Am Donnerstag vergangener Woche ist Angela Merkel zu Besuch in Dresden. Anhänger der Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) organisieren anlässlich der Visite der Kanzlerin eine Demonstration.
Auch vor Ort ist ein Reporterteam des Fernsehsenders ZDF, das für das Magazin «Frontal 21» von der Kundgebung berichten will. Die Journalisten filmen zunächst rund zwanzig Personen, die sich auf dem Weg zur Kundgebung befinden. Sie skandieren: «Lügenpresse, Lügenpresse.» Es ist 17.40 Uhr.
Ein wenig später löst sich ein Mann aus der Gruppe und geht direkt auf den Kameramann des ZDF zu. «Hören Sie auf, mich zu filmen!», fordert der Mann, der einen Sonnenhut in den Farben der deutschen Flagge trägt. «Sie begehen eine Straftat», ist sich der Demonstrant sicher. «Sie haben mir ins Gesicht gefilmt.»
Daraufhin beginnen weitere Teilnehmer der Kundgebung, die Journalisten zu bedrängen und dem Kameramann die Kamera aus der Hand zu schlagen.
Die Polizei, die nur wenige Meter daneben steht, greift zunächst nicht ein.
Am Rand des Besuchs der Bundeskanzlerin in Dresden ist ein Kamerateam, das im Auftrag des @ZDF für #Frontal21 https://t.co/t7q5CLkB6t - unterwegs war, etwa eine 3/4 Stunde von der Polizei festgehalten worden.Das Team war vorher von Pegida-Demonstranten verbal angegriffen worden. pic.twitter.com/JEPtFTGoGc
— @Frontal21 (@Frontal21) 21. August 2018
Allerdings dauert es nicht lange, bis die Einsatztruppen eingeschaltet werden. Nicht aber von den angepöbelten Journalisten, sondern vom Demonstranten, der nicht gefilmt werden möchte. Die Polizei verlangt von den Journalisten die Presseausweise, die Demonstranten müssen sich nicht ausweisen. Es ist 17.43 Uhr.
Nach rund zehn Minuten dürfen die Journalisten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Doch nicht für lange. Um 18 Uhr stellt ein weiterer Demonstrant bei der Polizei eine Strafanzeige gegen die Reporter. Sie seien ausfällig geworden, so seine Beschuldigung.
Das Fernsehteam will seine Unschuld der Polizei mittels Kamerabilder beweisen, doch diese will sich die Aufnahmen nicht ansehen.
Erst um 18.32 Uhr, eine knappe Dreiviertelstunde nachdem die Presseausweise zum ersten Mal überprüft wurden, können die Journalisten ihre Ausweise fortsetzen.
Arndt Ginzel, der Journalist, der auf den Bildern des Vorfalls zu sehen ist, geht mit den Aufnahmen an die Öffentlichkeit. Wenige Stunden nach den Geschehnissen postet er einen Zusammenschnitt der Ereignisse auf Facebook und auf Twitter.
#Pegidawirkt - Sächsische Polizeibeamte machen sich zur Exekutive von #Pegida / #AfD -Anhängern und behindern TV-Team, das für @ZDF @Frontal21 dreht. Hier ein Auszug, die polizeiliche Maßnahme dauerte ca. 45 min. Zeitungskollegen aus #Dresden berichten von ähnlichen Vorfällen. pic.twitter.com/m1erCDU9WJ
— Arndt Ginzel (@GKDJournalisten) 18. August 2018
Das Video geht viral. Über eine Million Menschen haben sich die Bilder bis heute angesehen. In den Kommentarspalten beschweren sich viele User über die Nähe der sächsischen Polizei zur Pegida und zur AfD. Schnell kursiert der Hashtag #Pegizei.
Zur Erinnerung: Die Sitzbezüge in Sachsens Polizeifahrzeugen #pegizei pic.twitter.com/IMsVW9lmMb
— Andy (@FiebigAndreas) 22. August 2018
Schaut man sich die Resultate der Bundestagswahl 2017 an, ist davon auszugehen, dass es bei der sächsischen Polizei durchaus einen beträchtlichen Anteil von Angestellten gibt, die mit den Anliegen der Pegida sympathisieren. In Sachsen wurde die AfD mit 27 Prozent zur stärksten Kraft gewählt. Rund 10'000 Polizisten arbeiten für die sächsische Polizei. Wäre die Bevölkerung angemessen repräsentiert, würde dies bedeuten, dass rund 2700 davon AfD gewählt haben.
Das wäre an sich auch kein Problem. Solange sich die Polizei professionell verhält und nicht parteiisch agiert. Doch genau dies wird ihr nun vorgeworfen. Nach den Vorfällen in Dresden kritisieren der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalisten-Union das Vorgehen der Beamten scharf. Die Polizei habe sich «von pöbelnden Wutbürgern vor den Karren sperren lassen, anstatt die Reporter vor den Angreifern zu schützen, damit sie ungehindert ihren Auftrag der Berichterstattung erfüllen können», sagt DJV-Geschäftsführerin Cornelia Hass.
Anders sieht dies der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er verteidigt das Vorgehen der Behörden. «Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten», schreibt der CDU-Politiker auf Twitter.
Damit impliziert Kretschmer auch, dass die Journalisten sich nicht seriös verhalten hätten.
Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten.
— Michael Kretschmer (@MPKretschmer) 18. August 2018
Der Vorfall wird ohne Frage aufgeklärt. Der Polizeipräsident hat auch schon angeboten mit den betroffenen Journalisten zu sprechen
@PolizeiSachsen #Dresden #dd1608 @smisachsen #sachsen
Am Dienstag dieser Woche dann die Nachricht, die in Deutschland einschlägt wie eine Bombe und schliesslich sogar Kanzlerin Angela Merkel zu einem Statement zwingt. Der Mann, der das Kamerateam des ZDF angepöbelt und zur Polizei gebracht hat, ist ein Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA). Er arbeitet also für die Polizeibehörde.
💬 Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, Beamte der @PolizeiSachsen haben am Donnerstag am Rande einer Demonstration in #Dresden, ein @ZDF/@Frontal21-Team behindert, informieren wir über neue Erkenntnisse. #dd1608 pic.twitter.com/YDcXCd5Pt9
— Sächsisches Staatsministerium des Innern (@SMIsachsen) 22. August 2018
Diejenigen, die schon vorher #Pegizei geschrien haben, schreien jetzt noch lauter #Pegizei.
Der Pegida-Anhänger und LKA-Mitarbeiter arbeitet als Buchprüfer bei komplexen und schweren Straftaten, wie Recherchen von MDR aufzeigen. Somit hat er Zugriffe auf sensible Daten wie etwa auf das Zentrale Ausländerregister der sächsischen Polizei.
Und der LKA-Mitarbeiter ist kein Unbekannter, er ist offen radikal. Als im Ort Freital im Jahr 2015 eine Asylunterkunft entstehen soll, gründet er eine Bürgerinitiative mit dem Namen «Nein zum Hotelheim». In internen Chats der Initiative regt er die Mitglieder an, die Asylbewerber zu «zermürben» oder «zu provozieren bis die Scheisse bauen.»
Spätestens die Erkenntnis, dass der pöbelnde Pegida-Demonstrant fürs LKA arbeitet, machen die Vorfälle zur nationalen Angelegenheit. Am Donnerstag äussert sich auch Kanzlerin Merkel dazu.
Auf einer Pressekonferenz im georgischen Tiflis sagt sie: «Wer auf Demonstrationen geht, muss damit rechnen, dass er auch durch Medien dabei aufgenommen und beobachtet wird.» Gleichzeitig bekennt sich die Kanzlerin ausdrücklich sowohl zur Pressefreiheit als auch zum Demonstrationsrecht.
Und wie das heutzutage so ist bei Debatten, die ein ganzes Land beschäftigen: Es entsteht ein Meme nach dem anderen.
wir spielen gute pulle, böser pulle. #Pegizei pic.twitter.com/YEvHD4jFMC
— fritz-kola (@fritzkola) 23. August 2018
Ihr wollt der coolste Boy in Eurer #LKA-WhatsApp-Gruppe sein? Dann holt Euch hier das exklusive #Mützenmann-Outfit für Euren Rage-Spätsommer! #Pegizei #Sachsen #Innenministerium pic.twitter.com/M2pJINtyXM
— OREO 💎 @Gamescom (@OrestisSke) 22. August 2018
Die Luxusvariante:
#Pegizei pic.twitter.com/iFnBLNXykS
— dorminirks (@dorminirks) 22. August 2018
Die #Hutbürger. 24/7 im Wutmodus, äh ... Hutmodus. pic.twitter.com/KGmXceMSgt
— Nasir Ahmad (@_nasir_ahmad_) 23. August 2018
#Sachsen: Ministerpräsident sagt, der Hashtag #Pegizei sei unverantwortlich. 🤣😂Finde ich auch, geht gar nicht! 🙃🙂😳 #Polizei #Hutbuerger #LKASachsen pic.twitter.com/y2iqEWR8Yf
— crypto (col. h.c.🎗) (@clayzcrypto) 23. August 2018
Ein #Hutbürger in #Sachsen und das Internet so:#TanzaSambaMitBier #Pegizei pic.twitter.com/aIWlbUvgiH
— Tobias (@bildfehler) 24. August 2018
Falls nun also plötzlich ein Deutschland-Hut auf deiner Timeline auftaucht, weisst du jetzt warum. ;)
Wer aussehen möchte wie ein #Hutbürger kann sich auch den Filter unserer Kollegen von watson.de auf sein Profilbild machen.