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«Für die meisten Menschen sind wir Einhörner – also Wesen, die es schlicht und einfach nicht gibt», so fassen die sechs Frauen, die an diesem Abend in der watson-Redaktion zu Besuch sind, ihre Situation zusammen. Alle sechs sind vom Typ her ganz verschieden, doch etwas haben sie gemeinsam: Sie bezeichnen sich als asexuell.
Weil das Thema noch relativ unbekannt ist, haben sie lange Zeit gebraucht, bis sie selbst erkannt und verstanden haben, warum sie «anders» als die meisten Menschen sind. Die fehlende Präsenz des Themas in unserer Gesellschaft hat ihnen den Weg zur Selbstfindung erschwert.
Doch das ist nicht alles. Auch jetzt, wo sie für sich selbst eine Antwort gefunden haben, müssen sie um Anerkennung und Verständnis kämpfen: «Weil die Leute keine Ahnung haben, was Asexualität eigentlich bedeutet, sehen wir uns so oft mit den immer gleichen klischeehaften Reaktionen konfrontiert», erklärt die 21-jährige Ramona und liefert entsprechende Kostproben:
Mit ein Grund für das fehlende Verständnis dürfte die Tatsache sein, dass es längst nicht nur eine Form von Asexualität gibt. Wie verschieden die Ausprägungen sein können, zeigen die folgenden sechs Geschichten.
«Vor fünf Jahren habe ich herausgefunden, dass ich asexuell bin. Damals war ich in einer Beziehung, die etwa ein Jahr gedauert hat, und der Mann hat mir optisch wirklich gut gefallen, das Kribbeln war definitiv da. Aber wenn es an den romantischen und erotischen Teil ging, dann war bei mir Schluss. Das geht schon los beim gegenseitigen Ausziehen und Küssen. Ich spüre dabei einfach nichts – die gesamte Sexualität ist für mich ein kontrollierter Akt. Und das war schon immer so.
Lange Zeit habe ich mir gesagt: ‹Das kommt schon noch, du brauchst einfach mehr Zeit, um Nähe zuzulassen.› Gerne habe ich das damit begründet, dass ich in einem Heim aufgewachsen bin. Aber auch die Zeit hat nichts geändert – der Druck, der auf mir lastete, wurde sogar eher noch grösser. Also musste ich mich trennen. Als ich dann kurz darauf zum ersten Mal über den Begriff ‹Asexualität› gestolpert bin und mich anschliessend in das Thema eingelesen habe, war plötzlich alles so klar – und das auch rückwirkend.
Ich war ja sogar mal sechs Jahre lang verheiratet. Das hat aber auch nur funktioniert, weil mein Ex-Mann weder aufs Knutschen, noch aufs Vorspiel stand. Wir hatten also Sex, um die Sache einfach mal wieder abhaken zu können. Rein, raus, fertig – sozusagen. Nur deswegen hat das überhaupt so lange gehalten.
Mein grosses Glück in der ganzen Geschichte ist, dass ich immerhin Erregung spüren kann, an meinem Hals bin ich zum Beispiel sehr empfindlich. Aber das war's dann auch schon. Wenn mich ein Mann zum Beispiel an den Brüsten anfasst, passiert einfach nichts. Aber so konnte ich meinem jeweiligen Partner immerhin sagen: ‹Du kannst schon kommen› – und hab's mir dann einfach selbst gemacht. Aber dafür brauche ich eben keinen Partner. Ich kann es nie so sehr geniessen, wie mit mir selbst. Das ist genial.»
«Vor einem Jahr hatte ich zum ersten Mal so etwas wie eine Beziehung. Damals habe ich schnell gemerkt, dass ich körperliche Nähe nicht geniessen kann. Ein Kuss auf den Mund und Berührungen bis zu den Schultern, das ist okay. Aber alles andere geht mir schon zu weit. Also habe ich mich gefragt, ob ich gefühlskalt bin und fing an zu recherchieren. Als ich den Begriff ‹Asexualität› gefunden habe, musste ich feststellen, dass das meine Situation sehr gut beschreibt.
Ich habe noch nie Sex gehabt. Obwohl Gelegenheiten da gewesen wären, bin ich dem immer aus dem Weg gegangen. Nur schon, wenn es zum Petting kommt, eine Person mich an den Brüsten oder den Genitalien anfassen will, fühle ich mich bedrängt und unwohl. Der Gedanke an all die Flüssigkeiten, die beim Sex ausgetauscht werden, ekelt mich an. Das ist ein bisschen wie bei rohem Fleisch, das finde ich auch unfassbar ekelhaft. Aber weil ich gerne Fleisch esse, überwinde ich mich und koche es trotzdem. Ich könnte mir vorstellen, dass es beim Sex ähnlich ist: Dass ich es für eine Person, die ich wirklich liebe, tun könnte, aber trotzdem tief in mir drin ein Unbehagen spüren würde.
Ich selbst bezeichne mich als asexuell demiromantisch. Das heisst, dass ich mich durchaus verlieben könnte – aber eben erst, wenn ich eine Person wirklich gut kenne. Ich sehne mich nach Liebe und nach einer Beziehung und ich könnte mir auch vorstellen, mal eigene Kinder zu bekommen. Ich glaube aber, dass man auch ohne Sex eine sehr innige Beziehung haben kann. So manches altes Ehepaar macht das ja vor.
Neulich habe ich mich bei einem Freund geoutet. Der konnte gar nicht verstehen, wie man nicht auf Sex stehen kann. Aber meiner Meinung nach ist Sex wie eine Sportart: Es gibt Leute, die unglaublich gerne Fussball schauen und völlig darauf abfahren, und dann gibt es welche, die das einfach nur langweilig finden. Selbstbefriedigung ist wiederum was ganz anderes: Das mache ich gerne. Mein Körper gehört mir und ich möchte einfach nicht, dass er von einer anderen Person angefasst wird.»
«Asexuell ist man wohl von Geburt an, aber es hat ganz schön lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass das auf mich zutrifft. Mit etwa 15 oder 16 Jahren habe ich gemerkt, dass es mit Männern nichts wird. Also habe ich das für mich ausgeschlossen und habe mich bei meinen Freunden als lesbisch geoutet – und mich auch so definiert. Mit 17 oder 18 habe ich dann allerdings feststellen müssen, dass es mit Frauen genauso wenig klappt.
Nur schon das Küssen ist überhaupt nicht mein Ding. Meine ersten Erfahrungen in dem Bereich habe ich wohl so mit 14 oder 15 Jahren gemacht – und das auch nur wegen des Gruppendrucks. Nach dem Motto: Alles haben's schon gemacht, also sollte ich auch mal. Das waren dann irgendwelche Knutsch-Aktionen auf Partys im betrunkenen Zustand.
Als ich zum ersten Mal für zweieinhalb Monate einen Freund hatte, bekam ich meinen ersten nüchternen Kuss. Und das fand ich einfach nur eklig. Wenn ich eine Person kennenlerne und ich sie noch so nett finde, habe ich trotzdem nie das Bedürfnis, sie zu küssen – geschweige denn sexuell noch weiterzugehen. Einfach weil ich dabei nichts empfinde.
Dasselbe gilt übrigens für das Thema Selbstbefriedigung. Das habe ich insgesamt in meinem Leben vielleicht dreimal gemacht, einfach um es ausprobiert zu haben. Aber auch das gibt mir nichts. Ich habe kein Bedürfnis danach und komme darum auch nicht auf die Idee, es zu tun.
Ich selbst bezeichne mich nicht nur als asexuell, sondern auch als aromantisch: Sich auf eine Person einzulassen und eine Beziehung zu leben, ist einfach nichts für mich. Ich bin also auch nicht auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin. Richtig enge Freundschaften sind mir dafür umso wichtiger. Das ist alles, was ich brauche.»
«Ich habe mich schon mal verliebt, aber mehr als eine Umarmung war in meiner Fantasie einfach nicht vorhanden. Ich merke zum Beispiel auch gar nicht, wenn jemand mit mir flirtet. Irgendwann ist es dann trotzdem mal dazu gekommen, dass ich mit einem Typen ‹rumgemacht› hab. Das hat mich ziemlich überfordert. Ich habe die ganze Zeit überlegt, was ich als nächstes machen muss und gleichzeitig dachte ich nur: ‹Nein, hier fasst du mich sicher nicht an und da auch nicht.›
Vor einem Jahr bin ich dann zum ersten Mal über den Begriff ‹Asexualität› gestolpert und bin ein bisschen ins Grübeln geraten. Damals dachte ich noch: ‹Nein, das kann nicht sein›. Etwas später habe ich das Wort wieder irgendwo gelesen und dachte: ‹Ja, vielleicht›. Vor ein paar Wochen konnte ich mich dann dazu durchringen, mir selbst einzugestehen: ‹Ja, okay, es ist so›.
Es ist ja auch nicht so, dass Sexualität der einzige Lebensinhalt ist und man sich deswegen permanent darüber Gedanken machen muss. Aber jetzt beschäftige ich mich doch mehr damit. Einfach weil ich wissen will, was über Asexualität schon geschrieben wurde und wo totaler Quatsch erzählt wird.
Was zum Beispiel häufig missverstanden wird, ist Folgendes: Asexualität heisst nicht unbedingt, dass man Sex nicht gern hat, sondern nur, dass man kein Bedürfnis danach hat. Das ist auch der Grund, warum ich selbst noch keinen Sex hatte. Neugierig bin ich natürlich schon – schliesslich reden alle darüber. Ich kann auch nicht ausschliessen, dass ich es nicht doch vielleicht irgendwann mal ausprobiere. Ich müsste dafür aber mit Sicherheit sehr verliebt sein.
Da ich nicht weiss, wie es ist, nicht asexuell zu sein, kann ich auch nicht behaupten, dass mir etwas fehle. Ich kenne es ja nicht anders. Der einzige Haken ist, dass es schwerer ist, jemanden zu finden, der auch so tickt wie du. Und eine Beziehung ist durchaus etwas, das ich mir sehr fest wünschen würde.»
«Vor etwa zwei Jahren wurde mir klar, dass ich irgendwie ‹anders› bin, aber ich wusste nicht warum. Obwohl ich bereits 21 Jahre alt war, hatte ich noch so gut wie keine sexuellen Erfahrungen gesammelt, ausser ein bisschen Küssen vielleicht. Aber schon damit konnte ich nichts anfangen – das fand ich weder zärtlich, noch reizte es mich irgendwie.
Als Kind bin ich missbraucht worden, das könnte möglicherweise einen Einfluss auf mein fehlendes Bedürfnis nach Sex haben. Aber ich glaube nicht, dass das der ausschlaggebende Punkt war. Denn ich habe eine Therapie gemacht, um das Trauma zu verarbeiten, und ich habe nicht das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlt, nur weil ich keine sexuelle Beziehung eingehen kann.
Es gibt Leute, die behaupten, man könne Asexualität therapieren. Aber es stört mich ja überhaupt nicht und selbst wenn es durch das Trauma ausgelöst worden wäre, habe ich keine Probleme damit. Ich trenne den Missbrauchsvorfall und meine Asexualität voneinander – mir geht es gut.
Das einzige was mir fehlt, ist Nähe und Zuneigung. Ich würde sehr gerne eine asexuelle Beziehung führen. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass ich – wenn ich einen Mann finden würde, für den ich ganz grosse Gefühle empfinde – vielleicht sogar mit ihm Sex haben würde. Aber das wäre dann für ihn und nicht für mich.
Was man als asexuelle Person übrigens auch oft zu hören bekommt, ist: «Du hast doch bestimmt ein Problem mit den Hormonen.» Da kann ich sagen: «Stimmt, das habe ich tatsächlich und deswegen muss ich Hormone nehmen. Aber: An meinem Bedürfnis nach Sex hat sich nichts geändert – obwohl ich jetzt hormonell perfekt eingestellt bin.»
«Ich habe in meinem Leben noch überhaupt keine sexuellen Erfahrungen gemacht. Noch nicht mal zum Knutschen ist es jemals gekommen. Einfach weil ich immer schon vorher abgeblockt habe, weil mir in den Situationen nicht wohl gewesen ist. Das war zum Beispiel bei Dates der Fall, als mich eine Person beim zweiten oder dritten Treffen küssen wollte. Aber ich habe das Bedürfnis einfach nicht verspürt.
In der Schule, als es bei meinen Kollegen angefangen hat, dass man den ersten Freund oder die erste Freundin hatte, hat mich das überhaupt nicht interessiert. Damals dachte ich noch: ‹Vielleicht kommt das bei mir ja noch›, aber das ist bis heute nicht passiert. Mit 18 Jahren bin ich dann das erste Mal über den Begriff ‹asexuell› gestolpert und konnte der Sache ab diesem Moment einen Namen geben. Dass ich es bin, wusste ich vorher schon.
Trotzdem hätte ich gerne einen Partner oder eine Partnerin – was das Geschlecht betrifft, bin ich total offen. Wie weit ich in einer Beziehung gehen könnte, müsste ich dann herausfinden. Ich kann mir schon vorstellen, dass Kuscheln und Küssen drinliegen, wenn ich richtig fest verliebt bin. Aber dass ich irgendwann mal Freude an Sex haben könnte, glaube ich eher nicht. Selbstbefriedigung gibt mir zum Beispiel auch nichts. Wenn überhaupt, würde ich es wohl nur aus Liebe zum Partner ausprobieren.
Und das ist auch der Grund, warum ich angefangen habe, online auf die Suche nach einem Partner zu gehen. Das macht alles sehr viel einfacher. Dort kannst du die wichtigsten Dinge schon vor dem ersten Treffen besprechen – und wenn man einander in einem entsprechenden Forum kennenlernt, ist die Sache sowieso klar. So musst du keine Angst haben, dass die andere Person beim ersten Date sonst was von dir erwartet. Ich verabrede mich deswegen nicht extra nur mit asexuellen Personen, aber auch diejenigen, die es nicht sind, wissen, woran sie bei mir sind.»
So verschieden die einzelnen Geschichten auch sein mögen, in einem Punkt sind sich die sechs Frauen einig: Sie alle sind mit ihrer Situation zufrieden und keine von ihnen hat das Gefühl, dass ihr etwas fehlt, nur weil Sex in ihrem Leben keine Rolle spielt.
Eher das Gefühl, anders zu sein und nicht zu wissen, woran es genau liegt, hat ihnen eine Zeit lang Sorgen bereitet. Doch allein die Tatsache, einen Begriff für ihren Gefühlszustand entdeckt und herausgefunden zu haben, dass sie mit ihrem Empfinden bei Weitem nicht allein sind, hat ihnen allen ein befreiendes Gefühl gegeben. Und das ist auch der Grund, warum es ihnen allen ein Anliegen ist, das Thema bekannter zu machen.
* Namen von der Redaktion geändert