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Norbert Valley: Polizisten führen Pfarrer während Gottesdienst ab

Flüchtling geholfen: Polizisten holen Neuenburger Pfarrer aus Gottesdienst

26.10.2018, 05:2926.10.2018, 06:36
Pascal Ritter / CH Media
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Zwei Polizisten stehen in einer Seitengasse der Neuenburger Altstadt. In ihren blauen Uniformen sorgen sie dafür, dass die wenigen Autos, die über das Kopfsteinpflaster holpern, nicht der kleinen Demonstration in die Quere kommen, die sich dort abspielt.

Norbert Valley
Pfarrer Norbert Valley mit Unterstützern.Bild: ch media

Pfarrer Norbert Valley wird sich später bei den Polizisten bedanken. Die Demonstranten lachen, als sie das hören, denn die Polizei steht auch am Anfang der Geschichte, welche den Protest in der Neuenburger Altstadt ausgelöst hat.

An einem Sonntag im Februar platzten die Blau-Uniformierten in den Gottesdienst einer evangelischen Freikirche im Städtchen Le Locle und fragten nach dem 63-jährigen Pfarrer Norbert Valley. Er sah sich veranlasst, mit auf den Posten zu gehen. Die Gläubigen blieben perplex zurück, und Norbert Valley bekam im August einen Strafbefehl. Insgesamt 1250 Franken soll er zahlen.

Strafe für Solidarität

Der Vorwurf lautet «Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts». Valley hatte einem Togolesen ohne Aufenthaltsbewilligung den Schlüssel zu Räumen der Freikirche überlassen. Der abgewiesene Asylbewerber übernachtete ab und zu dort. Als der Togolese im Dezember 2017 von der Polizei aufgegriffen wird, gibt er an, bei Pfarrer Norbert Valley untergekommen zu sein. Darum holten sie den Pfarrer.

Am Donnerstag um 9 Uhr hätte sich Valley nun eigentlich bei einer Anhörung vor der Neuenburger Staatsanwaltschaft gegen den Vorwurf wehren wollen. Er sagt, sein Verhalten sei durch die Bundesverfassung gedeckt. Schliesslich heisse es dort, die Stärke des Volkes messe sich am Wohl der Schwachen.

Sein Anwalt, Olivier Bigler, sieht im Verhalten seines Klienten zudem keinen Verstoss gegen das Verbot der Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts. Er verweist auf einen Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2009.

Das höchste Schweizer Gericht sprach damals eine Frau frei, obwohl sie hin und wieder einen abgewiesenen Asylbewerber bei sich schlafen liess. Durch die sporadische Beherbergung habe sie den Kameruner nicht vor dem Zugriff durch Behörden geschützt, urteilte das höchste Schweizer Gericht. Laut Bigler sei dieser Fall der Geschichte von Norbert Valley sehr ähnlich.

Behörden sistieren Anhörung

Überrascht reagierte Anwalt Bigler, als er am Mittwochmorgen ein Telefon von der Neuenburger Staatsanwaltschaft erhielt. Die Anhörung sei sistiert. Eine Begründung gab es nicht. Auch nicht auf Anfrage dieser Zeitung. Bigler gibt sich zuversichtlich, dass sein Mandant freigesprochen werde. Die Annullierung der Anhörung sieht er als positives Zeichen. Er will nun aber weiteren Bescheid der Behörde abwarten.

Norbert Valley
Die kleine Demo für Norbert Valley-.Bild: ch media

Nicht abgesagt wurde die für den Tag der Anhörung geplante Demonstration von Unterstützern des Pfarrers. Unter den Augen der beiden Polizisten haben sich drei Dutzend Unterstützer vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft versammelt. Neben Freikirchlern markiert die Menschenrechtsgruppe Amnesty International Präsenz.

Die Unterstützer kritisieren in Redebeiträgen die Neuenburger Behörden und das Ausländergesetz beziehungsweise dessen Umsetzung. Im Vorfeld der Kundgebung haben 2600 Personen eine Petition unterschrieben, die einen Freispruch für den Pfarrer fordert. Als eine Delegation die Unterschriften zusammen mit einem Blumenstrauss und einem Sack Gipfeli übergeben will, nimmt eine Sekretärin die Unterschriften entgegen. Gipfeli und Blumen weist sie im Namen der Unbestechlichkeit zurück.

«Nehmen Sie den Rechtsweg!»

Der Staatsanwalt Jean-Paul Rosse empfängt die Delegation auf dem Gang. Er erinnerte daran, dass der Rechtsstaat seine Arbeit tun werde, und verweist auf die bestehenden Rekursmöglichkeiten. «Wir verstehen Ihre Position, werden aber nicht auf diese Dynamik eingehen», sagt Rosse und weist die Protestierenden vor die Türe. Sollte ein Fehlentscheid der Justiz vorliegen, könne dieser auf dem Rechtsweg korrigiert werden, sagt er.

Auf der politischen Ebene hat der Fall Valley indes bereits Wirkung entfacht. Die grüne Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone will per parlamentarische Initiative den umstrittenen Paragrafen aus dem Ausländergesetz korrigieren.

Schliesslich erhält Pfarrer Norbert Valley den Blumenstrauss der Demonstranten. Wie es nun weitergehe, konnte er noch nicht sagen. «Ich warte nun auf weiteren Bescheid.» Zum Abschied winken die Polizisten. (aargauerzeitung.ch)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dreiländereck
26.10.2018 06:16registriert April 2016
Herr Valley hat Grösse.
Er kann Menschen in Polizeiuniformen erkennen.
Er weiss, dass nicht jeder Mensch der diese Uniform trägt, automatisch für die Handlungen aller anderen Menschen welche diese Uniform tragen verantwortlich ist.
Für mich ist es kein Widerspruch wenn er sich bei zwei dieser Menschen für die Arbeit während der Kundgebung bedankt.
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Menel
26.10.2018 07:43registriert Februar 2015
Die Zeit, als Menschlichkeit bestraft wurde, als Dinge wichtiger und wertvoller waren als ein Leben.
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Mutbürger
26.10.2018 06:12registriert Oktober 2018
Die Stärke des Volkes misst sich am Wohle der Schwachen. Seh ich mir unseren Umgang mit Flüchtenden, Armutsbetroffenen, working poor, RentnerInnen, Sozialhilfebeziehenden, Vereinsamten, Menschen am Rande der Gesellschaft & Minderheiten an, komme ich zum Schluss: Das Schweizervolk ist schwach.

Ich fordere mehr MutbürgerInnen & mehr Solidarität!
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