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Ukraine

Ex-Nato-Kommandeur Richard Shirref: So könnte ein russischer Angriff aussehen

Ex-Nato-Kommandeur sagt, wie ein russischer Angriff aussehen könnte

Wie könnte eine Eskalation des Ukraine-Kriegs aussehen? Ein ehemaliger Nato-General befürchtet einen Zerfall des Bündnisses.
27.09.2025, 16:2827.09.2025, 16:28
Thomas Wanhoff / t-online
Ein Artikel von
t-online

Die andauernden Provokationen Russlands gegenüber dem Westen lassen Ängste vor einem militärischen Konflikt wachsen. US-Präsident Donald Trump hat bereits sein Einverständnis zum Abschuss von russischen Flugzeugen im Nato-Raum gegeben. Jetzt hat ein ehemaliger Nato-General ein mögliches Szenario entwickelt, wie Russland einen Krieg auslösen könnte, der die Nato einbezieht.

Richard Shirreff war stellvertretender alliierter Nato-Oberkommandierender in Europa. In der britischen «Daily Mail» skizziert er, wie ein Konflikt in Europa beginnen und wie er sich weltweit ausweiten könne. Die Nato könnte nach seinen Überlegungen dabei vor allem politisch massiv geschwächt werden.

In seinem Szenario kommt es zunächst zu Stromausfällen in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Bald folgen Blackouts in den benachbarten Staaten Lettland und Estland. Als Ursache wird ein Hackerangriff angegeben, möglicherweise aus Russland. In den Ländern wird der Ausnahmezustand erklärt, es kommt zu Unruhen.

Richard Shirref bei einem Vortrag: Er war einst ein hohrangiger General bei der Nato.
Richard Shirref bei einem Vortrag: Er war einst ein hohrangiger General bei der Nato. bild: imago stock&people/imago

Szenario: Schüsse an der Suwałki-Lücke

Einen Tag später, so Shirreffs düsteres Bild einer möglichen Eskalation, kommt es auch zu Problemen in den Stromnetzen von Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Der russische Präsident Putin kündigt dann an, wegen der Unruhen nach den Stromausfällen in Litauen Truppen in der Enklave Kaliningrad an die Grenze zum Nachbarland zu verlegen. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow erklärt, bedrohten russischen Bürgern in Litauen helfen zu wollen. Kurz darauf kommt es in Shirreffs Szenario zu einem Vorfall an der Suwałki-Lücke, einem engen Korridor zwischen Kaliningrad und Belarus. Polnische Soldaten feuern auf unbekannte Milizen, die von dort geschossen haben. Ein Nato-Soldat stirbt.

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quelle: Heike Assmann

Shirreff befürchtet Uneinigkeit in der Nato

Für Shirreff wäre ein solches Scharmützel ein möglicher Grund für den russischen Präsidenten Putin, einen Angriff auf Russland zu erklären und eine Invasion auf die Suwałki-Lücke anzuordnen. Diese würde die Landverbindung der Nato zu den baltischen Staaten schliessen. Das hat in seiner Vorstellung zur Folge, dass die Nato den Artikel 5 ihrer Charta verwendet und den Verteidigungsfall auslöst.

Dieses Szenario ist nicht aus der Luft gegriffen. 2022 betonte der damalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Bernd Schütt, die Wichtigkeit der Region. «Im Bereich der Suwałki-Lücke ist es nur ein kurzer Sprung, und dort ist die Gefahr einer Testung des Verteidigungswillens und der -fähigkeit der Nato relativ gross. In diesem Raum kann man relativ schnell Truppen verlegen und dann zum Beispiel unter Einsatz von Luftlandetruppen einen ersten Stoss durchführen», sagte Schütt.

Nato könnte sich zögerlich zeigen

Allerdings sieht Shirreff in einem solchen Fall Probleme innerhalb des Bündnisses: So spielt in seinem Konzept die US-Regierung den Vorfall herunter, Grossbritannien will keine Kampfjets schicken, auch Polen zögert mit Luftangriffen. Am dritten Tag der Krise greift dann Russland Nato-Truppen in Litauen an, darunter auch deutsche Soldaten. Doch aus den USA kommt in seinem Modell keine Hilfe: US-Präsident nennt in Shirreffs Szenario auf Truth Social Litauen einen «Failed state» und verweist auf einen Telefonanruf mit Putin. In Vilnius rücken russische Truppen ein.

Ein chinesisches Kriegsschiff in Hongkong (Archivbild): Würde Peking eine Krise in Europa für einen Angriff auf Taiwan nutzen?
Ein chinesisches Kriegsschiff in Hongkong (Archivbild): Würde Peking eine Krise in Europa für einen Angriff auf Taiwan nutzen? bild: IMAGO/Liau Chung-ren/imago

Würde China die Gelegenheit nutzen?

Eine solche Krise könnte, so der General, für China eine Gelegenheit sein, in Taiwan einzumarschieren. Er zeichnet das Bild von Hunderttausenden chinesischen Soldaten, die den Inselstaat attackieren. Shirreff geht davon aus, dass die USA und die westlichen Verbündeten in einem solchen Fall nicht eingreifen würden. Die USA haben in der Vergangenheit Taiwan zwar militärische Hilfe zugesagt, aber keine Truppen im Falle eines Angriffs.

«In nur fünf Tagen hat sich das globale Machtgefüge radikal verändert. China hat sich den lange angestrebten Preis gesichert. Russland hat die endgültige Eroberung der Ukraine garantiert und begonnen, die baltischen Staaten zurückzuerobern. Die Nato ist zerfallen», resümiert der Nato-General seine Projektion. Der Brite, der den königlichen Titel Sir erhalten hat, hatte bereits 2016 in einem Buch vor einem russischen Angriff auf die baltischen Staaten gewarnt und darin die Nato-Führung als zu schwach für eine entsprechende Antwort bezeichnet.

Mit seinen Ansichten ist er nicht alleine. Nachdem russische Drohnen vor Kurzem beim Angriff auf die Ukraine in den polnischen Luftraum eingedrungen und dort minutenlang in der Luft waren, bevor sie von Kampfjets abgeschossen wurden, hatte es Kritik an der Reaktion der Nato gegeben. So warnte der CDU-Politiker Thomas Röwekamp, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, bei Radioeins vor einer unzureichenden militärischen Ausstattung der Nato und Deutschlands. Die Abwehr sei zwar gelungen, doch die eingesetzten Mittel seien teuer und nicht skalierbar für grössere Angriffe.

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Die Geschichte der Nato
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1949: In Washington wird am 4. April der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Das Bündnis hat anfangs zwölf Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA.
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88 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Feinfilter
27.09.2025 21:14registriert Mai 2021
Russland spielt immer noch mit seinen Potemkinschen Dörfer. Das Lügen und Tricksen ist bei diesen Regierungen in der DNA.
Tatsache ist, dass die russische Armee gar nicht in der Lage wäre, an mehreren Fronten Krieg zu führen. Die Wirtschaft ist am Boden und das Menschenmaterial geht denen auch aus. Trotz Kriegswirtschaft kommen zuwenig und schlechte Waffen an die Front. Die Öl-Industrie ist auch bald einiges kleiner. In vielen Regionen ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Ich weiss echt nicht, wie sich Putin das vorstellt. Aber ernst nehmen muss der Westen dies auf jeden Fall.
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watsoninan
27.09.2025 21:17registriert November 2019
Ich will ja jetzt kein Spielverderber sein, aber wie stellt man sich das vor?
Die Russen haben ihre liebe Mühe mit der Ukraine...
Und dass die Pute einen Atomkrieg anzettelt, halte ich dann doch eher für unwahrscheinlich. Sogar er weiss, dass das für niemanden gut endet.
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Kommissar Rizzo
27.09.2025 23:10registriert Mai 2021
*Russland hat die endgültige Eroberung der Ukraine garantiert*

Das ist mir jetzt ein schneller Sprung von der aktuellen Lage (RUS schafft es ja nicht mal, seine "Republiken" vollständig zu erobern) zu "Eroberung der UKR".

Kann sein, dass ich die RUS Armee unterschätze. Aber ich sehe wirklich nicht, wie die die gesamte UKR erobern wollen. Womit denn?
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