
Sag das doch deinen Freunden!
Wenn SP-Präsident
Christian Levrat und sein FDP-Kollege Philipp Müller miteinander
streiten, fliegen häufig die Fetzen. Die beiden schenken sich in
der Regel nichts. Umso ungewöhnlicher war ihr gemeinsamer Auftritt
letzte Woche vor den Medien. Levrat selbst bezeichnete ihn als «Unikum». Anlass für die ungewohnte rot-blaue Harmonie war die
Volksinitiative der CVP «Für Ehe und Familie – gegen die
Heiratsstrafe», über die am 28. Februar abgestimmt wird.
In der ersten
SRG-Trendumfrage erreichte sie mit 67 Prozent Ja die höchste
Zustimmung aller vier Vorlagen. Allerdings sind die Meinungen noch nicht gemacht. Grund genug für die Chefs von SP und FDP, sich aktiv
in den Abstimmungskampf einzuschalten. Sie sind keineswegs gegen die
Abschaffung der «Heiratsstrafe», das zentrale Anliegen der
Initiative. Die CVP-Initiative aber führt laut einer gemeinsamen
Mitteilung der beiden Parteien «in eine steuerpolitische
Sackgasse».
Bislang wird der
Abstimmungskampf vom Streit um den Ehebegriff dominiert. Die CVP
definiert die Ehe im Initiativtext als «auf Dauer angelegte und
gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Dies
treibt die LGBT-Gemeinschaft auf die Barrikaden. Sie sieht in der
Initiative einen Versuch, durch die Hintertür ein Verbot der
Homo-Ehe in der Verfassung zu verankern.
«Die Initianten
tarnen ihre (erz)konservativen gesellschaftlichen Vorstellungen im
steuerpolitischen Mäntelchen», heisst es auf der Website des
Nein-Komitees. Die Frage einer Öffnung der Ehe für Homo- und
Bisexuelle sowie Transgender-Paare aber wird nicht mit der Abstimmung
über die Heiratsstrafe entschieden. Sie muss separat geregelt
werden. Eine parlamentarische Initiative der Grünliberalen für eine «Ehe für alle» wurde vom Nationalrat bereits überwiesen. So
gesehen haben die Initianten recht, wenn sie diese Debatte als
Nebenschauplatz bezeichnen.
Das wahre Problem
liegt in der Frage, wie man die Benachteiligung von Ehepaaren bei der
Besteuerung eliminiert – die so genannte Heiratsstrafe. Die
Einkommen von Verheirateten werden in der Schweiz gemeinsam
besteuert. Das führt zu Problemen: Wenn beide Ehepartner arbeiten,
wird der Zweitverdienst durch die Progression und andere Nachteile
wie wegfallende Prämienverbilligungen häufig gleich wieder weggefressen.
Ein Zusatzjob lohnt sich kaum. Konkubinatspaare sind besser gestellt,
weil ihre Einkommen separat besteuert werden.
Das Bundesgericht
hat die Heiratsstrafe 1984 als verfassungswidrig beurteilt. Seither
hat sich einiges getan: Einzig bei der direkten Bundessteuer sind
noch rund 80'000 Ehepaare mit hohem Einkommen davon betroffen. Die
Kantone hingegen haben die Heiratsstrafe nicht nur weitgehend
eliminiert. Heute sind es häufig die Paare ohne Trauschein, die
steuerlich benachteiligt sind. Man spricht in solchen Fällen von
einem Heiratsbonus – oder einer Konkubinatsstrafe.
Hier setzen SP und
FDP an: Die beiden Parteien wollen als Alternative die
Individualbesteuerung einführen. Ehe- und Konkubinatspaare werden
damit gleich, nämlich einzeln besteuert. Die Initiative
würde sie faktisch verbieten, weil sie die Ehe in steuerlicher
Hinsicht als «Wirtschaftsgemeinschaft» definiert. «Damit
blockiert die Initiative den einfachsten und vernünftigsten Weg zur
Beseitigung der Heiratsstrafe», wird Philipp Müller in der
Mitteilung zitiert.
Die Initianten
wollen davon nichts wissen. Die Individualbesteuerung würde «ein
riesiges Bürokratiemonster» schaffen, warnen sie. Das ist nicht von der Hand zu weisen: Die Kantone fürchten einen höheren
Aufwand, vor allem durch die zusätzlichen Steuererklärungen. Ausserdem könnten Einverdiener-Ehepaare benachteiligt werden, wenn
die Veranlagung getrennt erfolgt.
Was aber wäre die
Alternative? Bei der Besteuerung herrscht ein föderalistischer
Wildwuchs. Zahlreiche Kantone haben das Splitting eingeführt. Das
gemeinsame Einkommen der Eheleute wird aufgeteilt und die Steuerlast
so gemildert. Allerdings ändert das nichts am Grundproblem: In den
Kantonen gibt es «deutlich mehr Konstellationen, in denen
Konkubinatspaare stärker zur Kasse gebeten werden als Ehepaare mit
gleichem Einkommen», schreibt die Aargauer Zeitung.
Hier zeigt sich der
eigentliche Pferdefuss der CVP-Initiative: Sie basiert auf einem
überholten Familienbild. In früheren Zeiten galt die Ehe von Mann
und Frau als einzige akzeptierte Form des Zusammenlebens. Wer allein
lebte, machte sich bereits verdächtig. Von anderen Arten der
Partnerschaft ganz zu schweigen. Das Konkubinatsverbot wurde im
Kanton Zürich erst 1972 aufgehoben. Zuvor zogen viele Paare in den
liberaleren Aargau, um dort in «wilder Ehe» zu leben.
Seither hat ein rasanter Wandel stattgefunden. Die Gesellschaft akzeptiert heute eine Vielfalt von Lebensformen, etwa gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Patchwork-Familien. Auch die Zahl der Single-Haushalte ist so gross wie nie zuvor. Eine Fixierung auf das klassische Ehemodell ist nicht mehr zeitgemäss und zu einem gewissen Grad diskriminierend. Die meisten europäischen Länder haben dies erkannt, die Individualbesteuerung ist dort faktisch die Regel.
«Werden beide Ehepartner separat veranlagt und besteuert, sind sowohl eine Heiratsstrafe wie ein Heiratsbonus ausgeschlossen», halten SP und FDP fest. Es gibt keine Art der Besteuerung ohne Nachteile. Die Individualbesteuerung ist im heutigen Kontext die am wenigsten schlechte.
Die Finanzkommission des Nationalrats hat den Bundesrat
erst letzte Woche aufgefordert, wenn auch sehr knapp, «raschmöglichst» eine entsprechende Gesetzesvorlage vorzulegen. Der neue
Finanzminister Ueli Maurer hat seinerseits angekündigt, dass der Bundesrat
einige Monate nach der Abstimmung Vorschläge für eine Steuerreform
präsentieren will.