Das Hitzerekordjahr 2023 mit globalen Temperaturen von rund 1,45 Grad über dem vorindustriellen Mittel (1850 bis 1900) hat auch für Europa weitreichende Folgen. So ist Europa gemäss dem heute veröffentlichten Klimareport 2023 (ESOTC 2023) des europäischen Copernicus Climate Change Service und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) derzeit der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt.
🌍🔬 Today, #CopernicusClimate and @WMO release the 2023 #ESOTC report. It details climate conditions, key events, their impacts, and discusses climate policy and action with a focus on human health.
— Copernicus ECMWF (@CopernicusECMWF) April 22, 2024
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Millionen Menschen auf dem «Alten Kontinent» waren letztes Jahr mit teils extremen Wetterbedingungen und ihren Folgen konfrontiert. 2023 seien so viele Tage mit enormer Hitze wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen registriert worden, heisst es im Bericht zum Zustand des Klimas in Europa. Die negativen gesundheitlichen Auswirkungen extremer Wetter- und Klimaereignisse nehmen demnach zu.
Insgesamt sei das vergangene Jahr – je nach Datensatz – das zweitwärmste oder zusammen mit 2020 das wärmste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen, schreiben Copernicus und die WMO. Diese reichen bis 1940 und teils auch weiter zurück.
«2023 war ein komplexes und vielschichtiges Jahr, was die Klimagefahren in Europa angeht», sagte der Direktor des Copernicus Climate Change Service (C3S), Carlo Buontempo. «Wir wurden Zeuge von weitverbreiteten Überschwemmungen, aber auch von extremen Waldbränden mit hohen Temperaturen und schweren Dürren.» Diese Ereignisse hätten nicht nur die natürlichen Ökosysteme belastet, sondern auch die Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft und die öffentliche Gesundheit vor grosse Herausforderungen gestellt.
Dem Bericht zufolge waren im vergangenen Jahr rund 1,6 Millionen Menschen von Überflutungen betroffen, mehr als eine halbe Million Menschen von Stürmen. Die wetter- und klimabedingten Schäden werden auf weit mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt. «Leider ist es unwahrscheinlich, dass diese Zahlen in naher Zukunft kleiner werden», sagte Buontempo mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel.
Über ganz Europa gemittelt waren im vergangenen Jahr 11 Monate überdurchschnittlich warm. Der September sei sogar der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1940 gewesen. Insgesamt sei ein Rekordwert an Tagen mit sogenanntem extremen Hitzestress registriert worden, also gefühlten Temperaturen von über 46 Grad.
Der Sommer war vielerorts bis weit in den September hinein warm, wobei weite Teile Europas von Hitzewellen betroffen waren. Auf dem Höhepunkt der Hitzewelle im Juli wurde in 41 Prozent Südeuropas mindestens «starker Hitzestress» registriert: «Mit potenziellen gesundheitlichen Auswirkungen.» In Sizilien stieg die Temperatur im Juli auf 48,2 Grad und kam damit dem Rekordwert von 48,8 Grad aus dem Jahr 2021 sehr nahe. Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle sei in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt um 30 Prozent gestiegen.
In Europa steigen die Temperaturen etwa doppelt so schnell an wie im globalen Durchschnitt. Die drei wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Europa wurden alle ab 2020 verzeichnet, die zehn wärmsten seit 2007. Die Daten würden «signifikante Veränderungen auf unserem Planeten» zeigen, so Mauro Facchini vom Erdbeobachtungsprogramm der Europäischen Kommission. «Die vorgelegten Daten sind alarmierend.»
Insgesamt fiel im vergangenen Jahr sieben Prozent mehr Regen als im Durchschnitt. Es sei eines der nassesten bislang registrierten Jahre gewesen, heisst es in dem Bericht. In einem Drittel des Flussnetzes in Europa seien Wassermengen verzeichnet worden, die die Hochwasserschwelle überschritten.
Vor allem im Mai, August und September kam es zu schweren Überschwemmungen. Am 4. August wurden weite Teile Sloweniens und Teile Österreichs von einem Hochwasser überschwemmt, das so noch nicht gemessen worden war. Im September wurden weite Teile Griechenlands überschwemmt, im November und Dezember kam es zu aussergewöhnlichen Hochwasserereignissen in der Schweiz und ab Weihnachten auch im Nordwesten Deutschlands.
Nach vorläufigen Schätzungen der International Disaster Database (EM-DAT) waren 1,6 Millionen Menschen in Europa von den Überschwemmungen betroffen. Die Fluten waren laut Copernicus-Report für 81 Prozent der klimabedingten wirtschaftlichen Verluste in diesem Jahr auf dem Kontinent verantwortlich.
Positiv wirkten sich die starken Niederschläge und die erhöhte Sturmaktivität auf erneuerbare Energiequellen aus. Mit 43 Prozent hatten die erneuerbaren Energien einen Rekordanteil an der Stromproduktion. Unterdurchschnittlich war dagegen das Potenzial für die photovoltaische Stromerzeugung in Nordwest- und Mitteleuropa.
Doch die Meere rund um die europäischen Küsten waren im Mittel so warm wie nie zuvor seit mindestens 1980. Im Juni wurde der Atlantische Ozean westlich von Irland und rund um Grossbritannien von einer als «extrem» und in einigen Gebieten sogar als «über extrem» eingestuften Meereshitzewelle heimgesucht, bei der die Wassertemperaturen an der Oberfläche bis zu fünf Grad über dem Durchschnitt lagen.
Auch auf den Gletschern war es viel zu warm. «Nach dem Rekord-Eisverlust im Jahr 2022 war es ein weiteres aussergewöhnliches Verlustjahr in den Alpen», schreiben Copernicus und WMO. In diesen beiden Jahren verloren die Gletscher in den Alpen demnach rund zehn Prozent ihres Volumens.
Für die Arktis war es das sechstwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen in der Arktis traten alle seit 2016 auf. Die Meereisausdehnung in der Arktis blieb während des grössten Teils des Jahres 2023 unterdurchschnittlich.
Für dieses Jahr, das in den ersten drei Monaten bereits rekordwarm war, erwarten die Copernicus-Experten aufgrund der aktuellen Daten und der saisonalen Vorhersagen verschiedener Modelle allerdings kein weiteres Rekordjahr.
Die Daten deuten darauf hin, dass der Sommer 2024 in Europa und weiten Teilen der Erde wahrscheinlich nicht wärmer als der Durchschnitt sein werde, sagte Samantha Burgess von Copernicus. Auch, weil derzeit eine Abschwächung des Wetterphänomens El Niño zu beobachten sei.
Bei einem möglichen Übergang in die La-Niña-Phase sei 2024 mit einem abkühlenden Effekt auf die globalen Temperaturen zu rechnen. Über das laufende Jahr hinaus könne man aber sagen, «dass wir extreme Wetterereignisse haben werden, die häufiger und intensiver werden, solange wir Rekordwerte der Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre und Rekordtemperaturen haben». Eine Entspannung ist also trotzdem nicht in Sicht.
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone/SDA.