Wie so viele Geschichten in der Bibel beginnt auch diese mit einem Mord:
In diesem Fall trifft es einen jungen Mann namens «Er». Man weiss nicht, was genau er verbrochen hat, aber es missfiel dem alttestamentarischen Gott derart, dass er ihn, wie es in euphemistischeren Versionen heisst, «sterben liess».
Nun war es nach altjĂŒdischer Sitte so, dass der Bruder die Witwe des Dahingeschiedenen ehelichen und vor allem begatten musste, damit dessen Blutlinie nicht versiege (Leviratsehe). Im Falle dieser reizenden Familie ging die Runde an Onan. Doch der hatte keine Lust: «Da Onan wusste, dass der Same nicht sein eigen sein sollte, wenn er einging zu seines Bruders Weib, liess er's auf die Erde fallen und verderbte es, auf dass er seinem Bruder nicht Samen gĂ€be.»
Das war ein Fehler, auf den der Herr mit dem ihm eigentĂŒmlichen Strafgebaren reagierte:
Onan erdreistete sich, den Koitus zu unterbrechen! Das ist ĂŒbel, weil auf diese Weise keine Nachkommen gezeugt werden. «Verschwende deinen Samen nicht», so lautet das ungeschriebene elfte Gebot.
Fortan wird die Kirche jede Form von SexualitĂ€t verdammen, die nicht ausschliesslich der Fortpflanzung dient. Alles jenseits der Missionarsstellung mit Babywunsch wird zur widernatĂŒrlichen Unzucht. Selbst der nĂ€chtliche Samenerguss eines unschuldigen Mönchs verdient Peitschenhiebe.
Im 19. Jahrhundert blasen Moralisten, PopulĂ€rwissenschaftler, Scharlatane und Ărzte zum Marsch gegen die Masturbation. Von nun an wird Onans biblisches Vergehen nicht mehr als «Coitus interruptus» gelesen, sondern als Akt der Selbstbeschmutzung.
Mal fĂŒhren diese verbotenen SelbstberĂŒhrungen zu Verdauungsproblemen, mal sind sie der Grund fĂŒr Pickel oder gleich die Pocken, manch einem Frevler bringen sie Atemschwierigkeiten oder löschen seine Erinnerungen, den anderen bescheren sie Gehirnerweichung, ein paar WutanfĂ€lle oder gleich Wahnsinn, Epilepsie, Impotenz â und wahlweise auch Krebs oder Lepra.
Als Standardwerk gilt die ab 1760 in unzĂ€hligen Auflagen verbreitete Schrift «LâOnanisme. Dissertation sur les maladies produites par la masturbation».
Geschrieben hat sie der Lausanner Arzt Samuel Auguste Tissot.
Eine seiner «Weisheiten» besagt:
«Der Samen wird aus dem Blute, mit vielerlei UmstĂ€nden, welche allezeit ein grosen Werth anzeigen, zubereitet, und er ist so Ă€del, daĂ wie schon Galenus erinnert, der Verlust einer halben Unze denen KrĂ€ften mehr Schaden tut, als wenn man vierzig Unzen Blut abzapft: es erhellet daher von selbst, daĂ die unmĂ€sige Verschwendung dieser Feuchtigkeit viele Krankheiten nach sich ziehen mĂŒse.»
Und wer des Nachts ohne eigenes Zutun seines kostbaren und Leben spendenden Samens verlustig geht, der leidet ganz klar an Spermatorrhoe, einer Krankheit, die durch Masturbieren ausgelöst werde.
In den USA hingegen wetterte die protestantische Lustbremse John Harvey Kellogg gegen die verderbliche Selbstbefleckung, die er mit Vorliebe «heimliche SĂŒnde» nannte. Er war Arzt und ErnĂ€hrungswissenschaftler, und als solcher entwickelte er eine Reihe von enorm faden Lebensmitteln, bei deren Verzehr seinen Patienten jegliche Lust vergehen sollte.
Auch die von ihm und seinem Bruder erfundenen Cornflakes sollten Buben vom Masturbieren abhalten. Kellogg selbst lebte nach eigenen Aussagen völlig enthaltsam â allerdings liess er sich allmorgendlich einen Einlauf verabreichen.
Hallo, Klismaphilie! Da gewann einer wohl seinen sexuellen Lustgewinn durch die tĂ€gliche DarmspĂŒlung.
Kellogg war ein Hardliner, er machte die Masturbation fĂŒr diverse Krankheiten verantwortlich und empfahl deren systematische Verhinderung bei Kindern:
Bei kleinen Jungen sollte deshalb eine Beschneidung ohne BetĂ€ubung durchgefĂŒhrt werden, «weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird.» Bei MĂ€dchen hingegen sei die Behandlung mit unverdĂŒnnter KarbolsĂ€ure (Phenol) hervorragend geeignet, «die unnatĂŒrliche Erregung zu mindern».
Die unnatĂŒrliche Erregung, sagt Kellogg und streicht kleinen MĂ€dchen eine Ă€tzende Industriechemikalie zwischen die Beine.
Masturbation galt den Moralisten des 19. Jahrhunderts als egoistisch, weil man sich derart von der Gesellschaft abkapsle und keinen Partner mehr fĂŒr die sexuelle Befriedigung brauche. Ein «nutzloses VergnĂŒgen» sei es, eine Demonstration astreiner Disziplinlosigkeit. Und ĂŒberhaupt gehört der Leib nicht verwöhnt, wenn schon soll man ihn zĂŒchtigen, er soll sich im Ertragen von Schmerz ĂŒben und unzĂŒchtigen WĂŒnschen widerstehen.
Genuss ist nichts fĂŒr einen Christen, der durch die Jahrhunderte gelernt hat, Leid und Schmerz als gottgewollt zu erdulden â und wenn nicht das Seelenheil als Belohnung dabei herausspringt, so kann man doch wenigstens von sich behaupten, vorzĂŒglich festen Charakters zu sein.
FĂŒr diejenigen, die zu schwach waren und der Lust nachgaben, schuf man ausgeklĂŒgelte Apparate zur Masturbationsverhinderung: KĂ€fige mit NĂ€geln, Schenkelriemen und VorhĂ€ngeschlössern, die bei einer spontanen Erektion einen Klingelalarm auslösten.
Wir wollen mit den eher harmlosen Exemplaren beginnen ...
Hier sehen wir eine metallene Variante, zu der einst ein lederner Gurt gehörte, den sich der TrĂ€ger um die HĂŒfte binden musste.
Mit diesem GĂŒrtel aus dem Jahr 1876 wurde der Penis zwischen den Beinen festgebunden:
Weniger erfreulich war hingegen das «Penisjoch» (Jugum Penis oder Anti-Pollutionsring), das den feuchten Traum verunmöglichen sollte. Schliesslich rinnt mit dem Samenerguss auch gleich die Lebenskraft aus den Körpern der jungen MÀnner!
Eine Stahlklammer mit fiesen gezackten ZĂ€hnen, die sich bei einer Erektion in den Penis schlagen.
Noch eine Stufe perfider arbeitete das 1889 von einem gewissen James H. Bowen entwickelte GerĂ€t. Es wurde ĂŒber den Penis gestĂŒlpt und mit kleinen Halterungen an den Schamhaaren festgemacht. Wurde das Glied steif, zog das die Ketten straff und ... Aua. Ihr wisst schon ...
Die ElektrizitĂ€t fand Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur den Weg in diverse Wohnzimmer, sondern auch in gewisse Hosen, wo sie allerdings nicht fĂŒr Licht sorgte, sondern ungezogene Penisse in die Erschlaffung zurĂŒckschockte. Das geschah zum Beispiel mit der von Albert V. Todd 1903 erfundenen Vorrichtung aus metallenen Ringen.
GlĂŒcklicherweise haben wir nicht besagte «Angewohnheit» ĂŒberwunden, sondern die Apparate zu deren Verhinderung.
Nur zaghaft wird Tissots schĂ€dliche Onanie-Theorie hinterfragt, erst der britische Sexualforscher Havelock Ellis wagt es, ihr zu widersprechen â indem er die Namen grosser MĂ€nner aufzĂ€hlt, die sich mit Freude der Selbstbefleckung hingaben. Ellis widerlegte den von diversen Krankheiten gefĂ€hrlich angeschwollenen Mythos der schĂ€dlichen Masturbation.
Das erste Buch seiner achtbĂ€ndigen «Studies in the Psychology of Sex» wurde bei Erscheinen gerichtlich verboten. Es wurde fĂŒr dermassen obszön gehalten, dass Ellis damit schlagartig berĂŒhmt wurde.
1905 beschreibt der Wiener «Deppendoktor» Sigmund Freud die Masturbation von SÀuglingen, kleinen Kindern und pubertierenden Jugendlichen.
Und gleichzeitig scheint man eine wirkungsvolle Methode zur Behandlung weiblicher Hysterie gefunden zu haben: Àrztlich verordnete Intim-Massagen ...