Mehr als 300'000 Deutsche leben in der Schweiz, manchmal gibt es Reibereien mit den Eidgenossen. Beide Seiten pflegen ihre Vorurteile. Dabei läuft es in Wirklichkeit ziemlich gut. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb vor seinem Staatsbesuch am Mittwoch und Donnerstag gegenüber SRF darum, die EU nicht als Feindesland zu betrachten.
Nichts pflegt der Durchschnittsbürger so gerne wie seine Vorurteile. Der Schweizer an sich ist in den Augen vieler Deutscher oft spiessig, verschlossen, langsam und steht auf Schokolade und Käse. Für Schweizer wiederum sind Deutsche oft Besserwisser, dominant und hochnäsig, und mögen Dackel, Wurst und Vereinswesen.
Dabei klappt es beim direkten Aufeinandertreffen eigentlich immer ganz gut mit der Sympathie. Und trotzdem: So manches bleibt schwierig. Von dem besonderen Verhältnis kann sich der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Staatsbesuch in der Schweiz diesen Mittwoch und Donnerstag ein Bild machen.
Wo der Spass für die Schweizer aufhört: wenn ihr Land als «kleiner Bruder» Deutschlands bezeichnet wird. Sie kontern dann mit der Bezeichnung «der grosse Kanton», als sei Deutschland nur ein Teil der Eidgenossenschaft. Noch schlimmer: wenn Deutsche ein verniedlichendes «-li» ans Ende eines Wortes hängen und meinen, das sei dann Schweizerdeutsch. Etwa «Fränkli» statt Franken bei der Währung.
«Wir sind uns eigentlich sowas von ähnlich, auch was Klischees wie Pünktlichkeit, Gründlichkeit, Sauberkeit betrifft», diagnostizierte der Winterthurer Kabarettist Viktor Giacobbo einmal in einem Interview mit der «Badischen Zeitung» von Freiburg im Breisgau.
Vielleicht deshalb die kleinen Reibereien. «Die Deutschschweizer haben einen immerwährenden Minderwertigkeitskomplex und auch ein bisschen Angst gegenüber den Deutschen: Die reden schneller und geschliffener und sagen immer, was sie wollen», meinte Giacobbo.
Vor ein paar Jahren gab es richtig Zoff. Weil Zehntausende Deutsche jedes Jahr in die Schweiz zügelten, angezogen von hohen Schweizer Löhnen. Dort wurden sie als Billiglöhner beschimpft, weil sie für weniger Geld arbeiteten als Schweizer. Nicht nur in der Boulevardpresse durften sich Schweizer dann Luft machen über die gefühlte germanische Invasion.
«Wenn es nur noch deutsche Serviertöchter hat, deutsche Ärzte, ich in den Schweizer Bergen nur noch von Deutschen bedient werde, fühle ich mich nicht mehr daheim», regte sich die SVP-Politikerin Natalie Rickli 2012 im «Blick» auf. «Einzelne Deutsche stören mich nicht, mich stört die Masse.»
Ein Autovermieter wartete unter einem Foto mit deutschen Nobelkarossen mit dem Werbespruch auf: «Die günstigste Gelegenheit, mal einen Deutschen zu treten.»
Die Gratiszeitung «20 Minuten» fand 2013 in einer Umfrage unter 6000 Teilnehmern heraus, dass zwar 43 Prozent der Schweizer «mehr oder weniger ausgeprägte Sympathie» für die nördlichen Nachbarn bekunden. Aber ein knappes Drittel auch genau das Gegenteil. Umgekehrt bescheinigten zwei Drittel der Deutschen den Schweizern, sehr angenehme Zeitgenossen zu sein.
Die Stimmung rief sogar Universitätsforscher auf den Plan. Thomas Köllen, deutscher Wissenschaftler, der an der Universität Bern arbeitet, befragte Deutsche in der Schweiz und kam 2015 zu dem Schluss: «Viele Deutsche nehmen im Schweizer Alltag eine gewisse antideutsche Grundstimmung wahr.» Zehn bis 15 Prozent der Befragten fühlten sich wegen ihrer Nationalität ungerecht behandelt.
An den Zahlen habe sich nichts geändert, sagt Köllen nach einer neuen Befragung, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind. «Das ist kein Grund für Alarmismus, aber das Thema spielt eine Rolle.»
So ganz schlimm kann das Problem aber nicht sein. Mehr als 300'000 Deutsche leben in der Schweiz, etwa 90'000 Schweizer in Deutschland. Beim direkten Kontakt wird über die gängigen Pauschalurteile meist gemeinsam herzlich gelacht.