Peter Thiel, Milliardär und umstrittener Vordenker im Silicon Valley, war eine der wenigen IT-Grössen, die Donald Trump im Wahlkampf unterstützt haben. Er vertritt extrem libertäre Positionen und würde am liebsten aus dem Staat Gurkensalat machen. Jetzt freut sich Thiel nicht, dass sein Kandidat gewonnen hat, sondern er befürchtet, dass er zu brav sein wird. «Alle sagen, Trump werde zu viel verändern», erklärte er der «New York Times». «Vielleicht wird er zu wenig verändern. Das scheint mir plausibler.»
Thiels Zerstörungswut passt bestens zu seinem Verwaltungsratsmandat bei Facebook. Auch Mark Zuckerberg fordert seine Mitarbeiter ununterbrochen auf, «Dinge kaputt zu machen» (to break things). Disruption ist ohnehin der Begriff im Silicon Valley. Die IT-Zauberlehrlinge träumen davon, die bestehende Ordnung zu zerstören und eine neue, virtuelle Welt zu errichten.
Zerstören will auch Steve Bannon, Trumps Einflüsterer im Weissen Haus. Er hat sich einst als Lenin-Fan geoutet: «Lenin wollte den Staat zerstören, und das ist auch mein Ziel», erklärte er. «Ich will, dass alles einstürzt und dass das Establishment untergeht.»
Zerstörungswut, gepaart mit dem Traum von einer besseren Welt, Frauenhass und idealisierte Männlichkeit sind wieder auf dem Vormarsch. Dabei wiederholt sich ein altbekanntes Schema. Vor knapp 100 Jahren beispielsweise hat der italienische Dichter und Kriegsheld Gabriele D’Annunzio rund 18 Monate die Stadt Fiume (heute Rijeka in Kroatien) beherrscht und eine bizarre Herrschaft aus Militarismus und freier Liebe errichtet. Er war das grosse Vorbild von Benito Mussolini. Hitler hat später seinen Gruss von D’Annunzio abgekupfert.
Einer von D’Annunzios Jüngern charakterisierte die Bewegung wie folgt: «Wir wollen den Krieg verherrlichen – die einzige Hygiene, welche die Welt besitzt –, aber auch den Militarismus, den Patriotismus, die zerstörerischen Akte des Anarchismus, die wahrhaft schönen Werte, für die man stirbt, und die Verachtung für die Frauen. Wir wollen Museen zerstören, aber auch Bibliotheken und alle Arten von Akademien, und wir wollen kämpfen gegen Moralismus, Feminismus und gegen jede Art von opportunistischer Feigheit.»
Milos Yiannopoulos hätte das nicht besser formulieren können. Der britische Provokateur mit griechischen Wurzeln ist zwar bei seinem Kampf gegen Political Correctness und Feminismus einen Schritt zu weit gegangen – er hat selbst pädophilen Sex gelobt – und wurde aus der Redaktion des faschistoiden Online-Magazins Breitbart gefeuert. Das Gedankengut lebt weiter. «Entfremdete Radikale aus der ganzen Welt versammeln sich wieder und schliessen sich zu einer gewalttätigen, extremistischen, frauenfeindlichen Bewegung zusammen: dem selbsternannten «Islamischen Staat» (oder «ISIS»)», schreibt Pankaj Mishra in einem Essay im Magazin «Foreign Affairs».
Mishra ist ein indisch-stämmiger Journalist, der in London lebt und für verschiedene angesehene Publikationen schreibt. In seinem jüngsten Buch «Age of Anger» widerlegt er sehr überzeugend die weit verbreitete These, wonach es im Kampf gegen den «IS»-Terror um einen Kampf von «westlichen» gegen «östliche» Werte, von Christentum gegen Islam geht. Vielmehr ist der tödliche Hass die hässliche Zwillingsschwester der Aufklärung.
«Die Post-9/11-Obsession mit einer Religion aus dem siebten Jahrhundert hat viele blind gemacht für die Mutationen im Herzen der säkularen Modernität», stellt Mishra fest. «Sie verbindet die Radikalen in der muslimischen Welt nicht nur mit Terrorismus und Gewalt, sondern auch mit den vielleicht einflussreichsten politischen und sozialen Bewegungen in der modernen westlichen Geschichte.»
Mit anderen Worten: Nicht der Koran verführt die «IS»-Terroristen zu ihren abscheulichen Taten, sondern Nihilismus und eine abgrundtiefe Verachtung für die Aufklärung, für Rationalität, Vernunft und Bürgersinn.
Mishra hat für seine These einen perfekten Kronzeugen: Timothy McVeigh. Er hat 1995 ein Attentat auf das Stadthaus von Oklahoma verübt, bei dem 168 Menschen (darunter viele Kinder) getötet wurden. 2001 wurde er hingerichtet.
McVeigh war ein «white supremacist». Er glaubte an die Herrschaft der Weissen und kämpfte gegen einen seiner Meinung nach dekadenten Multikulturalismus. Auf seine Hinrichtung wartete er in einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado. Dort befreundete er sich mit Ramzi Ahmed Youssef, einem kuwaitischen Terroristen, der den ersten Anschlag auf das WTC im Jahr 1993 geplant hatte.
Youssef hatte sein Terroristenhandwerk in Afghanistan in einem Lager von Osama bin Laden erlernt. Obwohl die beiden oberflächlich gesehen extrem gegensätzliche Werte vertraten, wurden sie Brüder im Geist. Nach der Hinrichtung von McVeigh erklärte Youssef:
Solche Seelenverwandtschaften sind in der Terrorszene nicht unüblich. So hat sich beispielsweise Anders Behring Breivik, der rechtsextreme norwegische Terrorist, vor seiner Tat im Internet mit fundamentalistischen Hindus verbrüdert. Im Sommer 2011 erschoss Breivik 77 Jugendliche in einem Ferienlager.
Der Terror wird genährt von einem «existenziellen Groll gegenüber anderen Menschen, der von einer Mischung aus intensivem Neid und dem Gefühl von Erniedrigung und Machtlosigkeit erzeugt wird», stellt Mishra fest.
Diese Verbitterung lässt sich bereits bei der Entstehung der liberalen Gesellschaft feststellen, in der Aufklärung. Schon damals gab es zwei Lager: die rationalen Philosophen, die mit Verstand gegen Ignoranz und Vorurteile ankämpfen. Sie setzen auf eine technokratische Zivilisation. Das andere Lager setzt auf eine organische Kultur, welche den Menschen in Einheit mit der Natur sieht.
Der bekannteste Vertreter des rationalen Lagers war Voltaire. Er war so etwas wie der «Davos Man» des 18. Jahrhunderts: brillant, weltgewandt und vermögend. Sein Gegenpart war Jean-Jacques Rousseau. Er erkannte schon früh, dass sich die Verlierer der Aufklärung gegen die Gewinner gewaltsam auflehnen würden.
Mishra umschreibt die beiden Lager wie folgt:
Ganz anders sein Widerpart:
Auch Rousseau träumte den Traum einer idealen Gesellschaft, und die war in seinen Augen Sparta. «Rousseaus Vorstellung von Sparta war historisch begründet – und idealisiert – wie das Kalifat der radikalen Islamisten», schreibt Mishra. «Er attackierte die kosmopolitische Elite, die sich als die Widersacherin von religiösen Vorurteilen und Aberglauben verstand.»
Rousseau wurde so zum Gegenteil des «Davos Man». Er wurde zum Vorläufer des modernen Verlierers der Globalisierung, der sich permanent betrogen fühlt und nach Wiedergutmachung lechzt. Die Zweiteilung in eine rationale Elite und eine verbitterte Unterschicht zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Liberalismus. Die Anarchisten des 19. Jahrhunderts haben Rousseaus Wut genauso geteilt wie die deutschen Romantiker.
Diese Wut ist nach wie vor vorhanden: «‹ISIS› repräsentiert die spektakulärste Verneinung der Heiligtümer der liberalen Modernität», schreibt Mishra:
«Und obwohl ‹ISIS› kaum lange überleben wird, werden andere in deren Fussstapfen treten. Der überraschende und rapide Erfolg der rassistischen Nationalisten und der kulturellen Herrenmenschen sollte die Liberalen ins Grübeln bringen.»