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Facebook vermittelt jetzt Blutspenden – und schnappt sich so noch mehr Dayten

Selbstlose Aktion oder pures Kalkül? Die neue Funktion von Facebook in Indien wird für Gesprächsstoff sorgen.
Selbstlose Aktion oder pures Kalkül? Die neue Funktion von Facebook in Indien wird für Gesprächsstoff sorgen.bild: screenshot newsroom facebook

Facebook will dein Blut – und schnappt sich so noch mehr Daten

Facebook greift immer tiefer in unser Leben ein. In Indien verbindet der Tech-Konzern neu Spitäler mit Blutspendern und – Empfängern. «Super Sache», sagen die einen, andere bemängeln einen «erneuten Eingriff in die Privatsphäre der User».
04.10.2017, 07:0204.10.2017, 12:48
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Fotos posten, Likes verteilen und Blut auftreiben: Seit dem 1. Oktober bietet Facebook in Indien ein neues Feature an. Wer eine Blutspende braucht, kann sich auf der Plattform entsprechend vernetzen. Spender können ihre Bereitschaft in ihren Profilen angeben und Spitäler über eine spezielle Posting-Funktion Blutspenden anfragen. Spender im näheren Umfeld werden dann umgehend alarmiert, erklärte Hema Budaraju, Südasien-Chef von Facebook in einer Mitteilung. 

«Jemand in deiner Umgebung braucht eine Blutspende. Gib Bescheid, wenn du helfen kannst.»
Facebook-Push-Nachricht.

Obige Push-Nachricht erscheint dann auf den Bildschirmen der potenziellen Spender. Falls sich das Tool beweist, könnte der Silicon-Valley-Konzern es auch in anderen Ländern durchsetzen.

In Indien herrscht eine generelle Knappheit an Bluttransfusionen und auch die Schweiz hat immer wieder mit Blutknappheit zu kämpfen. Ist Facebook also der noble Retter in Not? 

«Facebook ist keine gemeinnützige Organisation. Hier geht es um knallhartes Business und Image-Aufpolierung.»
Martin Steiger, IT-Spezialist und Anwalt für Recht im digitalen Raum

Dass Facebook sein neues Tool aus reiner Selbstlosigkeit einführt, bezweifelt der IT-Spezialist und Anwalt für Recht im digitalen Raum, Martin Steiger: «Facebook ist keine gemeinnützige Organisation. Hier geht es um knallhartes Business und Image-Aufpolierung.» 

Bild
bild: screenshot newsroom facebook

Der US-Konzern verdient sein Geld in erster Linie mit Werbung. Facebook hege deshalb Interesse an den Daten, die er durch solche Tools gewinnt: «Das Geschäftsmodell von Facebook besteht darin, Daten auszuwerten und diese für Werbung einzusetzen.» Gesundheitsdaten seien dabei besonders interessant. «Facebook dringt so nochmals stärker in unsere Privatsphäre ein. Es geht hier um unsere Gesundheit, unser Blut.» Steiger ist sich deshalb sicher: «Setzt Facebook das Tool auch in der Schweiz ein, werden die Datenschützer Sturm laufen.»

«Facebook wurde in der Vergangenheit wiederholt wegen unpräziser Angaben zu den einzelnen Datenbearbeitungen und deren Zwecken kritisiert.»
Francis Meier, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten

Auch Francis Meier, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, zeigt sich skeptisch: «Facebook wurde in der Vergangenheit wiederholt wegen unpräziser Angaben zu den einzelnen Datenbearbeitungen und deren Zwecken kritisiert.» Sollte das Tool in Zukunft auch in der Schweiz verfügbar sein, würden sie spendenwilligen Personen raten, sich auch künftig direkt mit dem Blutspendenzentrum in Verbindung zu setzen.

«Der Konzern kann sich so positionieren, dass die Inder und wohl auch ihre Regierung irgendwann nicht mehr um ihre Plattform herumkommen.»
Martin Steiger, IT-Spezialist und Anwalt für Recht im digitalen Raum

Neben der Datenfrage findet Martin Steiger weitere Aspekte fragwürdig: Facebook führt das Tool vorerst in Indien ein, in einem Land, das über keine genügende Infrastruktur für Blutspenden verfügt: «Damit wird Facebook unumgänglich. Der Konzern kann sich so positionieren, dass die Inder und wohl auch ihre Regierung irgendwann nicht mehr um die Plattform herumkommen.» Ähnliches hat Facebook für Kommunikation und teilweise im E-Commerce bereits erreicht. Steiger: «Und jetzt scheint Zuckerberg auch das Gesundheitsgeschäft erobern zu wollen.» Ausserdem könnten User gegen ihren Willen geoutet werden: «Nutzerinnen und Nutzer, die gar nicht Blut spenden dürfen, könnten plötzlich in Erklärungsnot geraten.»

«Wenn Facebook die Funktion auch in der Schweiz einführt, würden wir das Tool sicher genauer unter die Lupe nehmen.»
Alexander Bernhard, Mitglied der Geschäftsleitung von Blutspende SRK.

Alexander Bernhard, Mitglied der Geschäftsleitung von Blutspende SRK, hingegen begrüsst das Vorgehen des Unternehmens. «In einem Land, das Mühe hat, genügend Blutspenden aufzutreiben, ist das eine super Sache.»

Auch in der Schweiz kommt es besonders in den Sommer- und Wintermonaten zu Blutknappheit. Doch dramatisch sei die Situation hierzulande im Gegensatz zu Indien nicht: «Bei uns kommt jeder Patient zum nötigen Blut. Die regionalen Blutspendendienste arbeiten eng mit den Spitälern und untereinander zusammen – so können auch Engpässe überbrückt werden.»

Dennoch sei alles, was im Sinne der optimalen Spende ist, «prüfenswert». Besonders die Generation der «Digital Natives» könne man auf einem solchen Kanal vermutlich gut erreichen, meint Bernhard: «Wenn Facebook die Funktion auch in der Schweiz einführt, würden wir das Tool sicher genauer unter die Lupe nehmen.»

Ob Facebook vorhat, das Feature auch bald in der Schweiz einzuführen, ist noch nicht bekannt. Der Konzern hat auf eine entsprechende Anfrage bis Redaktionsschluss nicht reagiert.

Organspende über Facebook
Einen ähnlichen Ansatz startete Facebook im Jahr 2012. Seither können Facebook-Nutzer ihre Bereitschaft zur Organspende in ihrem Profil anzeigen (unter Lebensereignis / Gesundheit und Wellness / Organspender). Die Einstellung ersetzt nicht die Spendekarte von Swisstransplant, über einen Link gelangen die Facebook-User aber direkt auf die Webseite der Stiftung, wo sie die Karte bestellen können. Die Funktion soll auch eine Hilfe für die Angehörigen sein, die im Todesfall bestimmen müssen, was mit den Organen von Personen geschieht. In den Wochen nach der Einführung dieses Tools wurden bei Swisstransplant weit mehr Spendenausweise bestellt als sonst.

Snapchat vs. Facebook

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