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In der Romandie droht Tamedia mit sofortiger Entlassung.

Des journalistes du groupe Tamedia Publications Romandes (Le Matin, 24heures, Tribune de Geneve et 20minutes) manifestent pendant une greve ce mercredi 4 juillet 2018 a Lausanne. Les journalistes de T ...
Streikende Redaktionsmitglieder vor dem Tamedia-Sitz in Lausanne.Bild: KEYSTONE

Tamedia droht streikenden Mitarbeitern mit sofortiger Entlassung

Die Unternehmensspitze des grössten Schweizer Medienhauses reagiert scharf auf den Streik von vier Westschweizer Redaktionen. Derweil solidarisieren sich die Tamedia-Journalisten aus der Deutschschweiz mit den Streikenden – und üben deutliche Kritik am Verhalten des Verlagshauses.
04.07.2018, 12:2705.07.2018, 08:27
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Seit gestern um 16 Uhr befinden sich die Journalisten der Westschweizer Tamedia-Zeitungen «Tribune de Genève», «24 heures», «Le Matin» und «Le Matin Dimanche» im Streik. Die Niederlegung der Arbeit soll bis heute Mitternacht fortdauern. Der Streik war gestern von einer deutlichen Mehrheit von 88 Prozent des Redaktionspersonals beschlossen worden, wie die Gewerkschaften Syndicom und Impressum bekanntgegeben hatten.

Streik wird fortgesetzt
Die Angestellten des Medienkonzerns Tamedia in der Westschweiz führen ihren Streik fort. Gleichzeitig wollen Redaktions- und Gewerkschaftsvertreter unter der Leitung der kantonalen Einigungsstelle mit der Unternehmensspitze verhandeln.

Das hat die Generalversammlung der Redaktorinnen und Redaktoren am Mittwoch in Lausanne beschlossen. Sie hat eine Delegation aus Mitgliedern der Personalkommission und von den Gewerkschaften mit den Verhandlungen vom Donnerstag beauftragt, wie der Berufsverband Impressum mitteilte. (sda)

Die Streikenden verlangen vom Zürcher Medienkonzern, dass er auf die Kündigungen beim «Le Matin» verzichtet und sich für den Erhalt der Medienvielfalt in der Westschweiz engagiert. Tamedia hatte vergangenen Monat angekündigt, die Printausgabe von «Le Matin» – der meistgelesenen Zeitung der Romandie –  auf Ende Juli einstellen. 41 Mitarbeitenden droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Das Medium soll es nur noch online geben, mit einer 15-köpfigen Redaktion.

Die Reaktion des grössten Medienkonzerns der Schweiz fällt heftig aus. Gestern hatte Tamedia die Mitarbeitenden bereits dazu aufgerufen, unverzüglich wieder an die Arbeit zu gehen. Zusätzlich drohte die Unternehmensspitze mit einer Kündigung des Gesamtarbeitsvertrags (GAV), sollte der Streik nicht beendet werden.

In einer internen E-Mail von heute morgen ging Serge Reymond, Mitglied der Unternehmensleitung, noch einen Schritt weiter. Streikenden Mitarbeitern, die sich nicht heute bis 11 Uhr bei ihren Vorgesetzten meldeten, um die Arbeit wiederaufzunehmen, droht das Unternehmen mit der fristlosen Entlassung. 

Tamedia sieht sich im Recht, die Arbeitsverträge mit den Streikenden unverzüglich aufzulösen und sei nicht dazu verpflichtet, die vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Ausserdem hätten die Streikenden keinerlei Anspruch auf Leistungen aus einem allfälligen Sozialplan.

Des journalistes du groupe Tamedia Publications Romandes (Le Matin, 24heures, Tribune de Geneve et 20minutes) entament une greve ce mardi 3 juillet 2018 a Lausanne. Les journalistes de Tamedia Publica ...
Bild: KEYSTONE

Harsche Kritik der Deutschschweizer Tamedia-Journalisten

Die Deutschschweizer Redaktorinnen und Redaktoren erklärten in einer am Mittwochmittag veröffentlichten Erklärung ihre Solidarität mit den streikenden Kollegen in der Romandie aus. Auch sie «seien höchst besorgt über die dramatisch erodierende Medienvielfalt in der Schweiz», heisst es in dem Schreiben, das watson vorliegt. Auch in der Deutschschweiz habe die Medienkonzentration «ein besorgniserregendes Ausmass» angenommen. 

Man habe grösstes Verständnis für den Streik der  Kollegen in der Romandie. Die Deutschschweizer Journalisten «sind enttäuscht über unseren Arbeitgeber, der in einer ersten Reaktion keine bessere Antwort hatte, als den streikenden Kolleginnen und Kollegen mit einer unilateralen Kündigung des gültigen Gesamtarbeitsvertrags zu drohen».

Die Personalkommissionen der Deutschschweizer Tamedia-Zeitungen sowie der Produktion zeigen sich in der Erklärung «konsterniert über die neuesten, weitreichenden Sparentscheide, welche die Geschäftsleitung von Tamedia derzeit sowohl in der Westschweiz wie in der Deutschschweiz umsetzt ». Dabei sei weder die Öffentlichkeit noch die Belegschaft angemessen über das Ausmass dieses Stellen- und Leistungsabbaus informiert worden

Die Solidaritätserklärung beinhaltet vier «dringende Forderungen» an Eigentümer, Verwaltungsrat, Verleger und Geschäftsleitung von Tamedia. Diese werden dazu aufgefordert:

  • sich bei ihren unternehmerischen Entscheiden «nicht allein von der Eigenkapitalrendite und vom Aktionärsnutzen leiten zu lassen», sondern - wie ihre Vorgänger - auch die staatspolitisch unverzichtbare Funktion der Medien zu berücksichtigen.
  • sich auf «den Wert der Sozialpartnerschaft zurück zu besinnen» und ihren Geist zu leben.
  • die Einstellung der Printausgabe von «Le Matin» zu sistieren und gemeinsam mit allen Beteiligten und potenziellen Käufern «nach einer Lösung zu suchen, die den Interessen der Öffentlichkeit, der Belegschaft und der über täglichen 200 000 Leser besser gerecht wird».
  • die Öffentlichkeit und die Belegschaft endlich «offen über das ganze Ausmass und die Art des Stellen- und Leistungsabbaus» bei den Tamedia-Redaktionen in der Romandie und der Deutschschweiz zu informieren
  • mit den Westschweizer Tamedia-Redaktionen in einen «ernsthaften und ergebnisoffenen Dialog» zu treten. Dieser müsse das Ziel haben, bereits ausgesprochene Kündigungen zurück zu nehmen und weitere zu verhindern
Video: srf/SDA

Demonstration in Lausanne

Derweil versammelten sich die Streikenden am Mittwochmittag am Bahnhof von Lausanne zu einer Demonstration. Um 17 Uhr soll dann auf einer Vollversammlung über das weitere Vorgehen beraten werden.

Im schwelenden Arbeitskampf hat Tamedia am Mittwochmorgen die Schlichtungsstelle in kollektiven Arbeitsstreitigkeiten des Kantons Waadt gebeten, in den Konflikt einzugreifen. Der Medienkonzern fordert die Gewerkschaften auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und einen Sozialplan auszuhandeln.

Video: srf
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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so wie so
04.07.2018 12:35registriert Juli 2015
Ich denke nicht, dass eine fristlose Entlassung in diesem Fall durchkommen würde. Das Arbeitsverhältnis müsste wärend der Kündigungsfrist untragbar sein und das ist es auf Grund eines Streiks nicht. Tamedia macht sich immer weiter einen schlechten Namen.
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
04.07.2018 12:40registriert Juni 2017
Eine fristlose Kündigung durch Tamedia wäre ein zuverlässiger Weg zu ein paar Monatslöhnen Entschädigung für die Betroffenen.

Diese Drohung ist peinlich.
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IMaki
04.07.2018 15:36registriert April 2014
In Serge Reymonds E-Mail kommt ungeschminkt der Zynismus der heutigen TA-Führungsriege zum Ausdruck: Man kalkuliert ganz offensichtlich eine Niederlage vor Arbeitsgericht und die damit zusammenhängenden Entschädigungen ein. Die somit um Monate früher - als nach endlosen Verhandlungen - losgewordenen Mitarbeiter rechnen sich somit für das Unternehmen immer noch besser als ein Sozialplan. Dieses Gedankengut kam letztmals im 19. Jahrhundert zum Ausdruck - bevor Karl Marx seine Analyse vorlegte.
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