Sie stehen sinnbildlich für den Ordnungssinn, die Akribie und Effizienz der Schweizer: Die Altpapiertürmchen am Strassenrand, Kante auf Kante, fein säuberlich verschnürt.
Wundern sich Expats zuweilen über die Hingabe, mit der die Schweizer ihre alten Zeitungen entsorgen, dürften sie sich bei folgender Meldung erst recht die Augen reiben:
In Zürich muss eine Frau 270 Franken Busse und Gebühren zahlen, weil sie ihren Karton falsch gebündelt hat, berichtete die SRF-Sendung Espresso. Zwar hat die Betroffene den Karton am richtigen Tag und zur richtigen Zeit am richtigen Abholort deponiert. Allerdings verstiess sie gegen die Vorschriften, indem sie die Pappabfälle nicht wie vorgeschrieben faltete und mit einer Schnur zusammenband.
Stattdessen legte die Frau die kleineren Kartons in eine grössere Kartonschachtel. Auf eine Schnur verzichtete sie. Die Folge: Entsorgung & Recycling Zürich (ERZ) liess das Kartonbündel liegen. Dies wiederum rief die Stadtpolizei Zürich auf den Plan, welche am nächsten Abend an der Tür der verdutzten Frau klingelte. Einige Monate später flatterte ihr die Busse vom Statthalteramt ins Haus.
«Fassungslos und ultra-hässig» sei sie gewesen, sagt die Frau aus dem Zürcher Kreis 3 gegenüber «Espresso». Sie ist in guter Gesellschaft: Wie eine Nachfrage von watson ergab, wurden in Zürich allein letztes Jahr rund 1900 Personen gebüsst, weil sie ihren Abfall falsch entsorgt hatten. Wie viele davon Kartonsünder sind, geht aus der Statistik nicht hervor. Am häufigsten seien Verfehlungen im Zusammenhang mit den Gebührensäcken, heisst es beim Statthalteramt.
Das ERZ begründet die rigorosen Karton-Vorschriften damit, dass die ungefalteten Schachteln im Regen aufzuweichen und auseinanderzufallen drohten. Auch sei es möglich, darin andere Abfälle zu verstecken. Vorausgesetzt, der Karton stehe vor 7 Uhr am Strassenrand bereit, drücke man in leichten Fällen aber ein Auge zu: «Um die Stadt sauber zu halten, nimmt ERZ falsch gebündelten, aber am Sammeltag rechtzeitig bereitgestellten Karton aus Kulanzgründen mit», so Sprecher Daniel Eberhard.
Wie Karton gebündelt werden muss und welche Strafen bei Verstössen drohen, unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde. So ist es in Winterthur und Basel im Gegensatz zu Zürich erlaubt, den Karton in einer Schachtel auf die Strasse zu stellen – aber nur, wenn das Paket verschnürt ist. In Luzern hingegen darf gerade keine Schnur um die Schachtel geschlungen sein. Teilweise wird sofort gebüsst, teilweise erst nach einer Verwarnung, teilweise auch gar nicht.
Die Stadt Bern sammelt Karton und Papier gemischt. Auch hier ist es tabu, das Recycling-Material in Papiersäcken oder Kartonschachteln auf die Strasse zu stellen. Verstösst jemand dagegen, oder wird Klebeband statt Schnur verwendet, bleiben die Stapel auf dem Trottoir liegen. Ein spezielles Team ist dafür zuständig, «nicht korrekte Entsorgungen» zu bearbeiten und die Adresse des Abfallsünders zu ermitteln, wie Martina Tschan, Sprecherin des Bereichs Entsorgung und Recycling, auf Anfrage mitteilt.
Bei der ersten Verfehlung kommt der Verantwortliche mit einer schriftlichen Verwarnung davon, beim zweiten und dritten Mal wird der Aufwand des Teams verrechnet, erst beim vierten Mal folgt eine Anzeige bei der Polizei. «Seit Einführung der schriftlichen Verwarnung im Jahr 2013 sind wegen zur Unzeit bereitgestelltem Papier/Karton insgesamt 11 schriftliche Verwarnungen erfolgt», schreibt Tschan. Eine Anzeige sei bisher nie nötig geworden.
Auch Othmar Fries vom Strasseninspektorat der Stadt Luzern ist kein Fall bekannt, in dem jemand wegen unkorrekter Kartonentsorgung gebüsst worden wäre. «Wenn jemand eine Schnur vergisst, ist das ja etwas anderes, als wenn er ein halbes Chemielabor im Wald deponiert.» Bei Bagatellfällen belasse man es in der Regel bei einer kostenlosen, schriftlichen Ermahnung.
Keinen Spass verstehen die Luzerner Behörden hingegen, wenn davon auszugehen ist, dass Abfall mutwillig falsch entsorgt wurde: «Wirft jemand seinen Kehricht in einem normalen Plastiksack statt in einem Gebührensack in den Container, versuchen wir, den Verursacher ausfindig zu machen.» Ganz ausgekochte «Schlaumeier» schredderten Couverts und Briefe, um nicht aufzufliegen, erzählt Fries.
In solchen Fällen kann es für die Verursacher richtig teuer werden: «Wir haben Profis, die solche Dokumente wieder zusammensetzen können. Das ist für die wie Puzzlespielen», so Fries. Die Kosten für diese Fleissarbeit muss der Abfallsünder zahlen. Der Stundenansatz beträgt 100 Franken.