Schlank, mattschwarz, durchdesignt liegt Iqos in Tills* Händen. Er nimmt einen Zug, lacht zufrieden. Till «raucht» nicht, Till «dampft», das muss er betonen. «Iqos ist Lifestyle, ist sauber und schön, Iqos stinkt nicht, ist praktisch.» Das hat er am Schulungstag von Philip Morris gelernt. Der 24-jährige Zürcher hat sich bei Philip Morris als «Community Activator» verpflichtet.
Jetzt erzählt er bei jeder Gelegenheit begeistert von Iqos. Dazu kann er seine Bekannten zum Bier einladen und im Club einen ausgeben, auf Spesen von Philip Morris. Er soll ihnen ein Iqos zum Ausleihen mitgeben und «Heatsticks» verteilen. So heissen die Iqos-Zigaretten, die nicht verbrennen, sondern bloss erhitzt werden. Solange Till für Philip Morris arbeitet, darf er nur noch diese rauchen. Till lebt jetzt Iqos.
Angeheuert wurde Till von einer der beiden Zürcher Agenturen, die das Field Marketing von Iqos für den Tabak-Riesen übernommen und die neue Marketing-Strategie entwickelt haben.
Wegen der Schädlichkeit ihrer Produkte ist die Tabakindustrie eingeschränkt in ihren Werbemöglichkeiten – in der Schweiz allerdings viel weniger als in der gesamten EU. Je strikter die Einschränkungen, desto erfinderischer werden die Tabakkonzerne in ihren Strategien, ihre Produkte unter die Leute zu bringen.
Philip Morris mischt seit je her vorne mit. Der weltweit grösste privatwirtschaftliche Hersteller von Tabakprodukten mietet schon mal die ganze Maag-Halle in Zürich, um hippe Zürcher mit ihren schönen Begleitungen einzuladen und ihnen beim schicken Dinner die neusten Produkte zum Probieren anzubieten. Beim Eingang gibt's die neuen Produkte zum Ausprobieren, im Gang strecken einem dienende Hände das erste Cüpli entgegen, drinnen laufen Projektionen auf Wänden und Boden: Den ersten Gang gibt es im Wald, die Musik passt dazu, beim zweiten fühlt man sich dank den Projektionen wie auf dem Dach eines Hochhauses.
Für Iqos läuft jetzt eine Plakatkampagne mit einer so cleanen Bildsprache, als wäre es ein Apple-Produkt. Philipp Morris nennt das, was man in den Händen hält, auch nicht mehr Zigarette, sondern «Stick». Das Gerät, welches Iqos aufwärmt, heisst «Device».
Hinzu kommen die Community Activators: Hippe, schöne Leute wie Till, die Monatsgehälter von bis zu 5000 Franken kassieren, wenn sie innerhalb von vier Wochen 20 Menschen zu Iqos bekehren. Sie dürfen Geräte für 7 Tage verleihen, danach müssen die Konsumenten kaufen oder nicht.
Während der Ausleihphase haken die Activators nach, geben eine neue Duftnote aus, erkundigen sich, ob alles funktioniert. Wenn die Bekannten sich zum Kauf entschliessen, werden sie weiter von ihnen begleitet. Die Activators protokollieren für Philip Morris den Fortschritt ihres Rauchverhaltens: «raucht situativ Iqos, raucht vorwiegend Iqos, raucht exklusiv Iqos». Sie sammeln ihre Daten und informieren über das Netzwerk, aus dem sie die Leute kennen.
Dabei werden die Community Activators betreut von Teamleadern, die sich regelmässig per WhatsApp-Chat nach dem Fortschritt erkunden. Bei «Converted Usern», also solchen, bei denen Till angegeben hat, dass sie «vorwiegend» oder «exklusiv» Iqos rauchen, drohen die Teamleader jederzeit anzurufen und gegen zu checken. Till muss also sicher sein, dass seine Kunden wirklich konvertiert sind. Um seine Kontakte zu pflegen, kriegt er «Pocket Money», 1500 Franken pro Monat, um sie auf Drinks oder Essen einzuladen.
«Pervers», findet Verena El Fehri, Chefin der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention, diese Marketing-Strategie: «Auch wenn die Community Activators volljährig sind, zielt die Werbung natürlich offensichtlich auch auf Minderjährige ab, die sich in der Regel an älteren Jugendlichen orientieren», sagt El Fehri, «Philip Morris will so näher an junge Kunden kommen, die süchtig und somit zu Stammkunden werden.»
Dass junge Menschen bei ihrer Peer-Group für ein süchtig machendes Produkt Werbung machen sollen, findet sie «mehr als stossend». El Fehri glaubt nicht, dass Philip Morris wirklich damit rechnet, dass sich Iqos tatsächlich durchsetzen wird. «Aus Image-Gründen wirbt man aber lieber intensiv für das angeblich ‹gesündere› Produkt als für herkömmliche Zigaretten», sagt sie.
Auch der Sprecher des Bundesamts für Gesundheit, Adrien Kay, gibt sich, mit der Strategie konfrontiert, entsetzt: «Falls diese Werbemethode effektiv den Tatsachen entspricht, wäre zu prüfen, ob sie nicht gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstösst.», sagt er. «Dieses verbietet Werbung, die beispielsweise ‹den Kunden durch besonders aggressive Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt› oder ‹die Beschaffenheit, die Menge, den Verwendungszweck, den Nutzen oder die Gefährlichkeit von Waren, Werken oder Leistungen verschleiert und dadurch den Kunden täuscht›».
Mit «Iqos ist gesünder» dürfen die Community Activators gemäss dem Marketing-Kodex von Philip Morris zwar nicht werben. Auch Minderjährige dürfen sie nicht angehen. Auftritt und Stil der Kampagne zielen aber auf «sauberer» und damit «gesünder» ab.
«Eine klassische Methode der Tabak-Industrie», sagt Elena Strozzi von der Lungenliga. «Man wirbt mit Produkten, die angeblich weniger schädlich sein sollen. Niemand weiss, ob ‹dampfen› weniger schädlich ist als ‹rauchen›, trotzdem will Philip Morris indirekt diesen Eindruck erwecken», glaubt Strozzi. Sie ist sich zudem sicher: «Iqos macht aber genauso abhängig wie herkömmliche Zigaretten. Vielleicht sogar noch mehr, weil man es sogar unbemerkt in Innenräumen konsumieren kann». Dieser Marketingtrick sei schon lange bekannt: «In den 80er Jahren, als die Light-Zigaretten eingeführt wurden, verwendete die Tabakindustrie die gleiche Strategie», sagt Strozzi.
Philip Morris weist Behauptungen zu täuschenden oder gar illegalen Aktivitäten im Rahmen ihrer kommerziellen Tätigkeit «mit aller Entschiedenheit» zurück. «Im Gegenteil, all unsere Marketingaktivitäten mit erwachsenen Konsumenten sind legitim, angemessen und verantwortungsbewusst», sagt Pressesprecherin Marija Sommer.
Alle erwähnten Aktivitäten würden sich zudem ausschliesslich an erwachsene Raucher richten. «Wir überprüfen das Alter der Raucher, die wir ansprechen, um sicherzustellen, dass diese volljährig sind», sagt Sommer. «Zudem stellen wir klar, dass sich Iqos nicht an Raucher richtet, die das Rauchen aufgeben wollen.» Sämtliche Community Activators seien dahin gehend geschult und dürften erst nach der Schulung und ausschliesslich mit erwachsenen Rauchern in Kontakt treten.
«Da Iqos das Ritual des Tabakkonsums verändert, besteht unsere Kommunikation darin, Produktmerkmale, -Eigenschaften und Funktionsweise erwachsenen Rauchern, die eine Alternative zu herkömmlichen Zigaretten suchen, zu erklären», sagt Sommer.
* Name der Redaktion bekannt