Einst galten bei der WM die Partien der Schweizer als die langweiligsten. Als Strafaufgaben für die NHL-Scouts. Zu viel Taktik. Zu enge Räume. Zu viel Disziplin. Zu viel Berechnung. Zu gute Defensivorganisation. Zu kluges Coaching und zu wenig Tore.
Aber wir konnten nicht anders. Wir hatten nicht die Spieler, um mit den Titanen zu tanzen. Wir mussten den Titanen auf den Füssen stehen. Langweiliger als den Schweizern zuzusehen, war nur noch, jemandem zuzuschauen, der den Schweizern zuschaute.
Das begann sich erst ab 2010 nach und nach zu ändern. Mit der Amtsübernahme von Patrick Fischer hat im Herbst 2015 das Zeitalter des Spektakels begonnen und gegen Tschechien soeben einen ersten Höhepunkt erreicht. Weitere sind zu erwarten.
Die Partie Schweiz gegen Tschechien war ein Spektakel. Ein Drama. Allerbeste Unterhaltung auf jeden Fall und wurde, wie es sich bei so einer grossen Partie gehört, erst im 10. Penalty entschieden. Als ob sich die Hockeygötter nicht hätten entscheiden können, wem sie nun den Sieg geben sollten.
Die Schweizer sind hier in Kopenhagen tatsächlich offensiv so spektakulär wie seit der WM 1951 in Paris (Bronze) nicht mehr. Was früher Taktik, Defensivorganisation und Torhüterleistung, das sind jetzt Tempo, Wucht und Kreativität.
Vier Tore, zwingend herausgespielt gegen Tschechien, einen der Grossen des Welteishockeys und gegen Pavel Francouz, diese Saison einer der besten KHL-Torhüter, der in die NHL zu Colorado wechseln wird, sind Zeichen für den Stilwandel. Eines Stilwandels, den Nationaltrainer Patrick Fischer seit seinem Amtsantritt fordert und jetzt unter der Führung von NHL-Star Nino Niederreiter in die Tat umgesetzt wird.
Das wilde, bisweilen chaotische «Pausenplatzhockey» der WM 2016 beginnt langsam aber sicher zu funktionieren. Die Frage ist, ob es gelingt, dieses offensive Kunstwerk zu vollenden. Will heissen: die Balance zwischen Offensive und Defensive während eines ganzen Spiels zu wahren. Dann sind die Halbfinals möglich.
Die Art und Weise, wie respektlos und selbstsicher die Schweizer mit den Tschechen vor allem in den ersten 30 Minuten umgesprungen sind, war beeindruckend. In dieser Phase ist der Sieg verpasst worden. Es gelingt zweimal das Spiel nach einem Zweitore-Vorsprung (3:1, 4:2) nicht zu stabilisieren. Patrick Fischer wird hinterher sagen: «Klar, das tut weh, aber das kann im Eishockey passieren. Es ist uns passiert und ist auch schon anderen passiert. Wir hätten den 3:1 und 4:2-Vorsprung länger halten sollen. Diesmal war unsere Defensive ein wenig durchlässig …»
Tatsächlich erzielten die Tschechen nur 22 Sekunden nach dem 2:4 den Anschlusstreffer zum 3:4. Nun, Kritik ist nicht angebracht. Die Schweizer hatten ja auch nur 192 Sekunden gebraucht, um aus dem 1:1 ein 3:1 zu machen. Das miserable Eis «verfälscht» immer wieder die Rutschbahn des Pucks und hat zum Spektakel beigetragen.
Die Rolle, die Nino Niederreiter in diesem WM-Team spielt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er ist noch mehr als bei der Silber-WM von 2013 der offensive Leitwolf, der mit seinem rauen, direkten, mutigen Spiel den offensiven Takt vorgibt und seine Mitspieler mitreisst. Er war in den bisherigen drei Partien gegen Österreich (3:2 n.V.), die Slowakei (2:0) und nun gegen Tschechien vielleicht der beste Stürmer, den wir seit dem Wiederaufstieg von 1998 in einem WM-Team hatten. Er stürmte neben Enzo Corvi und Sven Andrighetto und erzielte zwei Treffer.
So unkonventionell und modern die Schweizer auch gespielt haben mögen – entschieden hat die Partie letztlich doch eine uralte Hockey-Weisheit: der (noch) bessere Torhüter nämlich. Leonardo Genoni hatte eine kritische Phase im mittleren Abschnitt, als er aus vier Schüssen drei Treffer (das 2:3, 3:4 und 4:4) kassierte. Aber ihn dafür zu kritisieren, wäre billig – und entbehrt jeder fachlichen Grundlage. Im letzten Drittel und in der Verlängerung hielt er die Schweizer mit mehreren grossen Paraden im Spiel und ermöglichte den Punktgewinn. Im Penaltyschiesssen wurde er erst im 5. allerletzten Versuch zum Siegestreffer bezwungen. Noah Rod, Sven Andrighetto, Nino Niederreiter, Envzo Corvi und Grégory Hofmann waren bei ihren Versuchen gescheitert.
Die Schweizer hatten vor diesem Penalty-Drama, zwei Gelegenheiten zur Entscheidung und drei Punkten. In der 52. Minute vermochten sie eine Vierminutenstrafe nicht zum 5:4 zu nützen und in der 56. Minute brachte Joël Vermin (er war in Unterzahl entwischt und wurde gefoult) einen Penalty nicht am tschechischen Goalie. «Der Puck ist mir von der Stockschaufel gerutscht und so war es nicht mehr möglich, hoch ins Netz zu schiessen.»
#CZEvsSUI Breakaway + penalty = Penalty Shot.
— IIHF (@IIHFHockey) 8. Mai 2018
Vermin can't get past Francouz and we're still tied at 4. #IIHFWorlds pic.twitter.com/fOsnUCwKDJ
Woraus wir ersehen, dass der Sieg durchaus möglich und verdient gewesen wäre.