Von wegen unpolitische Teenies, die nur Party machen und im Fitness-Center ihre Muskeln stählen, anstatt sich um ihre Zukunft zu kümmern.
Die Schweizer Schüler haben es am Samstag geschafft, rund 60'000 Menschen bei eisigen Temperaturen gegen den Klimawandel auf die Strasse zu bringen. «Klimanotstand jetzt!» Die Lust am Protest ist ansteckend. Und zwar mittlerweile generationenübergreifend.
Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, ist «extrem beeindruckt» von den Massen, die durch die Städte gezogen sind. Der Wille zur Veränderung erinnere sie an die Gründung der Operation Libero, welche einst ein Haufen junger Studis nach dem Ja zur SVP-Masseneinwanderungs-Initiative ins Leben gerufen hatte. Und heute nicht nur der SVP das Fürchten lehrt. «Wir konnten und wollten nicht mehr länger wegschauen, wie uns die Politik die Zukunft verbaut. Das ist heute ähnlich», so die 27-jährige Bernerin.
Politologe Mark Balsiger geht davon aus, dass der Klimastreik noch weiter wachsen wird: «Die Jugendlichen haben ihr Mobilisierungspotenzial längst noch nicht ausgeschöpft.» Demonstrieren mache ihnen Spass und schaffe gemeinsame Erlebnisse.
Nach der Brandrede von Greta Thunberg am Weltklimagipfel hat sich die Bewegung auch in der Schweiz wie ein Lauffeuer verbreitet. Abgesehen von einem Treffen in der Berner Reitschule organisieren sich die Jugendlichen weitgehend via Whatsapp-Gruppenchats. Was müssen sie tun, damit die Bewegung nicht schon bald wie ein Strohfeuer zusammenfällt?
Sowohl für Zimmermann wie Balsiger ist entscheidend, dass die Schüler ihre dezentrale Organisation rasch weiterentwickeln und den Druck aufrechterhalten. «Die Jugendlichen könnten beispielsweise einen Thinktank #Youth4Climate gründen. Wenn sie das geschickt aufziehen, können sie dauerhaft Einluss nehmen, so wie ‹foraus› in der Aussenpolitk» so Balsiger.
Politisierung der Teenager hin oder her: «Einfach alle paar Wochen auf die Strassen zu gehen wird früher oder später langweilig. Wenn sich das Demonstrieren abnutzt und die Aufmerksamkeit ausbleibt, könnten viele das Interesse wieder verlieren.»
Kurzfristig sieht Balsiger bei den im März und April anstehenden Kantonalwahlen (Zürich, Baselland, Tessin, Luzern) Potenzial für die Klimastreik-Bewegung. «Die Schülerinnen und Schüler könnten etwa Wahlempfehlungen für klimafreundliche Politiker abgeben und so ihren Einfluss in den Kantonen stärken.»
Laura Zimmermann empfiehlt den jugendlichen Organisatoren, ihre Authentizität zu behalten und sich keinesfalls für die Politik zu verbiegen. «Die Zeichen stehen gut, dass die Jugendlichen mit dem Schülerstreik weiterhin Erfolg haben. Denn die Schweizer Klimapolitik ist im internationalen Vergleich extrem rückständig.»
Die Jugendlichen haben für den 15. März bereits den nächsten Klimastreik angekündigt. Was danach folgt, ist völlig offen. Klar ist aber: Nachdem sich der Klimastreik innert wenigen Wochen zur Massenbewegung gemausert hat, dürften in den Parteizentralen die Köpfe rauchen. «Der Klimawandel hat das Potenzial, das Mega-Thema des Wahljahres zu werden», so Balsiger. Wenn denn nicht ein aktuelles Grossereignis wie 2015 die Flüchtlingskrise oder 2011 der Supergau in Fukushima eintrete.
«Die Grünen und die Grünliberalen haben nur schon wegen ihres Namens einen Vorteil», erklärt Balsiger. Erhebungen zeigten, dass ihnen die Bevölkerung bei diesem Thema eine beachtliche Lösungskompetenz zuspricht.
Andere Parteien, die sich auch im Jahr 2019 um den Klimaschutz foutieren, haben dagegen ein Problem.
Bei der FDP ist punkto Klimapolitik bereits Feuer im Dach. Im Kanton Bern haben die Jungfreisinnigen bei der Abstimmung vom 10. Februar die Ja-Parole zum Energiegesetz beschlossen, während die kantonale FDP ein Nein empfiehlt.
«Wir haben eine andere Sensibilität. Unsere Generation ist mit dem Klimawandel aufgewachsen», erklärt die 28-jährige Jungfreisinnige Laura Bircher die Meinungsverschiedenheit in der NZZ am Sonntag. Auch sie sei dafür, dass man so wenig wie möglich reglementiere. Aber der Klimaschutz sei zu wichtig. «Da muss man bei den liberalen Grundsätzen kleine Abstriche machen.»
Unter anderem sieht das Gesetz vor, dass Gas- und Ölheizungen in Wohnbauten wenn immer möglich durch Heizungen ersetzt werden sollen, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden.
Ausgeschert ist auch der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, der sich für die Gletscher-Initiative engagiert, nachdem ihn seine Töchter am Familientisch für das Thema sensibilisiert hatten. «Die Schweizer Politik hat den Klimawandel völlig verschlafen. Darum ist es umso wichtiger, dass die junge Generation sich erhebt», bilanziert Zimmermann von der Operation Libero.
Seit den Jugendunruhen in den 1980er-Jahren sind nie mehr so viele Teenager wie beim Klimastreik auf die Strasse gegangen. Einzig als die USA 2003 in den Irak einmarschierten, mobilisierten sich die Schüler ähnlich zahlreich wie in den vergangen Wochen. «Damals fanden sich Tausende Jugendliche vor der US-Botschaft zu Sit-ins ein», erinnert sich Balsiger.
1990 protestierten Zehntausende wegen des Fichenskandals in Bern. Damals gingen allerdings unterschiedlichste Generationen gemeinsam auf die Strasse – wie am letzten Samstag auch. «Damals mobilisierten die Organisatoren per Kettentelefon und Flugblätter statt wie heute per Whatsapp und Instagram», so Balsiger. Laura Zimmermann erinnert der Klimastreik an die Women’s-March-Bewegung, als nach der Wahl von Donald Trump meist junge Leute gegen den sexistischen US-Präsidenten protestierten, was sich in der #metoo-Bewegung niederschlug.