Er wolle sich voll und ganz auf den Kampf gegen die EU konzentrieren. Mit dieser Begründung verabschiedete sich SVP-Doyen Christoph Blocher vor knapp zwei Wochen aus der SVP-Parteileitung. Der Kampf gegen die Europäische Union – das ist in erster Linie jener gegen das Rahmenabkommen, über das die Schweiz derzeit mit Brüssel verhandelt.
Zu einem ersten Showdown kommt es aber bereits davor: Nächste Woche nimmt die nationalrätliche Sicherheitskommission ihre Beratungen über die EU-Waffenrichtlinie auf. Ziel: Den Zugang zu halbautomatischen Waffen – zu denen auch die Schweizer Armeewaffe gehört – beschränken. Diese Waffen gelten als besonders gefährlich, weil sie ohne Nachladen mehrere Schüsse abgegeben können.
Die Waffenrichtlinie ist eine Reaktion der EU auf die Terror-Anschläge der vergangenen Jahre. Weil die Schweiz Mitglied des Schengen-Raums ist, muss auch sie ihre Gesetze anpassen. Zwar hat der Bundesrat mit der EU eine Ausnahmeregelung ausgehandelt, wonach Soldaten ihre Armeewaffe weiterhin behalten dürfen. Trotzdem stossen die geplanten Verschärfungen auf heftigen Widerstand. Die Schützenvereine und Waffenhändler im Land drohen bereits lautstark mit dem Referendum.
«Wir sind bereit, für die Rechte der Schützen, Jäger und Sammler zu kämpfen», bekräftigt Robin Udry, Generalsekretär der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht Pro Tell, im Gespräch mit watson. Allein im letzten Jahr habe der Verein seine Mitgliederzahl von 8700 auf über 12'000 gesteigert. «Die Neueintritte haben uns einen Strom an finanziellen Mitteln beschert.» Man rechne ausserdem mit dem Support zahlreicher Vereine sowie einer 60-köpfigen interparlamentarischen Gruppe.
Auch die Unterstützung Christoph Blochers ist dem Komitee gewiss. Bereits Anfang März kündigte der 77-Jährige im «Blick» an, ein allfälliges Referendum mitzutragen. «Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Herr Blocher an unserer Seite kämpfen wird», sagt Robin Udry dazu. «Unser Kampf ist ein Kampf für die Freiheiten, und Herr Blocher steht im Vordergund, auch für die Freiheit unseres Landes.» Bereits stehe Pro Tell mit ihm in Kontakt. Blocher selber liess eine Anfrage zum Thema unbeantwortet.
Auch die Befürworter eines schärferen Waffenrechts bringen sich in Stellung. Heute präsentiert sich die «Plattform für ein zukunftsfähiges Waffenrecht» den Medien. Es handelt sich um eine bunte Allianz, die neben der SP Schweiz und dem Verband der Evangelischen Frauen auch den Verband Schweizerischer Polizeibeamten und die Dachorganisation der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärzte umfasst.
«Es ist uns wichtig, dass die Diskussion über das Waffenrecht nicht zu einer ideologischen Anti-EU-Debatte verkommt», sagt Gaël Bourgeois, stellvertretender Mediensprecher der SP Schweiz. Es sei absehbar, dass Christoph Blocher und seine SVP die Vorlage nutzen werden, um ihren Kampf gegen die EU voranzutreiben. «Umso entscheidender ist es, dass Betroffene aus der Praxis darlegen können, warum es eine Verschärfung des Waffenrechts braucht.»
Je mehr ungemeldete Waffen in der Schweiz kursierten, desto gefährlicher sei die Arbeit von Polizisten, so Bourgeois. «Wer mit einem Polizeibeamten spricht, versteht rasch, dass es sich bei der Waffenrichtlinie nicht um eine Schikane aus Brüssel handelt, sondern um eine Notwendigkeit.» Nicht nur für den Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus, sondern auch für die Prävention von Suiziden und häuslicher Gewalt sei ein striktes Waffenrecht nötig.
Darauf weist auch Thomas Reisch, Chefarzt am Psychiatriezentrum Münsingen, hin. «Jede Form von Restriktion im Waffenrecht wirkt sich erwiesenermassen auf die Suizidrate aus.» Deshalb wolle er sich als Wissenschaftler der Debatte stellen. «Letztendlich geht es um eine Güterabwägung: Die Waffe als Wert unserer Schweizer Kultur versus weniger Suizide durch Schusswaffen.» Für ihn falle das Resultat dieser Güterabwägung offensichtlich anders aus als für Christoph Blocher, stellt Reisch fest.
Als nicht-politischer Akteur gehe es ihm allein um die Frage, «wie viel wir zu unternehmen bereit sind, damit weniger Menschen in der Schweiz sich selber oder andere umbringen», so Reisch. Aus seiner Sicht geht die Vorlage des Bundesrats dafür noch nicht weit genug – weitere Schritte seien nötig.
Für Pro-Tell-Generalsekretär Udry hingegen kriminalisiert die Waffenrichtlinie «unbescholtene Bürgerinnen und Bürger». «Der Aufwand, um all die Waffen zu registrieren, wäre horrend – und der Nutzen nicht existent.» Es seien nicht die legalen Waffen, die in der Schweiz Probleme verursachten. «Der beste Beweis dafür sind Schützenfeste, an denen jeweils Millionen von Schüssen abgegeben werden, ohne dass es zu irgendeinem Zwischenfall kommt.»
Dass er es im Abstimmungskampf mit den Dachverbänden der Polizisten und Psychiater aufnehmen muss, beunruhigt Udry nicht. Er ist selber ehemaliger Polizist. «Wenn Einsatzkräfte ein Haus stürmen, müssen sie sich darauf gefasst machen, mit heissem Wasser oder Säure übergossen zu werden – Angriffe mit Schusswaffen sind äusserst selten.»
Die Schweiz muss die EU-Waffenrichtlinie bis im Mai nächsten Jahres umgesetzt haben. Ob die Deadline eingehalten werden kann, falls das Referendum ergriffen wird, ist fraglich.
Allerdings geht Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) davon aus, dass die EU ein Auge zudrücken würde, falls die Schweiz einige Monate länger braucht als vorgesehen. Die Verantwortlichen wüssten, dass die Frist für das direktdemokratische Schweizer System knapp bemessen sei, sagte die Bundesrätin an einer Pressekonferenz Anfang März.
Keinen Spass dürfte Brüssel hingegen verstehen, wenn sich das Schweizer Stimmvolk gegen eine Übernahme der Waffenrichtlinie aussprechen sollte. In dem Fall droht der Schweiz ein Ausschluss aus dem Schengen-System. Mit weitreichenden Folgen, wie der Bundesrat in seiner Botschaft schreibt. So würde ein Wegfall von Schengen/Dublin für die Schweizer Volkswirtschaft zu einem jährlichen Einkommensverlust von bis zu 11 Milliarden Franken führen.
Auch müsste die Schweiz in dem Fall ein eigenes Sicherheitssystem aufbauen. «Ohne Schengen wäre unsere Polizei blind und taub», warnt der Bund auf seiner Website.