Seit gestern um 16 Uhr befinden sich die Journalisten der Westschweizer Tamedia-Zeitungen «Tribune de Genève», «24 heures», «Le Matin» und «Le Matin Dimanche» im Streik. Die Niederlegung der Arbeit soll bis heute Mitternacht fortdauern. Der Streik war gestern von einer deutlichen Mehrheit von 88 Prozent des Redaktionspersonals beschlossen worden, wie die Gewerkschaften Syndicom und Impressum bekanntgegeben hatten.
Die Streikenden verlangen vom Zürcher Medienkonzern, dass er auf die Kündigungen beim «Le Matin» verzichtet und sich für den Erhalt der Medienvielfalt in der Westschweiz engagiert. Tamedia hatte vergangenen Monat angekündigt, die Printausgabe von «Le Matin» – der meistgelesenen Zeitung der Romandie – auf Ende Juli einstellen. 41 Mitarbeitenden droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Das Medium soll es nur noch online geben, mit einer 15-köpfigen Redaktion.
Die Reaktion des grössten Medienkonzerns der Schweiz fällt heftig aus. Gestern hatte Tamedia die Mitarbeitenden bereits dazu aufgerufen, unverzüglich wieder an die Arbeit zu gehen. Zusätzlich drohte die Unternehmensspitze mit einer Kündigung des Gesamtarbeitsvertrags (GAV), sollte der Streik nicht beendet werden.
In einer internen E-Mail von heute morgen ging Serge Reymond, Mitglied der Unternehmensleitung, noch einen Schritt weiter. Streikenden Mitarbeitern, die sich nicht heute bis 11 Uhr bei ihren Vorgesetzten meldeten, um die Arbeit wiederaufzunehmen, droht das Unternehmen mit der fristlosen Entlassung.
Grève à Tamedia: dans un mail interne envoyé ce matin, l’éditeur menace de virer les grévistes. @RTSinfo pic.twitter.com/EVXNzVSBqv
— Rouven Gueissaz (@rgueissaz) 4. Juli 2018
Tamedia sieht sich im Recht, die Arbeitsverträge mit den Streikenden unverzüglich aufzulösen und sei nicht dazu verpflichtet, die vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Ausserdem hätten die Streikenden keinerlei Anspruch auf Leistungen aus einem allfälligen Sozialplan.
Die Deutschschweizer Redaktorinnen und Redaktoren erklärten in einer am Mittwochmittag veröffentlichten Erklärung ihre Solidarität mit den streikenden Kollegen in der Romandie aus. Auch sie «seien höchst besorgt über die dramatisch erodierende Medienvielfalt in der Schweiz», heisst es in dem Schreiben, das watson vorliegt. Auch in der Deutschschweiz habe die Medienkonzentration «ein besorgniserregendes Ausmass» angenommen.
Man habe grösstes Verständnis für den Streik der Kollegen in der Romandie. Die Deutschschweizer Journalisten «sind enttäuscht über unseren Arbeitgeber, der in einer ersten Reaktion keine bessere Antwort hatte, als den streikenden Kolleginnen und Kollegen mit einer unilateralen Kündigung des gültigen Gesamtarbeitsvertrags zu drohen».
Die Personalkommissionen der Deutschschweizer Tamedia-Zeitungen sowie der Produktion zeigen sich in der Erklärung «konsterniert über die neuesten, weitreichenden Sparentscheide, welche die Geschäftsleitung von Tamedia derzeit sowohl in der Westschweiz wie in der Deutschschweiz umsetzt ». Dabei sei weder die Öffentlichkeit noch die Belegschaft angemessen über das Ausmass dieses Stellen- und Leistungsabbaus informiert worden.
Die Solidaritätserklärung beinhaltet vier «dringende Forderungen» an Eigentümer, Verwaltungsrat, Verleger und Geschäftsleitung von Tamedia. Diese werden dazu aufgefordert:
Derweil versammelten sich die Streikenden am Mittwochmittag am Bahnhof von Lausanne zu einer Demonstration. Um 17 Uhr soll dann auf einer Vollversammlung über das weitere Vorgehen beraten werden.
La manif #tamedia romande est en route. Soutenons le personnel. https://t.co/NcyEY89sEi pic.twitter.com/3ZeOiXoBNl
— syndicom (@syndicom_fr) 4. Juli 2018
Im schwelenden Arbeitskampf hat Tamedia am Mittwochmorgen die Schlichtungsstelle in kollektiven Arbeitsstreitigkeiten des Kantons Waadt gebeten, in den Konflikt einzugreifen. Der Medienkonzern fordert die Gewerkschaften auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und einen Sozialplan auszuhandeln.