Ein Fiat Topolino fährt am 4. Oktober 1948 mit Höchstgeschwindigkeit auf der Kantonsstrasse zwischen Lausanne und Morges. Der ungestüme Lenker, der als Raser bekannt ist und schon in anderen Fahrzeugen mit 140 Stundenkilometern nach Genf gedonnert sein soll, prallt in einen Lastwagen. Der kleine Fiat erleidet einen Totalschaden, der Fahrer aber hat grosses Glück: Er kommt mit dem Leben davon, wird jedoch von diesem Unfall gezeichnet sein. Es handelt sich beim Unfalllenker um den 21-jährigen Bhumibol Adulyadej, den designierten Königs Thailands.
Der künftige Monarch verliert beim Unfall im Waadtland ein Auge, sodass er fortan mit einem Glasauge und einer partiellen Gesichtslähmung leben muss. Doch am Krankenbett steht ihm eine Bekannte bei, die 16-jährige Sirikit, die Tochter des thailändischen Botschafters in Paris. Sie gilt nach übereinstimmenden Meinungen von Freund und Feind als bildschöne Frau. Noch in der Lausanner Klinik kommen sich Bhumibol und Sirikit näher, sie verloben sich daraufhin und heiraten.
Im Alter von fünf Jahren – 1933 – war Bhumibol mit seiner Mutter und den zwei Geschwistern nach Lausanne gezogen; sein Vater war bereits 1929 nach einem Nierenversagen verstorben. Der kleine Prinz besuchte mit seinem grösseren Bruder Ananda, dem damaligen Thronfolger und späteren König, die private Ecole Nouvelle de la Suisse Romande im Lausanner Stadtteil Chailly, während seine Schwester Galyani auf eine Mädchenschule ging. Zeitzeugen erinnern sich, dass die Königskinder wie alle anderen auch gewesen seien, ganz ohne Sonderbehandlung.
Die Familie wohnte zuerst in der Stadt an der Avenue Auguste-Tissot 16 und dann in der nahe gelegenen Villa Vadhana am Chemin de Chamblandes 51 in Pully. Es ist eine Zeit, die Bhumibol oft und gern als die «unbeschwertesten, glücklichsten Jahre meines Lebens» bezeichnete.
Doch zwei Jahre vor dem Autounfall geschah Schreckliches. Sein engster Vertrauter, Spielkamerad und geliebter Bruder Ananda war nach Thailand gereist und wurde eines Morgens in seinem Zimmer erschossen aufgefunden. Ein Attentat? Ein Unfall beim Hantieren mit der Waffe? Ein Selbstmord? Die Umstände des Todes blieben im Dunkeln.
Für Bhumibol änderte sich schlagartig sein ganzes Leben. Er, der bis dahin im Windschatten des Königs und fern der Heimat aufwachsen konnte, stand nun plötzlich im Rampenlicht: Er war der Thronfolger und künftige König von Thailand. Die Tragödie wurde zum persönlichen Lebensdrama des Prinzen, der sich nach eigenen Aussagen nie wirklich von diesem Schock erholen sollte. Seine Untertanen erzählen, dass man ihn nie wieder richtig lächeln sah, geschweige denn lachen!
Aus dem sorgenfreien Jüngling von Lausanne war über Nacht der traurige König Thailands geworden. Damit erlebte Bhumibol in seinen Jahren in der Schweiz zwei einschneidende und prägende Erlebnisse: der Autounfall mit dem Kennenlernen seiner Frau sowie der frühe Tod seines Bruders und das Nachrutschen auf den Thron.
Vor der Krönung will Bhumibol noch möglichst viel vom Schweizer Bildungssystem profitieren. So studiert er an der Universität Lausanne die Fächer Rechts- und Staatswissenschaften und befasst sich während eines Semesters auch mit den Lehren von Karl Marx – «genau das», meint er später, «was meinem Volk nicht zusagt.» Einen Universitätsabschluss schafft er nicht, denn der erwähnte Autounfall kommt dazwischen, zudem ist seine Anwesenheit in Thailand gefragt.
1950 kehrt er dorthin zurück, heiratet und besteigt, wie es Pflicht und Volk verlangen, den achteckigen Thron im prächtigen Königspalast von Bangkok: Er ist 23 Jahre alt, von denen er 17 Jahre in der Schweiz verbracht hat. Kein Wunder spricht er damals besser Französisch als Thai. Bereits ein Jahr nach der Thronbesteigung reist er wieder nach Lausanne: Das erste Kind von Sirikit und Bhumibol, die Tochter Ubol Ratana, kommt in Lausanne zur Welt.
Zurück in Bangkok erlebt das thailändische Königspaar – so ganz anders als in der demokratischen Schweiz – eine Verherrlichung, Würdigung und Hochachtung sondergleichen. Bhumibol erhält den Beinamen «der Grosse» und wird verehrt wie ein Halbgott. In seiner Regierungszeit übersteht er 18 Staatsstreiche, 23 Premierminister und 16 Verfassungswechsel. Angesichts der politischen Unruhen scheint er, der «Grosse König», über allem zu schweben.
Die enge Beziehung zwischen dem thailändischen König und der Waadt bliebt bestehen. 1960 kommt Bhumibol für einen offiziellen Staatsbesuch in die Schweiz. Weil er gleich sieben Monate bleibt, geht diese Visite als der wohl längste Staatsbesuch aller Zeiten in die Geschichte ein.
Die thailändischen Royals wohnen vorübergehend in der Villa du Flonzaley in Puidoux-Chexbres und reisen von dort zu Queen Elizabeth II., König Baudoin von Belgien, zum französischen Premier Charles de Gaulle und zu Papst Johannes XXIII. Auch 1964 zieht es den «Grossen» wieder in seine zweite Heimat. Er besucht die Landesausstellung Expo 64. Es soll der letzte Besuch von Bhumibol in der Schweiz werden.
Gedanklich bleibt der thailändische König der Schweiz und besonders der Waadt jedoch bis zu seinem Tod 2016 verbunden. 2005 schenkt er der Stadt Lausanne einen wertvollen Pavillon – aus Anlass des 60. Thronjubiläums und des 75. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Thailand und der Schweiz. Der Pavillon glänzt in Gold, ist im Jaturamuk-Stil gehalten und ähnelt mit seiner Fläche von sechs mal sechs Metern einer Miniaturausgabe des Königspalasts. Er steht heute im Denantou-Park in Lausanne und erinnert an das besondere Verhältnis zwischen dem thailändischen Königshaus und der Waadt.
Einer der mir gerade in den Sinn kommt: Kim Jong-un.