Zahlreiche Menschen stehen dicht gedrängt am Geländer der Luzerner Seebrücke und schauen gebannt Richtung Bahnhofsgebäude. Eine mächtige, dunkelgraue Rauchsäule steigt auf, ein leuchtender gelb-oranger Feuerschein scheint aus dem Dachstock des Bahnhofs, durch den graukalten Februarmorgen zusätzlich kontrastiert. Es sind eindrucksvolle Bilder, die vom Brand im Luzerner Bahnhof überliefert sind. Durch die visuellen Quellen bekommen wir einen Eindruck über Wirkung und Dimension dieses Ereignisses, das in seiner Dauer kurz, in seiner Auswirkung aber nachhaltig war.
Kurz nach acht wurde erstmals Rauch im Bahnhofsgebäude entdeckt, um 8.18 Uhr wurde die Polizei alarmiert, die umgehend mit einem Löschpikett ausrückte. Am Bahnhof angekommen drang die Gruppe über Leitern in die verwinkelten Korridore des hölzernen Dachstocks des Aufnahmegebäudes ein. Dort schlugen ihr bereits offenes Feuer und dichter Rauch entgegen.
Trotz Unterstützung von angrenzenden Luzerner Gemeinden, der Polizei und dem Betriebsschutz der SBB konnte die städtische Feuerwehr die Kontrolle über den Brand nicht erlangen. Es blieb nur der Rückzug aus dem Gebäudeinnern und die Bekämpfung des Feuers von aussen. Glücklicherweise konnten alle Bewohnerinnen und Bewohner der Mansardenzimmer im Dachstock evakuiert werden, der Brand forderte keine Menschenleben, was allerdings erst nach dem Brand gewiss wurde.
Die Räumlichkeiten im Parterre wurden geräumt, Schalter- und Perronhalle gesperrt. Innerhalb kurzer Zeit konnten Bahn- und Postbeamten in emsiger Arbeit immerhin weit über 100'000 Briefpostsendungen und Postchecks in Sicherheit bringen, über 1000 Postfächer konnten geräumt werden. Um 8.52 Uhr fuhr der letzte Zug in den Bahnhof ein. Die Passagiere mussten den Bahnhof im Laufschritt verlassen, da das Feuer schon so weit fortgeschritten war, dass bereits mit Einstürzen gerechnet wurde. Der Bahnhof Luzern wurde für den Güterverkehr gesperrt, Schnellzüge hielten fortan im Güterbahnhof, Regionalzüge in den Vorortsgemeinden. Um 9 Uhr fuhren die letzten vier Züge aus dem Bahnhof. Drei Minuten später wurde der Strom abgeschaltet.
Der grösste Feuerstoss ereignete sich kurz nach 9 Uhr, als die Hauptkuppel des Aufnahmegebäudes mit lautem Getöse in sich zusammenbrach. Das Ereignis ist auf zahlreichen Fotografien sowie auf Video festgehalten, an verschiedenen Orten in Bahnhofsnähe verfolgten Menschen den Grossbrand mit dem Objektiv ihrer Kamera. Nach dem Einsturz der Kuppel griff das Feuer im Erdgeschoss um sich. Es frass sich durch Kiosk, Billettschalter, Coiffeursalon, Handgepäckaufgabe, Buffet, Schaukästen und WC-Anlagen. Später stürzte zudem die kleinere Westkuppel des Bahnhofs ein. Gegen 13 Uhr hatte die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle. Der Strom blieb in Bahnhofsnähe abgeschaltet, der Trolleybusverkehr stand still, die Fussgängerunterführung blieb im Dunkeln.
Der Grossbrand hinterliess umfangreiche Schäden: Die grosse Hauptkuppel war nicht mehr, der gesamte Westflügel des Stirngebäudes mit allen Räumlichkeiten des Bahnhofbuffets und die Schalterhalle mit Einnehmerei, Wartsaal, Handgepäckbereich und WC-Anlagen waren vollständig ausgebrannt. Allein bei der Räumung der Trümmer in der Schalterhalle sollten später über 220 Tonnen Schrott geborgen werden. Was die Brandursache betraf, lieferten die Untersuchungsarbeiten keinen eindeutigen Befund. Mit grösster Wahrscheinlichkeit war der Brand an einer Stelle ausgebrochen, wo am Vortag eine Lötlampe bei der Reparatur einer defekten Regenrinne eingesetzt worden war.
Die Aufarbeitung des grössten Brandfalls in der Geschichte der SBB wurde von den Bundesbahnen äusserst nüchtern reflektiert. Der Blick richtete sich von Beginn weg nach vorne, der Fokus lag auf einer schnellen Wiederaufnahme des Betriebs. Schnell wurden Provisorien erstellt. Die Züge konnten dank der unbeschädigten Bahnanlage ohne nennenswerte Verspätung verkehren, am Nachmittag konnten die Poststellen bereits wieder öffnen.
Bei anderen war die Stimmungslage weniger nüchtern. Für viele Zeitgenossen war nicht nur einer der wichtigsten Bahnhöfe der Schweiz für eine gewisse Zeit unbrauchbar gemacht worden. Verschwunden war innerhalb von ein paar Stunden auch eines der bekanntesten Gebäude der Stadt Luzern. Vor allem die von weither sichtbare Zentralkuppel war über die 75 Jahre ihres Bestehens zu einem Erkennungsmerkmal der Stadt geworden. Es war ein Abschied ohne Vorbereitung, wehmütig wurde noch lange dem «schönen alten Bahnhof» nachgetrauert. Das Ereignis verblieb im kollektiven Gedächtnis der Luzernerinnen und Luzerner.
20 Jahre danach wurde schliesslich der neue Luzerner Bahnhof eröffnet, als Referenz an den Brand genau am 5. Februar 1991 um 9.03 Uhr, zur gleichen Uhrzeit, als die Bahnhofuhr 1971 stehen geblieben war. An den alten Bahnhof erinnern heute noch die ursprüngliche Eingangspartie auf dem Bahnhofsplatz mit der von Richard Kissling geschaffenen Bronzeplastik «Zeitgeist» sowie das Wandgemälde «Nord et Sud» von Maurice Barraud, das kaum beschädigt aus der ehemaligen Schalterhalle gerettet wurde und an der Westfassade seinen neuen Platz fand.
Die hatten aber starke Nerven. Ich stelle mir gerade die Schlagzeilen vor, wenn das heute passieren würde.