Anfang Juni 1940: Grossbritannien steht mit dem Rücken zur Wand. Die deutsche Kriegsmaschine hat Dänemark und Norwegen überrannt und im Westen die alliierten Armeen vernichtend geschlagen. Frankreich steht vor dem Zusammenbruch. Zwar ist es den Briten gelungen, den Grossteil ihrer in Nordfrankreich von der Wehrmacht eingekesselten Truppen auf die Insel zurückzuholen – man spricht vom «Wunder von Dünkirchen» –, doch dabei müssen sie fast ihre gesamte Ausrüstung auf dem Kontinent zurücklassen.
Nun kann das angeschlagene Empire nur noch die Royal Navy – immer noch die mächtigste Flotte der Welt – und die Royal Air Force einer drohenden deutschen Invasion entgegensetzen. Im britischen Kriegskabinett, dem seit erst drei Wochen Winston Churchill als Premierminister vorsteht, drängen die Appeasementpolitiker um Lord Halifax und Neville Chamberlain erneut auf Verhandlungen mit Nazi-Deutschland. In der Bevölkerung ist die Moral auf einen Tiefpunkt gesunken; viele rechnen damit, dass Grossbritannien nicht mehr weiterkämpfen wird.
In dieser bedrohlichen Situation wendet sich Kriegspremier Churchill am 4. Juni an das Parlament. Seine Rede, die kurz darauf auch über den Rundfunk verlesen wird und sich an die britische Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit richtet, soll den Widerstandswillen der Briten befeuern und der Welt unmissverständlich klarmachen, dass es weder eine britische Kapitulation noch Verhandlungen mit Hitler-Deutschland geben wird. «We Shall Fight on the Beaches» («Wir werden an den Stränden kämpfen») zählt zu den Glanzstücken in der Geschichte der Rhetorik und ist eine der bekanntesten Reden Churchills.
Zu Beginn seiner Ansprache skizzierte Churchill nüchtern den bisherigen Kriegsverlauf. Dabei dämpfte er die Begeisterung über die gegen alle Erwartungen geglückte Evakuierung der eigenen Truppen aus Dünkirchen, indem er darauf hinwies, dies sei kein Sieg gewesen. «Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen», bemerkte er trocken.
Dann aber setzte Churchill, meisterhaft Alliterationen und suggestive Wiederholungen einsetzend, zu einem rhetorischen Höhenflug an und beschwor eindringlich den unbedingten Willen zum Widerstand:
Die Rede verfehlte ihre Wirkung nicht. Einige Abgeordnete im Parlament waren von Churchills Worten so ergriffen, dass ihnen die Tränen in die Augen stiegen. Die spürbare Entschlossenheit des Premiers, seine nichts beschönigende Schilderung der Lage und seine trotz der düsteren Aussichten kompromisslose Absage an jede Form des Defätismus beeindruckte die verunsicherten Briten und vermochte sie mitzureissen. Aus den Londoner Hafenvierteln strömten die Dockarbeiter zu den Büros der Armee, um sich freiwillig zum Militärdienst zu melden.
Die Lage war tatsächlich ernst – die britischen Landstreitkräfte waren zu diesem Zeitpunkt kaum gerüstet und keinesfalls ein ebenbürtiger Gegner für die Wehrmacht. Die Gefahr einer deutschen Invasion der Britischen Inseln war erst im September endgültig gebannt, als der Sieg der RAF in der Luftschlacht um England absehbar war. So war es zwar klar übertrieben, aber im Kern nicht falsch, was Churchill nach seiner Rede einem neben ihm stehenden Abgeordneten zugeraunt haben soll: «Und wir werden sie bekämpfen mit den Enden zerbrochener Flaschen, denn das ist verdammt alles, was wir noch haben.»
Churchill, der bei seinem Amtsantritt nicht sonderlich beliebt war und insbesondere von den Konservativen – seinen Parteigenossen – kritisch beäugt wurde, gelang es mit seiner Rede, einen Umschwung der Stimmung in Grossbritannien zu bewerkstelligen. Es war nicht zuletzt sein Verdienst, den totalen Sieg Nazi-Deutschlands im Westen verhindert zu haben – manche Historiker sehen deshalb in ihm und nicht in Stalin oder Roosevelt den entscheidenden Gegenspieler Hitlers. Der ungarisch-amerikanische Historiker John Lukacs sagte es so: «Churchill und Grossbritannien hätten den Zweiten Weltkrieg nicht gewinnen können, das taten am Ende Amerika und Russland. Im Mai 1940 war Churchill aber derjenige, der ihn nicht verlor.»
Möglicherweise war der britische Premier durch eine Rede des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau inspiriert, die dieser während des Ersten Weltkriegs gehalten hatte. Clemenceau hatte im Juli 1918 während der letzten grossen Offensive der Deutschen vor dem Parlament gesagt: «Ich werde vor Paris kämpfen, ich werde in Paris kämpfen, ich werde hinter Paris kämpfen.» Churchill, der damals als britischer Munitionsminister gerade in Paris weilte, hatte diese Rede – die ebenfalls die Wiederholung als rhetorisches Stilmittel einsetzt – miterlebt und zeigte sich beeindruckt davon.
Erstaunlicherweise war Churchill kein geborener Redner. Er konnte nicht frei sprechen. Er lispelte und tendierte zum Nuscheln. Er pflegte deshalb seine Reden minutiös vorzubereiten und auswendig zu lernen. Nachdem er 1904 bei einer Rede vor dem Unterhaus seinen Text vergessen und deshalb «die peinlichsten drei Minuten meines Lebens» erlebt hatte, sorgte er dafür, dass er stets ein Manuskript seiner Rede zur Hand hatte.
Die Eindringlichkeit seiner Ansprachen beruhte – neben der stilistischen Brillanz – gleichwohl auf dem meisterhaften Einsatz seiner Stimme, deren Dynamik und Dramatik er wirkungsvoll zu variieren wusste. Churchills Stimme blieb dabei stets gefasst – ganz im Gegensatz zu seinem Widersacher Adolf Hitler, dessen Stimme sich bei seinen Hasstiraden überschlug.
Überdies verstand es Churchill, Sachverhalte in einfache und eingängige rhetorische Formeln zu giessen. Einige seiner Sätze wurden so zu quasi stehenden Wendungen, die noch heute bekannt sind. Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist ein Satz aus seiner Antrittsrede als Kriegspremier am 13. Mai 1940, drei Tage nach dem Beginn des deutschen Westfeldzugs:
Auch in den beiden anderen der vier bedeutenden Reden, die Churchill im Sommer 1940 während des deutschen Westfeldzugs und der Luftschlacht um England hielt, kommt jeweils eine solche prägnante Wendung vor. Am 18. Juni prägte er in der Rede zur bevorstehenden Luftschlacht den Satz:
Und am 20. August, als die Luftschlacht ihren Höhepunkt erreichte, stellte er in seiner Rede vor dem Parlament fest:
Auch nach dem Krieg – Churchill war von den britischen Wählern bereits in die Opposition verbannt worden – zeigte sich sein Talent für einprägsame Begriffe und Wendungen. Am 5. März 1946 hielt er eine Rede in Fulton, US-Staat Missouri, in dem er das Bild des «Eisernen Vorhangs» beschwor, der sich über Europa gesenkt habe. Der Begriff an sich stammte nicht von ihm, aber er machte ihn populär.
Im September des gleichen Jahres sprach der britische Oppositionsführer auch an der Universität Zürich, wo er den Satz «Let Europe arise!» («Lasst Europa entstehen!») prägte. In seiner Vision einer Art Vereinigter Staaten Europas hatte Grossbritannien allerdings keinen Platz, sondern sollte dem Projekt vielmehr als Pate zur Seite stehen.
Churchill, der 1953 den Nobelpreis für Literatur erhielt, war zweifellos ein Mann des Wortes, der seine rhetorischen Fähigkeiten umsichtig und planvoll einsetzte und damit auch Wirkung erzielte. Doch Churchill war gleichermassen ein Mann der Tat, ein Offizier und Politiker, der zahlreiche Ämter bekleidete und das Getriebe der Macht von innen kannte. Beides zusammen machte ihn zum grössten Staatsmann, den Grossbritannien im 20. Jahrhundert hatte.