Die Protonen, die durch den Large Hadron Collider (LHC) sausen, beginnen ihre Reise in einem kleineren Beschleuniger, dem Linearbeschleuniger Linac 2, der seit 1978 im Betrieb ist. Er übernimmt die erste Etappe in einer Art Staffellauf, bei der die Teilchen von Gerät zu Gerät weitergereicht und dabei Schritt für Schritt beschleunigt werden, bis sie schliesslich im LHC im Zuge von Experimenten kollidieren.
Am Dienstag weihte das CERN nun den neuen Linearbeschleuniger Linac 4 ein, der den in die Jahre gekommenen Linac 2 ersetzen soll. Linac 4 ist zugleich Teil eines grösseren Upgrades des Beschleunigerkomplexes, wie die Verantwortlichen am Dienstag in Meyrin GE vor der Presse erklärten.
Denn nach einer grösseren Wartungspause von 2019 bis 2020 soll der LHC ab 2021 noch mehr Daten liefern, dank höherer Kollisionsraten, auch «Luminosität» genannt. Mit der Einweihung des neuen Linearbeschleunigers Linac 4 mache das CERN einen wichtigen Schritt für dieses ehrgeizige Projekt «High Luminosity LHC», sagte CERN-Direktorin Fabiola Gianotti. «Wir freuen uns, diese beachtliche Errungenschaft zu feiern.»
Ziel des Upgrades ist es, neue Erkenntnisse über das Higgs-Teilchen zu gewinnen und vielleicht auch Hinweise auf eine neue Physik zu finden. Bis 2025 soll die Luminosität des LHC sogar um den Faktor Fünf gesteigert werden.
Der Bau des neuen Linearbeschleunigers dauerte fast zehn Jahre und kostete rund 90 Millionen Franken. Er ist etwa 90 Meter lang und liegt 12 Meter unter der Erde. Bevor Linac 4 wirklich in Betrieb geht – ebenfalls ab 2021 – muss er noch eine intensive Testphase durchlaufen.
Linac 4 wird negativ geladene Wasserstoffionen – also Wasserstoffatome mit zwei Elektronen – im ersten Schritt des Beschleuniger-Staffellaufs beschleunigen. Dabei erreicht das neue Gerät mehr als das Dreifache der Energie seines Vorgängers Linac 2.
Die im Linac 4 produzierten und beschleunigten Teilchen erreichen bis zu 50 Prozent Lichtgeschwindigkeit, sagte Frédérick Bordry, CERN-Direktor für Beschleuniger und Technologie, der Nachrichtenagentur SDA. Anschliessend reicht es die Teilchen an den nächsten Beschleuniger weiter, den «Proton Synchroton Booster», der sie weiter beschleunigt und die Elektronen entfernt, um daraus Protonen zu machen.
In zwei weiteren Beschleunigern kommen die Teilchen dann auf 99,9 Prozent Lichtgeschwindigkeit, bevor sie 100 Meter unter der Erde im 27 Kilometer langen Ring des LHC im Zuge von Experimenten kollidieren. Die Energiesteigerung und die Verwendung von negativ geladenen Wasserstoffionen als Ausgangsprodukt verdoppeln die Strahlintensität, die den LHC erreicht und steigern damit dessen Luminosität, die Anzahl der pro Zeiteinheit kollidierenden Teilchen.
Mehr Kollisionen bedeuten auch mehr Daten, mit denen die CERN-Forschenden Teilchen wie das Higgs-Boson noch genauer vermessen wollen. Auch könnten sich in der höheren Anzahl Kollisionen seltene Prozesse finden, die mit den bisherigen Instrumenten nicht entdeckt werden konnten.
Letztlich geht es darum, dem Standardmodell der Teilchenphysik immer genauer auf den Zahn zu fühlen. Dieses mathematische Modell beschreibt einen Teil des Universums mit seinen Teilchen und Kräften sehr gut. Es wurde immer wieder in Experimenten bestätigt. Einige ganz elementare Dinge – wie beispielsweise die Gravitationskraft – passen jedoch in dieses Modell nicht hinein, weshalb Forschende nach einer neuen, umfassenderen Theorie suchen. Dabei sollen am CERN immer präzisere Messinstrumente helfen. (sda)