Drei breitschultrige Männer blicken etwas grimmig auf eine Stellwand. Sie diskutieren auf Französisch. Bald wird ein Geldtransporter ankommen. Die Aufgabe der drei Polizisten wird sein, dafür zu sorgen, dass die Geldübergabe reibungslos stattfinden wird. Wie positionieren sie ihre Einsatztruppe? Brauchen sie spezielle Fahrzeuge? Einen Helikopter? Gibt es Fluchtwege?
Szenenwechsel: Ein grosser Raum voller Männer an Tablets. «Es gibt vier verschiedene Arten von Tätern. Und je nach Art muss man anders mit ihnen verhandeln», sagt ein Verhandler der Kantonspolizei Zürich. Er bereitet die Anwesenden darauf vor, schwierige Situationen wie beispielsweise eine Geiselnahme mithilfe von geschickten Verhandlungen zu entschärfen.
Wir befinden uns im eidgenössischen Ausbildungszentrum in Schwarzenburg im Kanton Bern. Zahlreiche der schmucklosen Räumlichkeiten sind an diesem warmen Herbsttag von Polizisten aus der ganzen Schweiz besetzt. Sie wollen alle bald die Gruppenleitung einer Interventionseinheit übernehmen. Jenen Schweizer Einsatzkräften, die zum Zug kommen, wenn niemand sonst mehr helfen kann. Wenn die Situation brenzlig wird. Wenn Menschen bewaffnet sind, etwa bei Banküberfällen, Geldtransporten, Geiselnahmen oder terroristischen Attacken.
28 solcher Interventionseinheiten gibt es in der Schweiz. Eine ist beim Bund angesiedelt, drei in den Städten Zürich, St.Gallen und Lausanne, der Rest bei den kantonalen Polizeien. Sie heissen «Enzian», «Skorpion», oder «Barracuda». Viele davon wurden als Reaktion auf die blutige Geiselnahme israelischer Sportler an den Olympischen Spielen in München 1972 gegründet. Die Sondereinheit «Enzian» aus dem Kanton Bern war die erste.
Einblicke in die konkrete Arbeit der Interventionseinheiten kriegt man selten. Der journalistische Besuch während der Ausbildung junger Interventionisten in Schwarzenburg war umstritten. Nicht alle waren glücklich darüber. Man zeigt sich nicht gerne in der Öffentlichkeit, arbeitet lieber im Hintergrund. Man fürchtet sich vor negativen Schlagzeilen, vor Schlagwörtern wie «Rambo-Polizei» oder «Elite-Kampftruppe». Und man will auch der Gegenseite nichts preisgeben.
«Wir werden Ihnen nicht erzählen, wie unsere Ausrüstung konkret aussieht oder wie wir uns im Ernstfall einem Gebäude nähern», beginnt dementsprechend auch Matteo Cocchi das Gespräch. Cocchi ist Kommandant der Tessiner Kantonspolizei und als Direktor der Interventionskurse des Schweizerischen Polizei-Instituts (SPI) für die Koordination der Weiterbildung und Förderung der Zusammenarbeit der 28 Sondereinheiten verantwortlich.
Cocchi wechselt während des Rundgangs durch das Ausbildungszentrum rasant zwischen Deutsch, Französisch und Italienisch. Der Tessiner spricht schnell und bestimmt. Cocchi war es auch, der das Treffen in Schwarzenburg initiiert hat. Er ist der Meinung, dass es Zeit sei, etwas Licht in die Blackbox der Schweizer Interventionseinheiten zu lassen.
Der 47-jährige Tessiner hat nach dem Rundgang eine Fragestunde organisiert. Neben ihm sind vier weitere Polizisten anwesend. Sie sind alle aktive oder ehemalige Interventionsspezialisten und verantwortlich für die verschiedenen Interventionskurse, die vom Schweizerischen Polizeiinstitut (SPI) einmal pro Jahr durchgeführt werden.
Zwei davon, Nikolas Aerni* und Simon Huber*, beteiligen sich neben dem Tessiner Kommandanten intensiv am Gespräch. Aerni und Huber heissen eigentlich anders. Weil sie beide in spezialisierten Bereichen tätig sind und von einer erhöhten Gefährdung ausgegangen werden muss, wollen sie anonym bleiben.
«Der Job ist speziell. Darum werden wir auch Spezialisten genannt», antwortet Simon Huber auf die Frage, ob Interventionisten einem ganz normalen Job nachgehen. «Es ist der schönste Job der Welt», ergänzt Kollege Aerni spitzbübisch.
Doch beide räumen ein, dass die Belastung im Job hoch sei. Dass sowohl die körperliche als auch die geistige Fitness bei Einsätzen gefordert werden. Und dass längst nicht alle Uniform-Polizisten für den Job als Interventionist geeignet sind. «Bei den Sondereinheiten sind die Anforderungen in allen Bereichen höher», erklärt Huber.
Der Weg bis dahin verlangt dementsprechend Ausdauer. Je nach Kanton kann sich nur bewerben, wer bereits mehrere Jahre im regulären Polizeidienst gearbeitet hat. Danach folgt ein intensives Auswahlverfahren und eine mehrstufige Ausbildung. Nebst der sportlichen Fitness wird auch die charakterliche Eignung geprüft. «Wir brauchen ausgeglichene, teamfähige, belastbare und flexible Personen. Man muss stressresistent sein und sich schnell auf neue Situationen einstellen können», sagt Aerni und ergänzt: «Auch Bescheidenheit ist wichtig. Wir wollen keine Rambo-Polizisten.»
Aerni spricht in der männlichen Form. Obwohl nichts dagegen spricht, dass auch Frauen einer Spezialeinheit beitreten können, sind sie in der absoluten Minderheit. Auch in den Kursräumen in Schwarzenburg sucht man vergeblich nach Frauen.
Ein Grund dafür ist die hohe Verfügbarkeit, die verlangt wird. Als Uniformpolizist sind die Einsätze geregelter, die Schichten und Einsätze geplant. Interventionisten arbeiten auf Abruf, müssen rund um die Uhr einsatzbereit sein. «Die Lebenssituation und das familiäre Umfeld spielen sicher eine wichtige Rolle», so Aerni.
Hat man die Ausbildung geschafft, gilt es ernst. Die Interventionisten kommen bei der letzten Eskalationsstufe zum Einsatz. «Unsere primäre Aufgabe ist es, Gefahren abzuwehren und Leben zu retten», sagt Huber. Heroisieren wolle er den Job aber nicht. Die «IE», wie polizeiintern die Interventionseinheiten bezeichnet werden, seien nur ein Zahn im Zahnrad.
Komme es zu einem grossen Einsatz, brauche es alle anderen Einsatzkräfte genauso. «Dann geht eine erste Polizei-Patrouille hin, beurteilt die Lage vor Ort, sichert vielleicht ein Gebäude. Dauert der Einsatz länger, braucht es eine Verpflegungslogistik. Womöglich muss auch noch die Feuerwehr einen Einsatz leisten. Hat es Verletzte, kommt die Sanität hinzu. Eine enge Zusammenarbeit mit anderen Blaulichtorganisationen ist essentiell», führt Huber aus. Zusammengefasst: Die Interventionseinheiten arbeiten nie alleine.
Was aber sagen Cocchi, Aerni und Huber zu der immer wieder aufflammenden Kritik? Zu Einsätzen von Interventionisten an Demonstrationen, wo grob gegen die Protestierenden vorgegangen wird? Oder Vorkommnissen wie 2019 im Aargau, wo Mitglieder der Sondereinheit «Argus» einen Mann brutal verhafteten, ohne jeglichen Tatverdacht?
Konkrete Fälle kann und will man nicht kommentieren. «Es passieren Fehler», räumt Kommandant Cocchi aber ein. «Wir versuchen auch in der Ausbildung zu vermitteln, dass Fehler erkannt werden müssen.» Es könne passieren, dass die Lage falsch eingeschätzt werde. Wenn eine Situation brenzlig wird, Personen bewaffnet sind oder gewalttätig werden, entscheidet irgendwann jemand in der polizeilichen Einsatzleitung, eine Interventionseinheit einzusetzen. «Natürlich würden wir uns wünschen, dass beispielsweise bei einem Notruf immer klar ist, womit wir es im Detail zu tun haben. Aber absolute Gewissheit haben wir in den wenigsten Fällen.»
Kollege Aerni pflichtet nickend bei und ergänzt: «Oft unterscheiden sich auch die Aussen- und Innenperspektive auf einen Einsatz.» Er erinnert sich: «Besonders eine Szene ist mir in Erinnerung geblieben. Ich war Einsatzleiter bei einem gefährlichen Einsatz, der nach einem Notruf bei einer Asylunterkunft ausgelöst wurde. Dabei wurde auch eine Interventionseinheit eingesetzt. Vor der Unterkunft waren bereits mehrere Polizeiautos und Krankenwagen stationiert. Ich dachte mir: Wir sind gut aufgestellt, wir haben die Situation im Griff.» Anders habe das eine Sozialarbeiterin der Asylunterkunft erlebt. Sie sei im Nachhinein ob der schieren Anzahl an Polizisten und Sanitäterinnen völlig verstört gewesen.
«Dieses Beispiel zeigt, dass die Einsätze von Interventionseinheiten völlig unterschiedlich wahrgenommen werden können. Für mich war die Sicherheit aller Beteiligten Priorität. Für die Sozialmitarbeiterin waren die vielen Polizeikräfte überfordernd», schliesst Aerni. Huber fügt an: «Wenn zehn Polizisten auf Platz sind, sind auch nie alle für die gleichen Dinge zuständig.»
Man wolle damit Fehler nicht kleinreden. Es gäbe schwarze Schafe und diese seien konsequent auszusortieren. Doch Aerni und Huber wollen auch auf ihre Sicht der Dinge aufmerksam machen. Natürlich sei das Auftreten in voller Schutzausrüstung zuweilen imposant und deute auf eine schwerwiegende Situation hin. Doch von einem angsteinflössenden Auftreten will Huber nichts wissen. «Man muss sich nicht vor den Interventionisten fürchten. Wir sind dafür da, die Sicherheit zu garantieren und den Normalzustand wiederherzustellen.»
Auch dass die Ausrüstung und Uniformen immer dunkler und bedrohlicher würden, bestreiten sie. Die Farben des Ausrüstungsmaterials seien auch den limitierten Anbietern geschuldet, erklärt Cocchi. Zudem deute der Trend aktuelle eher wieder in Richtung hellere Farben wie Steingrau oder Olivgrün.
Neben der Farbe der Ausrüstung ändern sich auch deren Komponenten. Waffen werden moderner, neue Kommunikationsmittel kommen dazu. Man muss sich den wechselnden Bedrohungslagen anpassen. Amokläufe und Terroranschläge sind spätestens seit den terroristischen Anschlägen nach 2015 in Paris oder Brüssel ein reales Gefahrenszenario.
Dies habe zu einem deutlichen Umdenken in der Polizeilandschaft geführt. Die Vorgehensweisen der Uniformpolizei und der Interventionseinheiten sind entsprechend angepasst worden. «Trotz der neuen Gefahrenlagen müssen wir weiterhin die ganze Bandbreite abdecken. Denn Banküberfälle oder bewaffnete Einbrüche gibt es auch weiterhin», sagt Polizeikommandant Cocchi.
Darum hat Kommandant Cocchi vor allem ein Ziel: Alle 28 Sondereinheiten sollen einen so engen Kontakt wie möglich haben. Man soll zusammen gemäss den geltenden einheitlichen Grundlagen ausgebildet werden, dass man im Ernstfall auch reibungslos zusammenarbeiten kann. Denn kommt es in der Schweiz zu einem Terror-Anschlag, braucht es eine kantonsübergreifende Kooperation der verschiedenen Polizeicorps und Interventionseinheiten.
Fragt man Cocchi, ob 28 Sondereinheiten in einem so kleinen Land wie der Schweiz überhaupt Sinn ergeben, nickt er vehement. «Man kann schnell reagieren und ist schnell vor Ort. Zudem arbeiten viele der Interventionisten ja auch als gewöhnliche Uniform-Polizisten und werden nur im Ernstfall aufgeboten.» Einen engeren Austausch zwischen den Kantonen wünscht er sich trotzdem.
Die Fragestunde ist beendet. Nicht so die Kurse der Interventionisten. Die Ausbildungstage zum Gruppenleiter sind lang. Erst nach 18 Uhr leeren sich die Seminarräume. Die drei Romands vom Anfang konnten den Geldtransporter erfolgreich beschützen – in der Theorie jedenfalls. Im Ernstfall wird es dann jedoch nie so sein wie auf dem Papier.
Gut zu wissen, dass es sie gibt.
Waren schon eindrücklich vom Auftreten her. Im Umgang aber sehr respektvoll und professionell.
Dachte im nachinein nur: Zum Glück habe ich nichts verbrochen, verhaften lassen will ich mich von den Jungs dann doch nicht. 😅