Er mass nur 1,65 Meter und war doch einer der Grössten: der Filmkomiker Charlie Chaplin. 88 Jahre alt wurde er und starb nach einem ereignisreichen Leben am ersten Weihnachtstag des Jahres 1977. Beerdigt wurde Chaplin auf dem Friedhof von Corsier bei Vevey, ganz in der Nähe der Villa, in der er während Jahrzehnten gelebt hatte. Doch hier beginnt die bizarre Geschichte, die einem der vielen Chaplin-Filme entstammen könnte.
Chaplins sogenannte «ewige Ruhe» im Grab währt nicht lange: In der Nacht vom 1. auf den 2. März 1978 huschen zwei schwarz gekleidete Männer mit Taschenlampe und Schaufeln über den Friedhof von Corsier. Beide sind arbeitslose Automechaniker, der eine 24-jährig, der andere 38-jährig. Sie träumen von einer eigenen Autowerkstatt mit Hebelift und viel Kundschaft. Dazu suchen sie in dieser Nacht das Grab von Charlie Chaplin auf, setzen ihre Schaufeln an und graben so lange, bis sie den Sarg des weltbekannten Komikers freilegen können.
Die zwei Männer aus Bulgarien und Polen hieven den 135 Kilogramm schweren Eichensarg aus dem Boden, tragen ihn über den Friedhof und verladen ihn in ihr bereitstehendes Kombifahrzeug. Sie wittern das grosse Geschäft – doch was soll man in der Zwischenzeit mit einem schweren Eichensarg mit einer prominenten Leiche tun?
Die Entführer finden ein unauffälliges Maisfeld bei Noville am Genfersee, unweit der Mündung der Rhone. Dort heben sie ein grosses Loch aus und verscharren den Sarg mit dem Filmkomiker. Zuerst warten sie, sodass die Gerüchte nach der Entdeckung des offenen Grabs ins Kraut schiessen: Waren Souvenirjäger am Werk? Sollte Chaplin in England begraben werden, wie er es einst gewünscht hatte? Wieder andere bringen die Vermutung auf, Chaplin sei eigentlich Jude gewesen und hätte auf einem jüdischen Friedhof beigesetzt werden sollen.
Doch dann – nach zehn Wochen! – melden sich die Entführer: Sie fordern bei Chaplins Familie für die sterblichen Überreste 600'000 Dollar Lösegeld. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass in Corsier das Grab des Promis ausgehoben worden sei. Deshalb sind die Entführer nicht die Einzigen, die Geldforderungen stellen: Trittbrettfahrer melden sich und stellen bei den Nachkommen ebenfalls Forderungen. So müssen die Entführer beweisen, dass sie im Besitz von Chaplins Sarg sind: Das tun sie mit einem Foto, das den Sarg des Komikers auf dem Acker neben einem Loch zeigt.
Damit liefern sie einen ersten Hinweis der Waadtländer Polizei, die unter Hochdruck ermittelt. Chaplins Witwe Oona geht zum Schein auf die Lösegeldforderung ein, doch der Anwalt der Familie telefoniert mehrmals mit den Kidnappern, angeblich um die geforderte Summe etwas herunterzuhandeln.
Doch die Polizei hat eine Fangschaltung gelegt und kann auf diese Weise die Anrufstelle der Entführer ausfindig machen. Die Grabräuber rufen immer wieder aus anderen Telefonzellen in Lausanne an, sodass die Ermittler insgesamt mehr als 200 Telefonzellen überwachen. Genau 76 Tage nach der Entführung schnappt die Falle der Polizei zu: Sie verhaftet am 16. Mai die beiden Entführer.
Dummerweise können sich die Kidnapper nicht mehr genau an die Stelle auf dem Acker bei Noville erinnern, wo sie den Sarg verscharrt haben. Deshalb muss die Polizei Metalldetektoren einsetzen und findet daraufhin Chaplins Überreste, dank den Metallgriffen am Totenschrein. Man fühlt sich wirklich an eine Filmszene erinnert ...!
Der Sarg von Charlie Chaplin wird schliesslich ein zweites Mal beigesetzt. Doch diesmal wird der Sarg in zwei Metern Tiefe einbetoniert und mit einem Betondeckel versehen. Wie es sich für Charlie Chaplin gehört, kommt auch der makabre Grabraub filmisch zu Ehren: Der französische Regisseur Xavier Beauvois verfilmt den Stoff mit Benoit Poelvoorde, Roschdy Zem und Chiara Mastroianni. Im Jahr 2014 kommt der Film «Die unglaubliche Entführung des Charlie Chaplin» («Le racon de la gloire») in die Kinos. Im Film hat Chaplins Tochter Mitleid mit den Entführern und zeigt sich nachsichtig und spendabel.
Im echten Leben kommen die beiden Grabräuber nicht davon: Sie werden vors Gericht gestellt und werden wegen Störung der Totenruhe und Erpressung verurteilt: der Anführer zu viereinhalb Jahren Gefängnis, sein Komplize zu 18 Monaten auf Bewährung.