Ihre Taten können noch so brutal und abscheulich sein, sie erhalten trotzdem körbeweise Liebesbriefe: Selbst Serienmörder wie Ted Bundy, die ihre zumeist weiblichen Opfer quälten, töteten und zerstückelten, bekommen im Gefängnis Fanpost von Frauen.
Der berüchtigte belgische Kinderschänder Marc Dutroux, in dessen Kellerverlies zwei achtjährige Mädchen verhungerten, erhielt beispielsweise diese Zeilen von einem Mädchen im Teeniealter:
Manche Frauen belassen es nicht bei schriftlichen Liebesschwüren, sondern versuchen mit dem Schwerverbrecher ihrer Träume enger in Kontakt zu treten. Einige der Verehrerinnen bekamen sogar Kinder von diesen Männern, selbst unter den erschwerten Bedingungen, die im Gefängnis herrschen. Andere verhalfen ihren Geliebten zur Flucht – wie vermutlich auch die Gefängnis-Aufseherin Angela Magdici.
Das bisher kaum erforschte Phänomen bezeichnen Psychologen als Hybristophilie oder auch «Bonnie-und-Clyde-Syndrom», nach dem berühmten Gangsterduo Bonnie Parker und Clyde Barrow.
Es sei «ein Bündel von Ursachen», wie die österreichische Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner der Wiener Zeitung sagte, das zu dieser psychischen Störung führen kann. Zum einen gebe es «den narzisstischen Glauben an das eigene Heilpotenzial»: Die Frauen sind überzeugt davon, dass sie den Verbrecher durch ihre Liebe auf den Weg der Tugend zurückführen können.
Zum andern gehe von diesen Verbrechern eine starke Faszinationskraft aus, da sie über einen Erfahrungsbericht verfügten, der nicht alltäglich ist, und in den die Frauen nun «hineinschnuppern» könnten. Als weiteren Grund führt Kastner die Flucht vor einer regulären Beziehung an, denn aufgrund der Haftbedingungen kommen diese Paare einander nicht wirklich nahe. Die meisten dieser Beziehungen würden denn auch nach der Entlassung zerbrechen, da sie der Realität nicht standhalten könnten.
Der deutsche Kriminalist Stephan Harbort unterscheidet drei Typen von betroffenen Frauen: Jene, die sehr negative Beziehungserfahrungen hinter sich hätten und nun ein Verhältnis suchten, das sie selber kontrollieren könnten. Dann gebe es Frauen mit einem gestörtem Selbstwertgefühl, die ihre eigene Persönlichkeit durch eine solche Beziehung aufwerten wollten. Und als dritten Typus gebe es jene Frauen, die missbraucht wurden und sich selbst die Schuld dafür gäben – und die sich durch die Beziehung zu Verbrechern besser zu verstehen suchten.
Eine Traumatisierung im Kindesalter ist auch für die amerikanische Journalistin Sheila Isenberg die hauptsächliche Ursache für hybristophiles Verhalten. Nach zahlreichen Gesprächen mit Frauen, Psychologen, Anwälten und Polizisten kam sie in ihrem Buch «Women who love men who kill» zum Schluss, dass viele der betroffenen Frauen als Kind missbraucht oder misshandelt wurden. Meist sei ihr Vater streng und dominant, oft alkoholkrank und gewalttätig gewesen. Die Mütter waren dagegen schwach und hilflos.
Deshalb suchten diese Frauen – sie stammen aus allen sozialen Schichten – einen Mann, den sie kontrollieren könnten. «Jeder Mörder ist ein sicherer Hafen, weil er eingeschlossen ist», schreibt Isenberg. So könne er die Frau nicht verletzen. Besonders Häftlinge, die lebenslang einsitzen oder in der Todeszelle auf ihre Hinrichtung warten, erfüllten dieses Ideal.
Diese Männer sind zudem oft charmant, und manche sind hervorragende Menschenkenner, da sie viel Zeit damit verbringen, die Körpersprache und Mimik von anderen Menschen zu verstehen. Sie nutzen ihre Fähigkeiten, um die Frauen für sich einzunehmen, denn diese sind oft der einzige Kontakt zur Aussenwelt.
Die Frauen wiederum entschuldigen die Straftat ihres Geliebten oder verleugnen sie schlicht. Isenberg, die rund 30 dieser Frauen interviewte, bekam von keiner zu hören, dass ihr Geliebter einen Mord begangen habe. Oft sind sie felsenfest von seiner Unschuld überzeugt wie die Frau des inzwischen verstorbenen Vergewaltigers und Mörders Richard Ramirez. Sie schrieb auf ihrer Website:
Sheila Isenberg geht freilich nicht davon aus, dass diese Selbsttäuschung wirklich tief wurzelt. Sie nimmt an, dass jede Frau tief unter der oberflächlichen Verleugnung weiss, «dass ihr Mann ein Killer ist». Und genau dies, glaubt Isenberg, mache seine erotische Anziehungskraft aus. (dhr)