Dieses Buch ist ein Segen. Selbst wenn es einen englischen Titel trägt. «Real Talk» ist griffig. Schliesslich sollten es auch alle Marketing-Menschen kaufen und die greifen gemeinhin nicht nach einem Buch, das «Tacheles» heisst. Das wär way zu archaisch. «Real Talk» klingt da schon viel verheissungsvoller. Vor allem, wenn es in gespraytem Neonpink daherkommt.
Das Erstaunliche daran ist aber nun, dass es tatsächlich sehr verheissungsvoll ist!
Dieses Buch nämlich entlarvt mit einer erheiternden Ehrlichkeit die Sprache unserer Zeit, diesen unsäglichen Dünnpfiff an leeren Worthülsen und charakteramputierten Phrasen, jenes restlos austauschbare PR-Geschwurbel, das bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte und vernebelte Websites-Palaver von Werbeagenturen, Schulen, Banken, IT-Buden, Anwaltskanzleien, Autovermietungen und allen anderen Dienstleistungsfirmen.
Wohltuend wird hier die heisse Luft aus den sprachlichen Ballon-Monstern rausgelassen, sodass sie gnadenlos zusammenfallen zu dem Nichts, das sie im Grunde sind.
Denn wenn eine Schule allen Ernstes verspricht, sie werde «die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen» (und ich Trottel dachte, der Mittelpunkt sei die Pflege der Pausenplatz-Beete) und sich stolz als «Lebensraum» anpreist, wenn eine Content-Marketing-Firma Wert auf «eine zielorientierte Vorgehensweise» legt (ich suche leider nach einer Firma, die sich durch totale Ziellosigkeit hervortut) und die britische Grossbank HSBC sagt, dass wir gemeinsam «thriven» (also gedeihen, äh, nein danke?), während ein gefühlvoller Brad Pitt sich für Chanel Nº 5 mit nichts als seinen existentiellen Gedanken in einen leeren Raum stellt und diesen dann ausfüllt mit der tiefsinnigen Erkenntnis, dass dieser Duft sein luck, fate und fortune sei, dann ist die Zeit gekommen, ein bisschen zu kötzeln.
Oder an einem Lachanfall zu sterben. Im besten Fall aber sich zu fragen, warum wir uns diesen verbalen Stumpfsinn überhaupt gefallen lassen. Warum wir sie nicht totschlagen, all die in grottenschlechte Slogans verpackten Lebensgefühle und metaphysischen Heilsverkündungen, nach denen wir nie verlangt haben.
Sind wir einfach schon zu abgestumpft? Hat vielleicht einfach jede Zeit die Sprache, die sie verdient? Ist diese faulige Abart von Dadaismus nun die gängige Ausdrucksweise der Postmoderne – und nehmen wir diese in der uns Menschen eigenen Trägheit einfach so hin?
Hugo Ball würde sich im Grabe umdrehen. Und mit ihm auch gleich Karl Kraus. Beiden war die Bedrohung bewusst, die von einer entleerten, lügnerischen Sprache ausgeht. Einer Sprache, die damals die Hässlichkeit des Ersten Weltkrieges unter begeisterten Propaganda-Phrasen begrub. Und während sie Ball mit seinen absurden Versen gänzlich zu zerfetzen trachtete, drehte Kraus in seinem Drama «Die letzten Tage der Menschheit» (1915–1922) die Absurditäten des Krieges durch den Fleischwolf seiner scharfen Sprache.
Der Pulverdampf von zwei Weltkriegen ist inzwischen verraucht, die Phrase aber hat bis in unsere Gegenwart überlebt. Sie mag sich verändert haben, es sind nun andere politische Schlagwörter und neue Begriffe, die aus der Wirtschaft und dem Marketingbereich in unseren Alltag gepurzelt sind und dort bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden.
Es ist eine Sprache, die sich nicht mehr selber hört. Die nichts mehr bedeutet. Nur, wenn ein Wort seiner Bedeutung beraubt wird, kann es plötzlich alles bedeuten – und für jeden beliebigen «Inhalt» einfach kopiert werden.
Jedes Arbeitsumfeld ist heute dynamisch, die Hierarchien flach, die Ansprechpartner kompetent und selbstredend werden von den angestellten Kreativ-Köpfen am Laufmeter innovative oder nachhaltige Ideen entwickelt – am liebsten beides zusammen.
Wären diese Leute wirklich kreativ, würden sie für ihre Einfälle sicherlich lebhaftere Wörter finden.
Kreativität in ihrer reinen echten Form ist in den meisten Unternehmen überhaupt nicht mehr gefragt – geschweige denn möglich. Denn, schreiben die Autoren von «Real Talk»:
«Dass insbesondere die Marketing- und Kommunikationsbranche sich schwertut mit Kreativität, verwundert nicht. Einerseits nisten sich in ihr immer mehr hochproblematische Akteure ein, andererseits wird Kreativität häufig bereits bei den Anforderungen an die Agenturen im Keim erstickt. Dann, wenn einfach die bedingungslose Umsetzung des in firmeninternen Sitzungen entstandenen banalen Konsenses gefordert wird. Mit Input von allen, politisch, hierarchisch, diplomatisch. Man will ja niemanden verärgern. Man meint dann, die eigene, häufig systembedingte Mittelmässigkeit werde dann schon kreativ, wenn man diese einfach von einer sich als kreativ bezeichnenden Agentur umsetzen lässt.»
Also lasst uns aufmucken gegen die Bullshit-Sprache, lasst uns diesen Konformisten-Auflauf aufmischen, auf dass kein Wort mehr auf dem anderen bleibt!
Nichts Geringeres wird in diesem Manifest verlangt. Geschrieben haben es Ivana Leiseder, eine von toten Phrasen genervte Kommunikationsberaterin, und Matthias Plattner, dessen Werk 0 Theaterstücke und 0 Romane umfasst, weshalb es entsprechend in keine Sprache übersetzt wurde. Auch Preise und Auszeichnungen hat er keine erhalten.
«Lasst diesen Kelch an mir vorüberziehen», hat Herr Plattner dann wohl frei nach Jesus dazu gesagt. Diese Heldentat kann man ganz besonders in heutigen Zeiten nicht genug loben. Wer es schafft, ohne Diplom eines Weiterbildungskurses in «Hybrid leadership» oder zu «Proactively coordinate viral process improvements», ohne Seminarbesuch einer topseriösen Hochschule zum Thema «Protokoll», ohne einen Titel wie «Vision Clearance Engineer» oder «Change Maker»* und gar ohne brancheninternen Award irgendeines selbst erfundenen Wettbewerbs durchs Leben zu kommen, dem sollte dafür ein saftiger Preis winken.
Solcherlei nebulöse Auszeichnungen finden leidigerweise nach wie vor jemanden, der sich davon (nachhaltig?) beeindrucken oder zumindest verunsichern lässt. Was nicht heissen soll, dass der Verunsicherte deshalb naiv ist. Denn anstatt eine zynische Überlegenheit zu entwickeln, sollten die, die das Spiel durchschauen, lieber anfangen, sich aktiv gegen die Bullshit-Sprache zu wehren und sie nicht weiter als zwar bedauernswert, aber gegeben hinzunehmen.
Sonst ersaufen wir noch alle elendiglich in diesem Müll-Meer leerer Worthülsen, aus dem uns keiner mehr herausfischen kann, weil es längst ausreicht, sich nur als Lifeguard zu bezeichnen und mit einer roten Boje wichtig am Strand entlangzustolzieren.
Nun ist es aber so, dass die Leute, wenn sie lange genug für dumm verkauft werden, irgendwann tätsächlich dumm werden. Eine stumpfe Sprache stumpft das Gehirn ab.
Und so verblöden wir alle allmählich an dieser verhängnisvollen Marketing-Sprache, die unser aller Leben durchdringt. Wir verlernen, wie die Autoren von «Real Talk» schreiben, «Informationen korrekt zu übermitteln, unsere Anliegen präzise auszudrücken, passende Emotionen zu vermitteln, authentische Gedanken zu formulieren und zu verstehen, was jemand genau von uns will.»
Und nicht nur das. Geben wir dem Bullshit weiterhin den Platz, den er in Mails, in Pressemitteilungen, auf Websiten, Unternehmensblogs und Powerpoint-Slides einnimmt, stirbt jedes Mal etwas von der Herzlichkeit, dem Überraschenden und Unkontrollierten, das am Ende unser Zusammenleben ausmacht.
Gemeinhin nimmt man ja gar nicht mal zu unrecht an, dass einem die Leute mehr Kompetenz zusprechen respektive mehr bezahlen, wenn alles ein wenig «komplizierter und undurchsichtiger klingt».
Die Sprache wird also willentlich dafür eingesetzt, das Gehirn des Gegenübers mit Worten zu vernebeln, die den Eindruck einer besonders tiefen Geheimwissenschaft erwecken, während sie in Wirklichkeit nichts weiter als ausgemachter Bullshit sind. Oder kurz: Shit. Oder deutsch: Kot. Oder schweizerdeutsch: Gaggi.
Und aus Gaggi hat nicht einmal der fähigste Alchemist je Gold gemacht.
Selbst wenn der Marketing-Chemiker sein Produkt zum Glänzen bringt, wabert durch die Ritzen stets der verräterisch zähe Fäulnis-Gestank.
So wie bei diesem Beispiel:
«Als führender Schweizer IT-Dienstleister bieten wir Ihnen mit unserem Team von über 350 begeisterten Kolleginnen und Kollegen fundierte Kompetenz.»
Mit Pleonasmen – das sind zwei oder mehr Wörter, die das gleiche aussagen (Bsp. «weisser Schimmel») – wird besonders gern versucht, etwas vermeintlich bedeutungsvoller zu machen.
Machen wir noch ein Experiment. Stell dir vor, du bekommst ein Mail, in dem irgendwann der Satz fällt:
«Es werden Umstrukturierungen vorgenommen.»
Hier will sich doch nicht etwa jemand mit einer Beschönigung und einer netten kleinen Passivkonstruktion aus der Verantwortung stehlen?
Pleonasmen und Euphemismen sind nur zwei der Indikatoren, anhand derer man Bullshit erkennen kann. Leiseder und Plattner legen in «Real Talk» die Wurzeln dieses Unkrauts frei und geben uns Werkzeuge an die Hand, mit denen wir es aus dem Boden rupfen können.
Und nun gehet hin, kaufet das Buch, geniesst und beherzigt es und stellt es dann neben Engels Sprachbibel ins Regal.
*Change Maker werden heutzutage Berater genannt, während ein Vision Clearance Engineer einen Fensterputzer meint.
Edward Espe Brown
Überdimensionierte Riesenshrimps aka Reaper
Endlich fühl ich mich im Anti PR Gelaber Sein nicht mehr alleine.
aIch hasse wenn viel Wohlklingendes geredet wird aber nichts gesagt
Sapere Aude