kauf an.
War es die Liebe der Fastnachts-Stadt zum Harlekin? Ein Picasso-Fieber brach aus. Am 25.11.1967 organisierten kunstaffine Baslerinnen und Basler ein «Bettlerfest». Sie veranstalteten Flohmärkte, putzten Schuhe, verkauften warme Mahlzeiten, leerten den Weinkeller und sogar in den Strassenbahnen konnte ein freiwilliger «Picasso-Beitrag» entrichtet werden. Die Pharma-Industrie rundete das Sammelergebnis auf 2.4 Millionen Franken auf, die restlichen 6 Millionen wollte die Stadtregierung aus Steuergeldern beisteuern. Dagegen jedoch ergriffen kunstferne Kreise das Referendum. Und damit hatten die Stimmbürger das letzte Wort zum Wert der Kunst.
Am 17. Dezember 1967 kam es zur international beachteten Abstimmung. Und: 54 Prozent der Stimmenden sprachen sich für den Kauf der Bilder aus! Als Picasso davon erfuhr, freute er sich so sehr, dass er der Stadt vier weitere Bilder schenkte. Basel revanchierte sich, indem es einen Platz beim Kunstmuseum nach dem Maler benannte. (Ein Tabubruch: In der Schweiz werden eigentlich keine Strassen nach lebenden Personen benannt.) Und damit nicht genug: Eine Basler Kunstmäzenin war von Picassos Geste derart begeistert, dass sie ein weiteres Picasso-Bild aus ihrer Privatsammlung eigenhändig als Geschenk ins Museum trug.
Der Konkurs der Globe Air hatte für die Stadt weitreichende und äusserst positive Folgen. Natürlich hatte Basel kulturell bereits vor 1967 nicht gerade ein Schattendasein gefristet. Aber Picassos Geschenk war ein Paukenschlag, der für Aufsehen sorgte, dem Kunstmuseum eine der weltweit grössten Picasso-Sammlungen bescherte und zeigte, wieviel Zustimmung die Kunst in der Stadt genoss. Beflügelt von der Erfahrung des Picasso-Fiebers lancierten Kunstliebhaber 1970 eine Messe, die sie «Art Basel» nannten – und die im Lauf einiger Jahrzehnte zu einer der grössten Kunstmessen der Welt geworden ist. Einer der Initianten war der Galerist Ernst Beyeler, der seine eigene Sammlung 1997 in ein Museum umwandelte und die Stadt damit um eine weitere Perle bereicherte. Basel wurde nicht nur, aber auch dank des Bankrotts der Globe Air zur international beachteten Kunststadt.
Es besteht in der Luftfahrtgeschichte (und Gegenwart) kein Mangel an unterfinanzierten Gesellschaften. Aber kein Konkurs hatte derart erfreuliche Folgen, wie die Pleite der Globe Air 1967.