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Der fatale Glaube an die Wunderheilungen in Lourdes

epa01252135 Bishops pray to the Statue of Our Lady of Lourdes during the 150 th anniversary of the manifestation of the Virgin Mary at the Grotto of Massabielle, with his Eminence Jacques Perrier (L), ...
Gottesdienst bei der Grotte von Lourdes, in der offenbar Jungfrau Maria einem Mädchen erschienen sein soll. (Archivbild aus dem Jahr 2008)Bild: keystone
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Der fatale Glaube an die Wunderheilungen in Lourdes

Jährlich pilgern Millionen Katholiken an den Fuss der Pyrenäen und hoffen, von der Jungfrau Maria und dem Heilwasser von Krankheiten erlöst zu werden. Ein Irrglaube.
18.03.2023, 07:3120.03.2023, 05:49
Hugo Stamm
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Religionen und Glaubensgemeinschaften leben von Symbolen und Ritualen. Und dem Glauben an Wunder. Ohne den Wunderglauben gäbe es keine Religionen. Brennpunkte des Wunderglaubens sind Wallfahrtsorte.

Muslime sind zum Beispiel verpflichtet, einmal im Leben die Pilgerfahrt Hadsch nach Mekka zu unternehmen. Viele glauben, ohne diese Pilgerfahrt das ewige Leben zu verspielen. Für Katholiken ist das Pendant zu Mekka der Pilgerort Lourdes. Jährlich pilgern vier bis sechs Millionen Gläubige an den Fuss der Pyrenäen.

Das Bauerndorf verdankte seinen Aufstieg zum Mekka der Katholiken einem Wunder. 1858 erschien der 14-jährigen Müllerstochter Bernadette Soubirous in einer Grotte wiederholt die in Weiss gekleidete Jungfrau Maria, die um die Taille einen hellblauen Schal trug. In der kleinen Höhle begann Wasser zu sprudeln, das laut Maria eine heilenden Wirkung haben soll.

Reportage über die angeblichen Erscheinungen der Jungfrau Maria in Lourdes.Video: YouTube/Certamen - DE

Weiter trug Maria dem Mädchen auf, eine Kirche zu bauen. Diese eigentümliche Geschichte löste ein Erdbeben in der katholischen Kirche aus und wurde neben dem Vatikan zum wichtigsten PR-Instrument. Ein Glücksfall, der auf einem umstrittenen Wunder fusst.

Der Pilgerort als PR-Instrument

Denn die Geschichte liesse sich auch so erzählen: Ein psychotischer Teenager leidet in einem Krankheitsschub unter Halluzinationen, bei denen ihr eine weisse Gestalt erscheint, die sie als Jungfrau Maria wahrnimmt. Sie erzählt es dem Pfarrer, der hocherfreut ist über den Besuch der heiligen Dame in seinem gottverlassenen Kaff.

Er verbreitet die Kunde von der Erscheinung. Mit viel Erfolg, wie wir heute wissen. Seither pilgern Heerscharen von Katholiken an den angeblich heiligen Ort. Sie hoffen auf ein religiöses Erweckungserlebnis und legen der Mutter Gottes in der Grotte all ihre Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen zu Füssen. Religiöse wie alltägliche.

Der Vatikan hütet sich davor, die angeblichen Wunderheilungen von Lourdes als Aberglauben zu bezeichnen. Er braucht den Pilgerort als PR-Instrument mehr denn je.

So weit, so harmlos, könnte man meinen. Doch die Geschichte mit Lourdes hat einen Haken, denn aus der Quelle fliesst laut Jungfrau Maria Heilwasser. Nun beginnt der zweite Teil des Wunderglaubens. Lourdes zieht nämlich jährlich Zehntausende von Kranken und Gebrechlichen an, die kanisterweise Wasser abfüllen und auf eine Wunderheilung hoffen.

Das ist ein religiöser Missbrauch, den die Kurie im Vatikan gern in Kauf nimmt. Dass ein angebliches Heilwasser Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Krebs heilen soll, glaubt wohl kein vernünftiger Mensch. Hier wird fahrlässig mit den Ängsten und Hoffnungen von Gläubigen gespielt.

Spontanheilung für kurze Momente

In ihrer Euphorie erleben nämlich viele Kranke eine «wundersame Spontanheilung». Adrenalin und Glückshormone fluten ihre Körper, betäuben die Schmerzen und regen das Nervensystem an. Leute an Krücken werfen ihre Stöcke weg, machen ein paar Schritte und fallen jubelnd auf die Knie, um der Jungfrau Maria für die Heilung zu danken.

Doch wenn sie nach der anstrengenden Reise abgekämpft zu Hause angekommen sind, versagen die Beine ihren Dienst wieder. Und dann bricht bei ihnen eine Welt zusammen, die Hoffnung wird zerstört. Der Rückfall raubt ihnen vielleicht den Mut, sie rutschen in eine Depression ab. Und wenn es ganz schlimm kommt, glauben sie, als Gläubige versagt zu haben, zu wenig gottesfürchtig gewesen und dafür bestraft worden zu sein.

So kann der Glaube an eine wundersame Glaubensheilung zum Teufelskreis werden. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Registriert wurden bisher gegen 7000 Fälle von angeblichen Wunderheilungen. Die Zahl der Gläubigen, die überzeugt sind, eine Spontanheilung erlebt zu haben, dürfte ein Mehrfaches betragen.

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Bisher 70 Heilungen anerkannt

Die katholische Kirche hat bisher lediglich 70 Heilungen als solche anerkannt. Doch auch bei diesen Fällen ist Skepsis angebracht, dass die Jungfrau Maria oder das Quellwasser die Heilung bewirkten. Denn auch in der Schulmedizin sind Spontanheilungen bekannt, die sich medizinisch nicht erklären lassen. Diese Fälle liegen aber im Promillebereich.

Es ist ja schon kurios, dass die katholische Kirche einen grossen Aufwand betreibt, um die Meldung von Pilgern über ihre angebliche Wunderheilung zu prüfen. Vermutlich will sie sich davor schützen, den schwerkranken Gläubigen falsche Hoffnungen zu machen. Doch das ist ein Feigenblatt, wie die riesigen Pilgerströme zeigen.

Die einzig wirksame Lösung wäre, die Erscheinung der Jungfrau Maria in der Grotte von Lourdes als Aberglauben zu bezeichnen. Der Vatikan würde aber einen Teufel dafür geben, die Strahlkraft des Pilgerortes zu entheiligen. In Zeiten der Skandale braucht der Papst Lourdes mehr denn je.

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Hugo Stamm, Sektenblog
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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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488 Kommentare
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Rikki-Tiki-Tavi
18.03.2023 08:40registriert April 2020
Ich war als Kind mal in Lourdes. Und schon damals fand ich es ziemlich schräg, mit welch irrem Blick die strenggläubigen und die einfac-nur-hoffenden Menschen dieses überteuerte Wasser in Plastikmadonnen abgefüllt kauften. Ein Placebo-PR-Stunt der Sonderklasse. Mich wundert aber, dass es immer noch, oder gar erst recht heute noch funktioniert.
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WatSohn?
18.03.2023 08:33registriert Juni 2020
Ich habe während meiner Arbeit in der Spitex eine betagte Frau gepflegt, die nach einem Hirnschlag halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen war. Sie war tiefgläubig, und überall im Haus standen Heiligenbilder und Flaschen in Form der Maria, gefüllt mit Wasser von Lourdes. Diese Frau war in der Nachbarschaft beliebt und hatte vermutlich ein „anständiges“ Leben geführt. Als es aber ans Sterben ging, schrie diese Frau vor Angst, weil sie befürchtete, in die Hölle zu kommen. So viel zu Heiligenbildern, heilendem Wasser und anderen Märchen, mit der die Kirche ihre Schäfchen kontrolliert.
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Wendy Testaburger
18.03.2023 08:23registriert November 2018
"Sie rutschen in eine Depression ab."

Eine Depression ist nichts in das man abrutscht, eine Depression ist eine Krankheit.
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