Am 14. Mai 1955 war es so weit: In Territet bei Montreux wurde die Gedenkstätte zu Ehren des finnischen Marschalls Carl Gustav Mannerheim enthüllt. Der Präsident des Initiativkomitees war kein Geringerer als General Guisan. Er hatte Mannerheim persönlich gekannt und durch einen Offiziersaustausch von den Taktiken der Finnen lernen können. Doch Carl Gustav Mannerheim war weit über militärische Kreise hinaus bewundert und als Integrationsfigur des unabhängigen Finnlands wahrgenommen worden.
Nach 700 Jahren unter schwedischer Herrschaft war Finnland 1809 ein autonomes Grossherzogtum innerhalb des russischen Reiches geworden. In der Oberschicht sprach man weiterhin hauptsächlich Schwedisch. So auch bei den Mannerheims, einer aristokratischen Familie niederländischer Abstammung. Carl Gustav wurde 1867 geboren und trat mit 20 Jahren in die Kavallerieschule in St. Petersburg ein, wo seine drei Jahrzehnte andauernde Karriere für die Armee des Zaren beginnt. Seinen ersten Kriegseinsatz absolvierte er während des russisch-japanischen Krieges (1904–1905). Dank seiner taktischen und operativen Begabung erhielt er danach den Auftrag, in einer zweijährigen Expedition den russisch-chinesischen Grenzraum zu erkunden.
Während des Ersten Weltkriegs kämpfte Mannerheim erneut für das Zarenreich. Die Februarrevolution von 1917 beendete jedoch seinen Dienst und er konnte in sein Heimatland zurückkehren. Auch hier war die Lage chaotisch, hatte die Regierung doch die Gunst der Stunde genutzt und Finnland für unabhängig erklärt. Gleichzeitig stellte Lenin weitere Gebiete in Aussicht, sollten die Bolschewisten die Macht ergreifen.
Mit einem Aufstand der bolschewistischen «Roten» wurde der Bürgerkrieg mit den regierungstreuen «Weissen» entfacht. Mannerheim wurde zum Oberbefehlshaber der Weissen ernannt. Der vier Monate dauernde Bürgerkrieg, den die «Weissen» schliesslich gewannen, wurde aussergewöhnlich brutal geführt, forderte Tausende von Toten auf beiden Seiten und entzweite die Gesellschaft auch nach dessen Ende. Danach zog sich Mannerheim aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich unter anderem humanitären Tätigkeiten. In dieser Zeit entdeckte Mannerheim die Schweiz und verweilte häufig in Lausanne, um die Natur zu geniessen und sich medizinisch behandeln zu lassen.
1932 unterzeichneten Finnland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Die unmittelbare Gefahr schien damit gebannt, obwohl die Sowjetunion immer wieder Gebietsabtretungen forderte. Mannerheim, mittlerweile aus dem Ruhestand zurückgekehrt und als Oberbefehlshaber der finnischen Armee eingesetzt, empfahl der finnischen Regierung, auf die Forderungen einzugehen. Die finnische Armee verfüge nicht über die Mittel, um sich einem sowjetischen Angriff entgegenzustellen.
Im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts wurde Finnland der sowjetischen Einflusssphäre zugeschlagen. Kurz darauf nahm Stalin erneut Verhandlungen über Gebietsabtretungen auf, die jedoch scheiterten. Die Sowjetunion sah sich nicht mehr verpflichtet, den Nichtangriffspakt mit Finnland einzuhalten und nur wenige Tage später startete die Rote Armee eine grosse Offensive. Der Winterkrieg begann.
Trotz der deutlichen Überlegenheit an Soldaten und Waffen gelang es der Sowjetunion nicht, Finnland zu besetzen, im Gegenteil – die Rote Armee erlitt schwere Verluste. Die finnische Armee zeigte taktisches Geschick und wurde kreativ. Sie verteidigten nicht direkt an der Grenze, sondern da, wo es eine gut zu verteidigende Linie gab. Die Soldaten tarnten sich mit weisser Kleidung und bewegten sich auf Skiern durch den hohen Schnee, wodurch sie flexibler waren als die Sowjets in ihren schweren Stiefeln.
Die Erfolge beflügelten nicht nur die Finnen. Die Hartnäckigkeit dieser kleinen Nation gegen den bolschewistischen Gegner fand grossen Zuspruch in der Schweiz, fühlten sich doch viele Schweizerinnen und Schweizer ebenfalls zwischen den Grossmächten eingekeilt und deren Expansionsdrang ausgesetzt. Einige wollten als Freiwillige in die finnische Armee eintreten, doch der Bundesrat lehnte entsprechende Anträge ab. In einer Spendenaktion kamen innerhalb weniger Monate mehr als vier Millionen Franken zusammen. Die Solidaritätswelle wurde von einer Verehrung des Marschalls Mannerheim begleitet.
Auch die Schweizer Armee war daran interessiert, mehr über die Verteidigungstaktik der extrem mobilen finnischen Armee, deren Kleidung und Bewaffnung zu erfahren. Gerne hätte man eine Militärmission an die finnische Front entsandt, was Mannerheim aber ablehnte. Er erklärte sich jedoch bereit, einen schweizerischen Fragebogen über die Erfahrungen im Winterkrieg beantworten zu lassen.
Die Rote Armee lernte aus ihren Fehlern und bereitete sich für eine Grossoffensive im Februar 1940 besser vor. Finnland musste sich geschlagen geben und einschneidende Kapitulationsbedingungen akzeptieren. Trotz der Niederlage erlangte Mannerheims Führungsstil international Anerkennung, da er gegen einen überlegenen Gegner beachtliche Siege erringen konnte.
In der Schweiz diente der Winterkrieg der Armee als Beispiel dafür, wie ein Kleinstaat gegenüber einer Grossmacht standhalten kann. Auch Geschichtslehrmittel für die Sekundarstufe griffen den finnischen Abwehrkampf auf, wodurch der Winterkrieg bis in die 1970er-Jahre im kollektiven Gedächtnis präsent blieb.
Der Frieden nach dem Winterkrieg war jedoch nur von kurzer Dauer. Der Zweite Weltkrieg schritt voran: Nazideutschland besetzte erst Dänemark, dann Norwegen, während die Sowjetunion die baltischen Staaten annektierte. Finnland suchte nach einer Möglichkeit, die verlorenen Gebiete zurückzuerlangen und kooperierte mit dem noch siegreichen Deutschland. Der daraus resultierende Fortsetzungskrieg gegen die Sowjetunion dauerte bis 1944.
In der Schweiz herrschte vorwiegend die Ansicht, dass Finnland keinen festen Bund mit dem Deutschen Reich eingegangen sei, sondern eigenständig gegen die Sowjetunion kämpfe. Dennoch zeigten sich einige enttäuscht, dass das zuvor bewunderte Finnland mit dem Deutschen Reich «gemeinsame Sache» machte – einige gingen sogar so weit, ihre während des Winterkriegs gespendeten Gelder zurückzufordern.
Ein Jahr nach dem wiederholten Kriegsausbruch kam ein Offiziersaustausch zustande. Zwei Schweizer Offiziere verweilten mehrere Wochen in Finnland und berichteten in Rapporten über das Land und seine Geschichte, aber auch über die Aufstellung an der Front und die militärische Ausbildung.
1943 begann sich abzuzeichnen, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen würde. Finnland wollte sich aus dem Krieg zurückziehen und mit der Sowjetunion Frieden schliessen. Mannerheim betonte später immer wieder, dass er die Ideologie des Dritten Reiches nicht geteilt und Finnland sich nur zu Verteidigungszwecken verbündet hätte. Schliesslich wurde er mit der Mammutaufgabe betraut, einen Separatfrieden mit der Sowjetunion zu verhandeln. Zur Überraschung vieler war er erfolgreich: Trotz weitreichender Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen gelang es dem Land, nicht zu einem Satellitenstaat der Sowjetunion zu werden.
Kurz nach Abschluss der Friedensverhandlungen zog sich Mannerheim unter Berufung auf seine schlechte Gesundheit definitiv aus dem aktiven Dienst zurück. Ab 1948 lebte er mehrheitlich in der Schweiz, in der Klinik Valmont bei Montreux (VD). Hier, abseits vom kriegszerstörten Europa, widmete er sich seinen Memoiren und verschiedenen Gesundheitsbehandlungen. Seit Längerem litt er unter Lungeninfekten, Magengeschwüren und Ekzemen, die sich stets weiter über seinen Körper ausbreiteten. Er führte aber nicht ein gänzlich zurückgezogenes Leben, sondern traf sich häufig mit ehemaligen Konsuln, aristokratischen Häuptern und militärischen Persönlichkeiten.
Im Januar 1951 verschlechterte sich Mannerheims Gesundheit deutlich. Am 27. Januar, kurz vor Mitternacht, verstarb er im Kantonsspital in Lausanne. Zuerst wurde er in der Schweiz aufgebahrt und Schweizer Offiziere hielten die Ehrenwache. Viele Persönlichkeiten erwiesen ihm die letzte Ehre, darunter General Guisan. Per Flugzeug trat der Marschall schliesslich seine letzte Reise nach Finnland an.
Bis heute ist der Name Mannerheim untrennbar mit der Unabhängigkeit Finnlands und dessen Armee verbunden. In der Schweiz wird jedes Jahr eine Gedenkfeier bei seinem Denkmal abgehalten. Und auch der Offiziersaustausch lebt weiter: Das Mannerheim-Stipendium bietet Schweizer und finnischen Offizieren die Gelegenheit, während mehrerer Wochen die militärische Organisation des jeweils anderen Landes kennenzulernen.