Ein historischer Tag steht an, wenn heute Mittwoch erstmals in der Geschichte des 170-jährigen Bundesstaats das Parlament zwei Frauen aufs Mal neu in die Regierung wählt. Danach sieht es aus. Herausforderer Hans Wicki (FDP) gelang es in den vergangenen Tagen nicht, die Favoritin noch vom Thron zu stossen.
Vielmehr wird spekuliert, ob Karin Keller-Sutter gar im ersten Wahlgang das absolute Mehr erreicht – eine seltene Ehre, die zuletzt Doris Leuthard 2006 zuteilwurde. Bei der CVP wird unabhängig vom Ausgang am Ende eine Frau als Siegerin dastehen: Viola Amherd oder Heidi Z’graggen.
Trotzdem mag am Tag dieser historischen Wahl niemand mehr über die Frauenfrage sprechen. Lieber wird über «fehlende Visionen» der Kandidatinnen gelästert. Es wird gemäkelt, dass sie sich zu weit rechts oder links positionieren oder in Sachen Umweltschutz nicht überzeugen.
Viele erwarten eine «langweilige Wahl», weil Überraschungen ausbleiben. Auf Sprengkandidaten wettet niemand mehr, auch wenn der eine oder andere Politiker es wohl nicht lassen kann und CVP-Präsident Gerhard Pfister oder Bundeskanzler Walter Thurnherr auf seinen Zettel schreiben wird. Chancen haben sie keine.
So wirkt das Szenario, dass bald nur noch eine Frau im Bundesrat vertreten sein wird, aus heutiger Sicht abwegig. Dabei war das vor wenigen Wochen noch ein realer Ausgang. Spekulationen, wie Viola Amherd und Karin Keller-Sutter parteiintern noch ausgebremst werden könnten, machten die Runde. Heute ist das Szenario undenkbar. Die Frauenfrage ist geklärt und bedarf keiner weiteren Diskussion. Sogar bürgerliche Politiker wie FDP-Nationalrat Thierry Burkart freuen sich darüber, dass dies zur «Normalität» geworden ist.
Aus dem Nichts hat sich die Frauenfrage indes nicht normalisiert. Dazu beigetragen haben erstens die Kandidatinnen selbst, die sich gegen ihre männliche Konkurrenz durchsetzen konnten, weil sie schlicht qualifizierter sind. Da sind zweitens die Parteien, die geschickt agierten, indem sie die besseren Kandidaten nominierten und so Diskussionen ums Geschlecht im Keim erstickten. Stattdessen konnten die Kandidatinnen mit ihren Qualifikationen und politischen Positionen punkten.
Und da ist schliesslich auch der jahrelange Kampf um Gleichberechtigung. Die frühere CVP-Nationalrätin und gescheiterte Bundesratskandidatin Judith Stamm, die sich für die Gleichstellung von Mann und Frau einsetzte, sagt heute: «Für jemanden wie mich, der das Frauenfähnchen hochhält, ist diese Wahl eine Genugtuung.»
Unter dem Strich zeigt das Engagement des Frauenverbands Alliance F Wirkung. Co-Präsidentin Maya Graf (Grüne/BL) forderte vor einem Jahr eine «angemessene» Vertretung der Frauen im Bundesrat. Das tritt nun ein, wenn das Parlament heute die achte und neunte Bundesrätin wählt. Parallel dazu weibelte der Verband für die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs, für Lohngleichheit und Geschlechter-Richtwerte in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten von grossen Firmen.
Vor zwei Tagen bewilligte das bürgerliche Parlament, dass Unternehmen mit mindestens 100 Arbeitnehmern künftig alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen müssen. Für den Vaterschaftsurlaub zeichnet sich eine Mehrheit für einen Gegenvorschlag ab und auch der Kampf gegen die Übervertretung von Männern in Führungsgremien ist auf Erfolgskurs.
Ob eine «angemessene» Vertretung der Geschlechter tatsächlich zur Normalität wird, steht auf einem anderen Blatt. Zwar rückt die Schweiz laut dem weltweiten Ranking des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen auf Platz zehn vor, was die Geschlechtervertretung in der Landesregierung betrifft. Maya Graf verweist auf andere staatliche Ebenen, wo der Frauenanteil stagniert oder gar rückläufig ist: «Frauen sind nach wie vor untervertreten in National- und Ständerat und in vielen Kantonsregierungen.» Es gebe Kantone, wo keine einzige Frau mitregiert. Sie sagt: «Die Bundesratswahlen sind erst ein Anfang.» (aargauerzeitung.ch)