So viel Drama, so wenig Ertrag. Die SCL Tigers haben in 48 Stunden gegen die Titanen ZSC Lions (3:4) und SC Bern (2:4) verloren. Sie haben alles probiert. Mit taktischer Klugheit, Zähigkeit und Leidenschaft fehlendes Talent kompensiert. Aber am Ende stehen sie nach zwei intensiven Partien mit leeren Händen da. Sie hätten nur mit grossen Torhütern punkten können. Weder Ivars Punnenovs (gegen die ZSC Lions mit einer Fangquote von 83,33 %) noch Damiano Ciaccio (mit 85,00 % in Bern) waren gut genug, um für ihre Mannschaft den Sieg zu «stehlen». Die SCL Tigers gewinnen gegen einen Titanen nur, wenn sie höchstens drei Treffer kassieren.
Aussenseiter wie Langnau beschäftigen sich intensiv mit der Analyse, warum es nicht ganz gereicht hat. Die Titanen wie Bern können es sich leisten, auch über den Tag hinaus zu denken. In Bern hat Sportchef Alex Chatelain nächste Woche, nach der Rückkehr vom Champions-Hockey-League-Spiel in Prag, ein erstes Gespräch mit Leitwolf Martin Plüss. Wird er mit seinem Captain verlängern?
Chatelain lässt keine Zweifel, dass er bereit ist, die Zusammenarbeit mit dem besten SCB-Spieler der letzten neun Jahre zu prolongieren. «Aber das hängt ja auch davon ab, was Martin Plüss will. Wir werden die Sache nächste Woche besprechen.» Ja, der SCB-Sportchef sagt sogar, im Falle eines Falles würde er auch abklären, ob es für Plüss innerhalb des Unternehmens SCB einen Job nach dem Rücktritt gebe.
Und was sagt Martin Plüss? Ist eine Vertragsverlängerung möglich? «Die Frage kann ich erst beantworten, wenn ich mich nächste Woche mit Alex Chatelain unterhalten habe.» Der SCB-Captain führt alle Vertragsgespräche selber. Einen Agenten braucht er nicht. Er sagt, er habe diese Saison Vertragsgespräche bisher abgelehnt. Weil er erst einmal herausfinden wollte, welche Leistungen er noch erbringen könne.
Damit dürfte einer Vertragsverlängerung um mindestens ein Jahr kaum mehr etwas im Wege stehen. Die Leistung stimmt. Plüss ist nach wie vor einer der dominantesten Schweizer Center. Pro Match teilt ihm Cheftrainer Kari Jalonen fast eine Viertelstunde Eiszeit zu (14:49 Minuten). Der Zürcher gewinnt die wichtigen Bullys und er hat in 29 Spielen 16 Punkte gebucht. Gestern vollendete Plüss den Sieg gegen Langnau mit dem Tor zum 4:2 ins leere Netz. Es war sein 11. Saisontreffer.
Sogar ein Einsatz bei der WM in Frankreich ist möglich. «Ja, es stimmt, ich habe Patrick Fischer nicht abgesagt, wir werden in dieser Sache noch ein Gespräch führen», sagt Plüss. In der aktuellen Form wäre er in einem WM-Team Center Nummer 1.
Oder ist es doch ein Wagnis, den Vertrag mit einem 39-Jährigen zu verlängern? Immerhin ist Martin Plüss ein Jahr älter als sein Sportchef. Und gerade die Berner wissen um das Risiko der «Saison zu viel»: Ivo Rüthemann steuerte zum Meistertitel von 2013 45 Punkte bei. Er war damals 37 und blieb eine weitere Saison, kam gerade noch auf 6 Skorerpunkte und beendete im Frühjahr 2014 seine Karriere.
Martin Plüss und Ivo Rüthemann sind grosse Spielerpersönlichkeiten – aber gänzlich andere Spielertypen. Ivo Rüthemanns wichtigste «Waffe» war seine Schnelligkeit und er konnte nur offensiv eine tragende Rolle spielen. Ein Einsatz als Defensivstürmer in der dritten oder vierten machte so wenig Sinn, wie einen Formel-1-Boliden als landwirtschaftliches Fahrzeug einzusetzen. Er war viel mehr auf seine Mitspieler angewiesen als Plüss, der als Center alle drei Zonen dominiert und der Mannschaft auch in der dritten und vierten Linie in einer defensiven Rolle sehr viel helfen kann. Und er ist auch bereit, diese Rolle ohne Murren zu übernehmen.
Im nächsten Sommer wechselt Gaëtan Haas (24) von Biel nach Bern. Der rote Teppich wird ihm ausgerollt. Trainer Jalonen hat sich persönlich stark für das Engagement des Bieler Jahrzehnttalentes eingesetzt. Er soll der nächste Martin Plüss werden. Vorerst wird es für ihn allerdings darum gehen, nicht Berns Antwort auf Inti Pestoni (25) zu werden.
Haas ist ein leidenschaftlicher Hockeyspieler und gewillt, den Preis für eine grosse Karriere zu zahlen. Aber er unterschätzt die Anforderungen, die bei einem Grossklub an einen Schlüsselspieler gestellt werden. Gewährsleute melden zwar, er habe inzwischen den welschen Schlendrian beim Sommertraining überwunden. Aber Haas ist physisch noch nicht stark genug, um als Center in einem Spitzenteam eine tragende Rolle zu spielen. Das Risiko, dass Gaëtan Haas im nächsten Herbst Berns Antwort auf Inti Pestoni wird, ist deshalb nicht ganz auszuschliessen. Ambris Jahrzehnttalent wechselte auf diese Saison zu den ZSC Lions und wurde vorübergehend aus der Mannschaft genommen und zum Konditionstraining abdetachiert.
Es wird für Gaëtan Haas einfacher sein, wenn Martin Plüss bleibt. Denn dann kann Trainer Kari Jalonen den dritten oder vierten Sturm mit Martin Plüss aufrüsten und Gaëtan Haas mindestens im zweiten Sturm offensive Freiheiten geben. Der Bieler lässt immer wieder aufblitzen, dass er sehr wohl intensiv zu spielen vermag und dass er keine Angst vor grossen Tieren hat. Aber er ist kein Center für die dritte und vierte Linie. Es wäre eine Verschwendung seines Talentes und seiner Kreativität und letztlich der defensiven Stabilität des Teams nicht dienlich. Bleibt Plüss, ist es für Haas einfacher, sich im Windschatten des Captains ins Team zu integrieren. Plüss kann helfen, seinen Nachfolger aufzubauen.
Wir sehen also, wie wichtig Martin Plüss auch nächste Saison für den SC Bern sein wird. Wenn die Verlängerung mit dem Leitwolf klappen soll, darf SCB-Sportchef Chatelain allerdings keinen Fehler machen.
Martin Plüss ist eine der ganz grossen Spielerpersönlichkeiten unseres Hockeys – und wird es, wenn es denn zu einer Einigung kommt, auch nächste Saison sein. Es gehört sich deshalb nicht, mit ihm um das Salär zu feilschen. Ja, es wäre stil- und respektlos. Die Offerte darf keine Salärreduktion enthalten. Sonst riskiert Alex Chatelain, dass er gleich das ganze Salär einsparen kann.