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Rudolf Strahm gehört zu den prominenten Vertretern der Schweizer Sozialdemokratie. Jahrzehntelang war er für die SP im Nationalrat, dann wurde er Preisüberwacher und gleichzeitig auch der Volkswirt für den Mittelstand. Seine ökonomischen Bücher erreichen jeweils Rekordauflagen. In jüngster Zeit hat sich Strahm als Kolumnist einen Namen geschaffen.
In seiner letzten Kolumne im «Tages Anzeiger» zog Strahm kräftig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) vom Leder. Das Spektrum seiner Argumentation reicht dabei vom Trivialen (das BGE ist nicht finanzierbar) über das Polemische (nur Künstler und Feministen befürworten das BGE) bis hin zum Ernsthaften: Das BGE schätzt die Entwicklung des Arbeitsmarktes falsch ein.
Wenden wir uns dem Ernsthaften zu: Strahm geht davon aus, dass wir immer mehr «Kreative» ausbilden, diese jedoch nicht beschäftigen können. Diese Einschätzung ist weit verbreitet, aber trotzdem falsch. Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Arbeitslosenquote bei Naturwissenschaftlern höher als bei den Kreativen.
«Strahm hat eine überraschend überholte Vorstellung des kulturellen Sektors und der damit verbundenen Ausbildung», monierten denn auch Thomas Meier und Christoph Weckerle von der Zürcher Hochschule der Künste in einer Replik und stellten gleichzeitig klar:
Ebenfalls überraschend
überholte Vorstellungen hat Strahm, wenn es um die Digitalisierung der Wirtschaft
geht. Er widerspricht der These, wonach die «Industrielle Revolution 4.0» die
menschliche Arbeit überflüssig machen werde. Diese These habe hierzulande
«keine Basis», weil «eine Verbindung von industrieller Arbeit und Informatik»
bei uns längst auf dem Vormarsch sei:
Rein faktisch stimmt Strahms Argumentation diesmal, zumindest auf den ersten Blick. Trotz Robotern und intelligenter Software nimmt in der Schweiz die Erwerbstätigkeit immer noch zu, allerdings nicht im industriellen Sektor, sondern primär im Gesundheits- und Pflegewesen und in der Verwaltung. Was Strahm jedoch übersieht: Die Art der Beschäftigung wandelt sich, und zwar gründlich.
In den USA gibt es bereits konkrete Zahlen für diesen Wandel. Zwischen 2005 und 2015 hat die Anzahl der Erwerbstätigen, die keinen festen Job mehr haben, um 9,4 Millionen zugenommen, mehr als die generelle Zunahme der Beschäftigung. Die beiden renommierten Arbeitsökonomen Lawrence Katz (Harvard) und Alan Krueger (Princeton) haben errechnet, dass der Prozentsatz der Erwerbstätigen mit alternativen Arbeitsbedingungen von 10,1 auf 15,7 Prozent gestiegen ist. Auch in Deutschland liegt der Anteil des prekären Arbeitsmarktes bei rund 15 Prozent.
«Gig economy» nennt man dieses Phänomen neuerdings. Sogar der ehemalige Gewerkschaftsökonom Beat Kappeler, auch kein Freund des BGE, befasst sich damit. In seiner Kolumne in der «NZZ am Sonntag» spricht er sogar von einer Revolution, denn «nun vermitteln die Apps nicht nur Putzer, Zügelleute oder Gartenhilfen, sondern Forscher, Buchhalter, Sprachlehrer, Transporte und Taxis, Betten in Privathäusern statt in Hotels. Sie vermitteln Kredite und Geldüberweisungen. Die Apps sind die Firma: ohne Transaktionskosten, ohne Büros.»
Das bekannteste und gleichzeitig umstrittenste Beispiel der Gig Economy, besser bekannt als Sharing Economy, ist Uber. Das Taxi-Unternehmen wird gleichzeitig als übelste Form des Raubtier-Kapitalismus verurteilt und als Pionier einer neuen Wirtschaftsordnung gefeiert. Beides stimmt – irgendwie.
Die grosse Wut der Taxifahrer auf Uber ist nachvollziehbar, schliesslich steht ihre Existenz auf dem Spiel; und die Tatsache, dass sich Uber-Chef Travis Kalanick als Ayn-Rand-Fan geoutet und regelmässig ultralibertäre Sprüche twittert, macht Uber ebenfalls nicht wirklich sympathisch. Doch die Gleichung Uber gleich Ausbeutung geht trotzdem nicht auf. Das zeigt das Beispiel eines Uber-Fahrers aus einer Pariser Vorstadt.
Die «Financial Times» hat kürzlich Joseph François, einen Schwarzen aus Bobigny, vorgestellt. Als Teenager hat er vorzeitig die Schule verlassen und zunächst eine Karriere als Kleinkrimineller begonnen. Die Folgen liegen auf der Hand: Auf dem normalen Arbeitsmarkt hätte François keine Chance mehr gehabt. Dann kam Uber.
Jetzt kurvt der 24-jährige François mit seinem Peugeot 508 durch Paris und ist im Begriff, sein Geschäft auszubauen. «Bevor Uber kam, standen wir den ganzen Tag herum und erzählten Blödsinn», sagt er.
Die Sharing Economy ist – das zeigt das Beispiel von François – nicht bloss ein Rückfall in den Manchester-Kapitalismus, wie die traditionelle Linke behauptet. Sie schafft auch Freiräume für neue und für die Menschen sehr viel attraktivere Arbeitsformen. Denn Hand aufs Herz: So toll ist die 40-Stunden-Woche im Grossraumbüro auch wieder nicht!
Heute schon gibt es die technischen Voraussetzungen für eine Wirtschaftsordnung, die den ätzenden «9 to 5-groove» überwinden kann. Ob Spitäler oder Banken, ob Medien oder selbst die Bauwirtschaft – alles befindet sich in einem umfassenden Wandel, dessen Ausmass wir erst erahnen können.
Rudolf Strahm und die traditionelle Linken begegnen diesem Wandel mit Misstrauen. Stattdessen träumen sie von einer Rückkehr zu den «goldenen 30 Jahren» nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Zeit, in der Vollbeschäftigung herrschte, die Sozialwerke ausgebaut wurden und die Arbeitnehmer immer mehr verdienten und immer weniger arbeiten mussten.
«Die Sozialdemokratie, die in über 100 Jahren diesen Sozialstaat erkämpft hat, ging immer vom arbeitenden Menschen aus», schreibt Strahm trotzig:
Der arbeitende Sozialdemokrat in Ehren, aber die Zeiten, in denen man nach Abschluss der Lehre oder des Studiums 40 Jahre beim gleichen Arbeitgeber tätig war und dann mit einer goldenen Uhr und einem warmen Dankeschön in den wohlverdienten Ruhestand entlassen wurde, diese Zeiten sind vorbei – und sie werden auch nicht in moderner, digitaler Form wieder auferstehen.
Das bedeutet keineswegs, dass die Arbeit entwertet würde. Strahm hat Recht, wenn er fordert, dass auch künftig bestens ausgebildete Facharbeiter gebraucht werden. Das BGE will die Arbeit ja nicht abschaffen, sondern sie aufwerten; und die Vorstellung, dass bei einem Grundeinkommen die Menschen in einem modernen Schlaraffenland herumhängen ist schlicht doof. Das sollte sich mittlerweile auch bei den Linken herumgesprochen haben.
Die Zukunft wird kein Schlaraffenland sein, sondern eine Arbeitswelt, die mit sehr viel mehr Unsicherheiten gespickt sein wird. Das zeichnet sich bereits heute ab. Selbst in der Schweiz haben die Vertreter der «Generation Praktikum» grösste Mühe, nach Abschluss ihrer Ausbildung einen sicheren Arbeitsplatz mit anständigem Lohn und Sozialleistungen zu ergattern. Bevor sie Eltern werden, haben die meisten von ihnen schon drei Sparrunden und zwei Entlassungswellen durchlitten.
In dieser Arbeitswelt macht ein BGE daher sehr viel Sinn. Es hilft, über unsichere Perioden hinweg und verhindert, dass man abstürzt, wenn man unverhofft seinen Job verliert. Kurz: Das BGE bringt dringend benötigte Sicherheit in ein System, das immer unsicherer wird.
Und nur so nebenbei: Natürlich wäre es unsinnig, das BGE mit einem Schlag in einer Höhe von 2500 Franken einzuführen. Diesen Schock könnte selbst die robuste Schweizer Wirtschaft kaum verkraften. Weit sinnvoller wäre es, mit kleinen Schritten zu beginnen, beispielsweise mit 500 Franken anzufangen.
Im Silicon Valley ist das BGE sehr populär. Es gibt rund um San Francisco kaum jemanden mehr, der nicht für das BGE plädieren würde. Einer der bedeutendsten Investoren im Valley, Albert Wenger, hat kürzlich angekündigt, dass er ein Buch über das BGE verfassen will. Selbst der bekannte Silicon Valley-Kritiker Evgeny Morozov plädiert für das BGE und einen Kapitalismus, in dem kognitive Arbeit immer wichtiger und materielle Produktion immer unwichtiger wird.
Strahms Ablehnung des BGE hängt letztlich zusammen mit seiner moralischen Vorstellung von Arbeit, einer Vorstellung, die stark davon geprägt ist, was Max Weber einst die protestantische Ethik genannt hat. Diese Ethik hat eine tragende Rolle beim Aufstieg des Bürgertums und der Aufklärung gespielt und somit zur Emanzipation beigetragen.
Die protestantische Arbeitsmoral ist jedoch nicht Teil der menschlichen DNA. Der römische Vordenker Cicero beispielsweise pflegte zu dozieren:
Dieser Arbeitsbegriff hat sich bei den Adligen bis heute erhalten, schliesslich werden sie «Blaublütler» genannt, weil sie sich die Hände nie dreckig machen müssen und man deshalb das bläuliche Blut in ihren Händen sehen kann. Die «Industrielle Revolution 4.0» besitzt das Potenzial, dereinst allen Menschen das Privileg zu verschaffen, Gentlemen im Sinne von Cicero zu werden. Ohne BGE wird das nicht zu schaffen sein.
Gestaltung: Anna Rothenfluh