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Wäre die Welt friedlicher, wenn Gott uns fremd geblieben wäre?

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Wäre die Welt friedlicher, wenn Gott uns fremd geblieben wäre?

21.08.2021, 06:34
Hugo Stamm
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Es gab Zeiten, in den es gefährlich war, Religionen und Glaubensgemeinschaften öffentlich zu hinterfragen oder zu kritisieren. Im Mittelalter waren die Kirchen so mächtig, dass sie Ketzer in den Kerker oder gar auf den Scheiterhaufen werfen lassen konnten. Mit der Aufklärung, den Menschenrechten, speziell der Religionsfreiheit, sind klerikale Übergriffe auf Personen und Gruppen beschränkt worden.

Gottesanbetung Frau in Richtung Sonne
Sicher ist, dass wir Menschen unabhängig vom Glauben ein Rechtsempfinden und einen Gerechtigkeitssinn entwickeln.Bild: shutterstock.com

Repressionen gab es bei uns aber noch bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Nicht gewaltsame, dafür subtile in Form von Drohungen, Angsterzeugung, Stigmatisierung und teilweise Indoktrination. In vielen islamisch geprägten Ländern zeigt die religiöse Repression heute noch das Bild eines barbarischen Regimes. Aktuell in Afghanistan, wo die Taliban eine extreme Form der Scharia installieren.

Religiöse Emanzipation und Säkularisierung öffneten einen neuen geistigen Raum. Nun konnte man öffentlich debattieren, ob Religion einem tiefen menschlichen Bedürfnis entspricht, oder ob sie durch Erziehung tief ins Kollektive. Oder anders herum: Wurden die Menschen früher so stark religiös konditioniert, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, Dogmen und Glaubensgemeinschaften zu hinterfragen?

Gerechtigkeitssinn auch ohne Glauben

In der Neuzeit werden deshalb Fragen nach Sinn und Zweck der Religionen öffentlich diskutiert. Haben sie tatsächlich einen tieferen Sinn in die Welt gebracht? Haben sie Ethik und Moral implementiert, wie sie für sich reklamieren? Würden ohne die Glaubensgemeinschaften Sodom und Gomorrha herrschen? Gäbe es noch mehr Chaos und Krieg?

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Die Fragen lassen sich nicht schlüssig beantworten. Sicher ist allerdings, dass wir Menschen unabhängig vom Glauben ein Rechtsempfinden und einen Gerechtigkeitssinn entwickeln. Es ist sogar anmassend, wenn Glaubensgemeinschaften die Deutungshoheit in Bezug auf Moral und Ethik für sich beanspruchen.

Denn viele klerikale Würdenträger tun sich auffallend schwer, die Zehn Gebote einzuhalten, wie die vielen Skandale der letzten Jahrzehnte zeigen. Ausserdem sind Religionen konfliktträchtig, werden doch bis in die Neuzeit Religionskriege ausgetragen. Gier und Machtgebaren zeigen sich in vielen Glaubensgemeinschaften.

Die strukturelle Gewalt dahinter

Vor allem aber führt ein strenger Glaube nur allzu rasch zur Radikalsierung und Fanatisierung der Gläubigen und Geistlichen. Dahinter verbirgt sich immer auch eine strukturelle Gewalt. Diese lässt sich ebenfalls nicht mit den Geboten von Nächstenliebe und Barmherzigkeit in Einklang bringen.

Ethik und Moral lassen sich nicht von religiösen Autoritäten aufpfropfen. Nachhaltig bleibt ein moralisches Empfinden nur durch Einsicht. Religionen hingegen arbeiten gern mit Angst und Drohungen, um die Gläubigen zu disziplinieren. Angst vor der Endzeit, Angst, das Seelenheil zu verpassen, Angst, am Jüngsten Tag mit einem zu langen Sündenregister vor Gott treten zu müssen und verbannt zu werden usw. Und: Religionen haben den Teufel erfunden, der uns das Leben zur Hölle macht, wie manche Glaubensgemeinschaften erklären.

Deshalb wäre die Welt möglicherweise eine friedlichere, wenn die Menschen gar nie auf die Idee gekommen wären, dass da ein Gott oder mehrere Götter den Weltenlauf bestimmen.

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Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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531 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eul doch
21.08.2021 08:07registriert Oktober 2015
Naja, ich hab ja so die letzten paar Jahre den Glauben an die Menschheit im grossen ganzen etwas verloren... deshalb bin ich mir auch so sicher, dass wenn es keine Religionen gäbe, die Menschen trotzdem einen Grund finden würden, sich gegenseitig die Köpfe wegzuballern. Denn eines zeigt das Leben ganz bestimmt, der Mensch ist sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, Gründe für sein gewalttätiges Verhalten zu erfinden. Die Erfindung von Gott und Religion ist wohl nur das älteste Beispiel dafür.
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Fondue
21.08.2021 08:24registriert Januar 2015
Ohne Religion wären wir auf der Welt definitiv besser dran. Sobald der Glaube zu stark wird werden die Menschen, blind, dumm, Rückständig und wollen allen weiss machen das ihr Gott der beste ist unter all den Göttern. Es ist eine Krankheit. Die man entschieden mit Bildung und Aufklärung bekämpfen muss.
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HeidiW
21.08.2021 06:58registriert Juni 2018
Leider Nein.
Dem Menschen werden immer, die eigenen Charaktereigenschaften sowie neurologische Erkrankungen im Weg stehen um eine friedliche und humane Gesellschaft bilden zu können. Mit richtiger Erziehung und Schulung der Sozialkompetenzen, kann man schon viel erreichen. Vielleicht wird es in Zukunft möglich sein Neurologische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörung zu heilen oder mindestens in den Griff zu bekommen . Religion selber werden nie dazu führen, dass eine Welt friedlicher wird, da Religion eher ein Symptom der erkrankten Gesellschaft ist als ein Heilmittel dafür.
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