Um 1900 regte sich über die Rigikrankheit noch kaum jemand auf. Sie gehörte einfach dazu. Die Hoteliers, ihre Familien und Angestellten machten den schweren Brechdurchfall oft mehrmals pro Saison durch. Manchmal traf es auch bis zu 50 Prozent der Gäste. Die Hoteliers sahen die Ursache dafür in der Bergluft. Hinzu komme, besonders bei Kindern, die Unmässigkeit im Essen und Trinken, speziell der Genuss von Obst, oder das Trinken von kaltem Wasser bei überhitztem Körper.
Im Jahr 1909 aber wurde die Rigikrankheit «arrogant», wie es in einem späteren Untersuchungsbericht heisst. Ganze Klassen, die ihre Schulreise auf die Rigi gemacht hatten, wurden zum Teil schwer krank. Der Zürcher Stadtarzt zählte in einem Bericht 287 Fälle auf, die ihm bekannt geworden waren: Bei einer Klasse erkrankten sämtliche Kinder an schwerem Brechdurchfall, bei einer anderen von 26 Schülerinnen 21, dazu sämtliche Erwachsenen.
Die Städte Zürich und Winterthur handelten und verboten ihren Lehrerinnen und Lehrern, weiterhin Schulreisen auf die Rigi zu unternehmen. Und die Zürcher Gesundheitsdirektion verlangte beim Schwyzer Regierungsrat schriftlich Massnahmen, um solche Vorfälle in Zukunft vermeiden zu können. «Es kann nicht geduldet werden, dass hunderte von Personen sich bei dem Besuche der Rigi der Gefahr aussetzen, nachher ernstlich, ja tödlich zu erkranken.»
Die Rigi war im 19. Jahrhundert der Mode-Berg Europas. Schon um 1840 kamen jeden Sommer rund 40‘000 Personen, nach dem Bau der ersten Bergbahn Europas im Jahr 1871 waren es dann jährlich 70‘000 bis 80'000. In zahlreichen Hotelpalästen auf dem Kulm, dem Staffel, im Klösterli, auf Rigi-First, der Scheidegg oder im Kaltbad konnte man damals übernachten. Im Ganzen gab es etwa 2000 Hotelbetten auf dem Berg.
Zu den Versprechungen der Hoteliers gehörten immer auch die positiven Effekte auf die Gesundheit. Frische Luft- und Molkekuren sollten Gesunden ebenso helfen wie Kranken und Rekonvaleszenten. Umso ungünstiger war natürlich die Rigikrankheit, vor allem ab 1909. Jetzt liess sie sich nicht mehr verstecken oder schönreden. Der Schwyzer Regierungsrat gab nach der Meldung der Zürcher Behörden sofort eine Untersuchung beim Bezirksarzt Carl Real in Auftrag.
Ende 1909 erschien der Bericht, der unmissverständlich aufzeigte, dass nicht die Luft, sondern die zum Teil skandalösen Zustände bei der Trinkwasserfassung hinter der Rigikrankheit steckten. Letztlich waren es Coli-Bakterien, die auch in späteren Jahren immer wieder im Wasser nachgewiesen werden konnten.
Am schlimmsten war die Situation bei den grossen Hotels auf Kulm und Staffel. Ihr Trinkwasser stammte aus mehreren Quellen und dem auf dem Dach gesammelten Regenwasser. Alles floss zusammen in ein grosses Reservoir – auch die Abwässer der höher gelegenen Hotels, die einfach auf eine Weide ausgebracht und fast ungefiltert in einer tiefer gelegenen Quelle wieder gefasst wurden. Vom Reservoir wurde all das wieder als Trinkwasser in die oberhalb gelegenen Hotels gepumpt.
Bei einer Quelle wurde das Wasser in einem sumpfigen Gebiet aus der Erde gepumpt. Die Ausscheidungen von Menschen und Kühen verunreinigten dieses Wasserloch, das im Bericht nur als Quelle in Anführungszeichen bezeichnet wird. Eine andere Quelle floss zunächst in einen offenen Viehtrog; der Überlauf daraus wurde dann ins Trinkwasserreservoir geleitet.
Parallel zu den Untersuchungen von Carl Real machte sich Professor Oskar Wyss, der Direktor des Zürcher Hygiene-Instituts, an die Arbeit. Der Kulm-Hotelier hatte den befreundeten Professor um eine Einschätzung gebeten. Wyss zog noch den damals weitherum bekannten Geologieprofessor Albert Heim bei, der sofort klar urteilte und die Wasserversorgung als eine «höchst gefährliche, gesundheitsschädliche» bezeichnete.
Eigentlich hätten verschiedene Massnahmen ja schon längst umgesetzt werden sollen. Denn neben der Rigikrankheit gab es auch immer wieder Typhus-Epidemien in den Rigi-Hotels. 1893 erkrankten im Hotel Sonne in Rigi-Klösterli 17 Personen, 4 von ihnen starben, darunter der Portier. Als Ursache wurde damals die Verunreinigung der Quellen durch Jauche und Abwasser des weiter oben gelegenen First-Hotels erkannt. Die von Schwyz geforderten Massnahmen wurden aber nur halbherzig umgesetzt.
1909 liess sich der Umweltskandal jedoch nicht länger vertuschen. Die Missstände in der Trinkwasserversorgung waren bereits in verschiedenen Zeitungen zum Thema geworden. Der Zürcher Gemeinderat (der damals noch grosser Stadtrat hiess) forderte 1910, dass erst wieder Schulreisen erlaubt sein sollen, wenn der Zürcher Stadt- oder Schularzt die Zustände bei der Trinkwasserversorgung untersucht habe. Auf der Rigi ging es aber nur zögerlich voran. Einige besonders schlechte Quellen wurden zwar nicht mehr fürs Trinkwasser verwendet, und das Abwasser vom Kulmhotel wurde nun über die Felswand im Osten abgeleitet. Allerdings bestanden die meisten Quellfassungen noch 1912 aus alten Petrolfässern, die im Boden vergraben waren.
1914 eskalierte die Sache und wurde zum schweizweit diskutierten Fall. Es begann mit der Sitzung des Zürcher Stadtparlaments. Stadtrat Friedrich Ehrismann beklagte sich darüber, dass der Kanton Schwyz eine Untersuchung durch die städtischen Gesundheitsbehörden verboten habe. Deshalb müsse man das Besuchsverbot für Schülerinnen und Schüler aufrechterhalten.
Nun meldete sich der Schwyzer Kantonschemiker Jean Bürgi mit einem längeren Bericht in der NZZ. Er schrieb, dass die Behörden seines Kantons alles getan hätten, was in ihrer Macht stehe. Aber man wolle auch nicht, dass sich andere Stellen in die eigenen Angelegenheiten einmischten. Die Situation sei nun bereinigt, und Bezirksarzt und Kantonschemiker hätten den Auftrag, mindestens einmal jährlich die Quellen zu überprüfen.
Dieser Artikel lockte nun seinerseits Professor Albert Heim aus dem Busch. In einem längeren NZZ-Beitrag bezeichnete er es als «gefährliche Naivität», zu glauben, eine oder zwei Untersuchungen pro Jahr könnten genügen. Eine kleine Quelle könne bei trockenem Wetter lange in Ordnung sein, bei Regen aber sofort wieder verseucht werden. Die umgesetzten Massnahmen seien richtig, sie genügten aber überhaupt nicht. Im Namen der vielen Tausenden, die sich schwere Krankheiten geholt hatten, appellierte er an Zürcherinnen und Zürcher: «Wenn ihr auf die Rigi geht, so trinkt dort keinen Tropfen Wasser!»
Der Artikel Heims erregte einiges Aufsehen und wurde in zahlreichen Schweizer Zeitungen zitiert. In der Schwyzer Zeitung wurde unter «Einges.» (Eingesendet) gegen Heim polemisiert, den «Zürcher Wasserschmöcker», der mit seinen «Lamentationen» die schöne Rigi verunglimpfe. Joseph Fassbind war zu jener Zeit Hotelier auf Rigi-Klösterli und gleichzeitig Mitglied des Schwyzer Regierungsrats. Möglicherweise hatte er den Kantonschemiker zu seinem Artikel in der NZZ aufgefordert, in dem erstaunlicherweise sein eigenes Hotel mit keiner Zeile erwähnt wurde.
Albert Heim machte in seinem Artikel auf diesen Umstand aufmerksam – und wurde nun prompt von Joseph Fassbind wegen Kreditschädigung verklagt. Heims Artikel habe wie eine Bombe eingeschlagen und den grösstmöglichen Schaden angerichtet, hiess es in der Klageschrift. Die Gästezahlen seien massiv zurückgegangen. Heim bestritt, dass durch seinen Artikel ein Schaden entstanden sei. Der Rückgang der Gäste im Jahr 1914 sei vielmehr auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurückzuführen.
Alljährlich wurde das Wasser auf der Rigi nun untersucht, 1914 in erweitertem Massstab, «veranlasst durch die bekannte Zeitungspolemik». Zwei Hoteliers hatten sich Filteranlagen gekauft, jene im Kulm-Hotel war allerdings bei der Untersuchung im August schon wieder ausser Betrieb, das Hotel wegen des Kriegs bereits geschlossen. Bei den Untersuchungen war es regnerisch, in verschiedenen Quellen wurden Coli-Bakterien gefunden. Auch in den folgenden Jahren sah es nicht besser aus.
Am 3. Oktober 1917 wies das Zürcher Bezirksgericht die Klage Fassbinds ab. Es sei erwiesen, dass auch das von ihm verwendete Wasser aus einem höchst heiklen Gebiet stamme. Fassbind appellierte ans Obergericht, liess sich später aber auf einen Deal mit Albert Heim ein. Die Klage wurde zurückgezogen, und Heim gab eine Erklärung ab, wonach die Wasserversorgung im Klösterli «nach menschenmöglicher Einsicht» saniert sei.
Der Erste Weltkrieg hatte sämtliche Rigi-Hotels an den Rand des Ruins gebracht. Auf einen Schlag waren die zahlungskräftigen ausländischen Touristen ausgeblieben. Die meisten Betriebe erholten sich nie mehr von diesem Schlag; die Gebäude wurden später abgebrochen, gleich mehrere brannten bis auf die Grundmauern nieder. Ein letztes Mal kam es 1932 zu einem Typhus-Fall, diesmal auf der Luzerner Seite der Rigi, im Kaltbad. Dies führte dazu, dass auch hier die Trinkwasserverhältnisse weiter verbessert wurden.
Also damals schon typisch Kanton Schwyz... 😂
Man sagt, man tue alles was man kann (oder eher was man will...) und die Auswärtigen sollen gefälligst die Klappe halten. 😅