Eine Studie zur Entwicklung der Glaubensgemeinschaften in der Schweiz machte in diesen Tagen Schlagzeilen, weil erstmals Atheisten und Religionslose an der Spitze des Rankings auftauchten. Damit haben Menschen ohne Religionszugehörigkeit die Katholiken überholt.
Zählt man nur die Kirchenmitglieder, die den Glauben aktiv leben, sieht es für die grösste Landeskirche noch düsterer aus. Was passiert, wenn es so weitergeht? Ist also Gott dereinst tot? So richtig tot, also inexistent in den Köpfen von Frau und Herr Schweizer?
Um die Frage zu beantworten, lohnt sich ein geistiger Ausflug in das Genre von Science Fiction. Stellen wir uns folgende Geschichte vor: Aliens entführen Babys und bringen sie zu ihrem Heimplaneten. Dort ziehen sie die jungen Erdenbürger menschengerecht auf. Ausserdem herrschen auf dem fremden Planeten erdähnliche Zustände, was Bildung, Erziehung, Wissen, Forschung und anthropologische Voraussetzungen betrifft.
Nur in einem Aspekt gibt es einen markanten Unterschied: Den Aliens fehlt das religiöse Bewusstsein. Religion und Metaphysik sind für sie Fremdwörter. Sie kennen den Begriff Gott nicht. Die Angst vor dem Tod ist ihnen fremd.
Sie glauben auch nicht an ein Leben danach, nicht an Himmel und Hölle. Ein möglicher «Weltuntergang» ist für sie nur ein astronomisches Phänomen. Sie haben berechnet, dass ihr Planet voraussichtlich in fünf Milliarden Jahren explodieren wird.
Die Aliens machen den Entführten gegenüber keinen Hehl daraus, dass sie eigentlich Erdenbürger sind. Sie erzählen ihnen, wie sich das Leben auf unserem Planeten abspielt, und zeigen ihnen Filme über ihre Heimat.
Nach 30 Jahren bringen die Aliens die entführten Menschen zurück auf die Erde und übergeben sie ihren Familien. Bei ihren ersten Spaziergängen durch die Dörfer und Städte fallen ihnen die grossen Gebäude mit den hohen Türmen auf, die meist an den schönsten Plätzen thronen.
«Was ist denn das?», fragen sie verwundert.
«Das sind Kirchen», antworten die Angehörigen.
«Kirchen? Wozu sind sie da?»
«Hier beten wir zu Gott.»
«Gott? Was ist das?»
«Das ist der Vater im Himmel, der uns geschaffen hat. Zu ihm kehren wir nach dem Tod zurück.»
Die Heimkehrer schauen die Familienmitglieder ungläubig an. «Wo ist denn dieser Himmel in der Schweiz? Vielleicht in den Bergen? Lebt Gott in einer Höhle?» Und so weiter und so fort.
Nun zurück zur eingangs erwähnten Studie: Es besteht kein Zweifel, dass bei uns die Säkularisierung weiter fortschreitet. Entsprechend wird die Zahl der gläubigen Christen weiter sinken.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Religionslandschaft in 50, 100 oder 200 Jahren aussehen wird. Erleben dann junge Menschen bei uns die Welt wie die zurückgekehrten Aliens? Ist Gott für sie dann ein Fremdwort?
Nein, Gott wird für sie kein Fremder sein. Sie werden ihn auch in 500 Jahren noch kennen als das allmächtige Wesen. Ob sie aber noch an ihn glauben werden, ist eine andere Frage.
Die Erklärung: Die Vorstellung von Gott und Himmel ist tief in unserem Bewusstsein verankert, wir geben die Metapher weiter an die nächsten Generationen, auch wenn Gott an Bedeutung verlieren wird. Gott steckt in unserer Kultur, unserer Literatur, unserer Philosophie, unserer Tradition, unserer Geschichte, unseren Mythen und Legenden.
Auch wenn sich die Menschheit vollständig säkularisieren sollte, lebt Gott in unseren Köpfen weiter. Es ist ein wenig wie bei den Monarchien: «Der König ist tot, es lebe der König.»