Im Herzen Bangkoks, inmitten von Abgasen und Motorenlärm, zwischen Hochhäusern und Pendlern, entdecke ich einen Hartplatz, auf dem junge Thailänder jeden Abend der schönsten Nebensache der Welt nachgehen: Trikots von Arsenal, Bayern und Real Madrid, zwei Mini-Tore mit zerschlissenen Netzen – sowie dieses faszinierende runde Ding namens Ball.
Zweimal setze ich mich nur als Zuschauer auf die kleine Tribüne, beim dritten Besuch halte ich es nicht mehr aus: Ich frage ein paar Jungs, die gerade auf ihren nächsten Einsatz warten, ob ich mitspielen darf. Sie verstehen zwar kein Englisch, wissen aber sofort, was ich will – und teilen mich einer Mannschaft zu.
Wenige Minuten später stehe ich auf dem Feld. «Hellblau, pink, grau und weiss», präge ich mir die Leibchen meiner vier Teamkameraden ein. Nur kein dummer Fehlpass zu Beginn, sonst bin ich gleich als Holzfuss gebrandmarkt und meine Mitspieler bereuen, dass sie den Fremden aufgenommen haben.
Ich spiele Fussball, seit ich gehen kann. Bis ich 17 war, hatte ich nur ein Ziel: Fussballprofi! Eines Tages sah ich ein, dass das Talent – und der Biss? – dafür nicht ausreichen. Später blieb mir nichts anderes übrig, als die Karrieren ehemaliger Weggefährten mitzuverfolgen. Drei davon, Fabian Frei, Moreno Costanzo und Michael Lang, schafften es sogar in die Schweizer Nati, zumindest zeitweise.
Für mich haben sich die unzähligen Stunden auf dem Trainingsplatz finanziell nicht ausbezahlt. Belohnt wurde ich aber trotzdem: Mit frechen Sprüchen in der Kabine, die jeden noch so mühsamen Arbeitstag vergessen liessen. Mit Bierchen unter der Dusche, die den Sieg etwas süsser und die Niederlage etwas weniger bitter machten. Und mit angeregten Diskussionen darüber, wie dieses oder jenes Spiel nur verloren gehen konnte.
Ausserhalb des Teams interessierte sich natürlich kein Mensch dafür, aber was spielt das für eine Rolle?!
Als ich aus beruflichen Gründen von der Ostschweiz nach Aarau zog, merkte ich erstmals, wie hilfreich der Fussball sein kann, um sich an einem neuen Ort zurechtzufinden. Erst fühlte ich mich in der Aarauer Altstadt ziemlich fremd. Nachdem ich mich aber dem FC Küttigen angeschlossen hatte, der inoffiziell FC Karneval heisst, verging kaum mehr ein Feierabendbier, ohne dass mir in der Altstadt ein Teamkollege zurief: «Hey, Schlitti!»
Doch der Fussball funktioniert nicht nur in der Schweiz als Türöffner, sondern überall auf der Welt – auch auf dem kleinen Hartplatz in Bangkok. Ich bekomme von meinen neuen Teamkollegen viele Bälle zugespielt und bin sofort ins Spiel integriert.
Dann kommt es noch besser: Nach einem Querpass in die Gefahrenzone lenke ich den Ball mit der Hacke aufs Tor, wo er den Weg in die Maschen findet – zwischen den Beinen des Goalies hindurch. Ein Raunen geht durchs Publikum, wenn man die paar Nasen, die gerade Pause machen, so nennen kann. Meine Teamkollegen laufen freudenstrahlend auf mich zu, um abzuklatschen.
Mal kommt ein Gegenspieler wegen mir zu Fall – Foul. Mal landet ein Prellball an meiner Schulter – der Gegner plädiert (zu Unrecht!) auf Handspiel. Mal versandet ein Pass von mir im Niemandsland – Missverständnis. Mal schiebt ein Teamkollege eine Hereingabe von mir knapp am Tor vorbei – trotzdem Daumen hoch.
Wir gewinnen auch das zweite Spiel. Bevor die dritte Partie beginnt, will mir einer meiner Mitspieler, der mit dem grauen Shirt, wild gestikulierend etwas mitteilen. Ah, ich soll mehr steil laufen – verstanden!
Thailändisch? Ostschweizer- oder Aargauerdialekt? Völlig egal. Der Fussball kennt keine (Sprach-)Grenzen, jeder versteht jeden. Und es spielt keine Rolle, dass ich der einzige Auswärtige bin. Grosser Sport!
Nach 30 Minuten auf dem Feld nehme ich wieder auf der kleinen Tribüne Platz. Das T-Shirt völlig durchnässt, ringe ich nach Atem. Die Beine sind schwer, die Fusssohlen brennen. Die zehn Monate ohne Sport sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich schüttle den Kopf und muss mir grinsend eingestehen, dass ich von meinem einstigen Traum, Fussballprofi zu werden, wohl nie weiter weg war als jetzt.
Aber so eine Weltreise ist ja auch nicht zu verachten.