Die Neugier ist eine herausragende Eigenschaft, die die Menschheit aus der Höhle gebracht hat. Ihr verdanken wir die Werkzeuge und die Methode, Nahrungsmittel anzupflanzen.
Ursprung der Zivilisation ist also die kognitive Entwicklung, die Wissen und Erfahrung generiert. Der Drang, Phänomene zu verstehen und zu begreifen, hat uns ein angenehmes Leben und Wohlstand beschert – samt den unangenehmen Begleiterscheinungen wie der Ausbeutung unseres Planeten.
Der «Widersacher» des Wissens ist der Glaube. Wenn wir etwas nicht wissen, stellen wir Menschen gern eine These auf, an die wir dann glauben. Wissbegierige geben sich aber nicht mit einer Hypothese zufrieden, sie wollen sie beweisen oder mit neuen Erkenntnissen widerlegen.
Also stellen sie Fragen. Und zwar so lang und beharrlich, bis sie klare Antworten erhalten. Dieses grundlegende Lebensprinzip lässt sich bei religiösen Fragen nicht anwenden. Das Hauptproblem dabei ist, dass sich die Mutter aller Fragen nicht klären lässt: Gibt es einen Gott oder ist er ein Hirngespinst?
Als die Menschen noch in der Höhle oder in Pfahlbauten wohnten, unterschieden sie noch kaum zwischen Wissen und Glauben. Die Götter waren für sie so real wie die Bären. Mit dem Unterschied allerdings, dass sie die zottigen Wesen mit den Sinnen begreifen konnten.
Erst mit dem wissenschaftlichen Denken begannen die Menschen, Fragen systematisch zu stellen. Sie machten auch vor religiösen Phänomenen nicht Halt. Plötzlich mussten es sich Gott oder die Götter gefallen lassen, hinterfragt zu werden.
So kamen die ersten Zweifel darüber auf, ob es sie tatsächlich gibt und ob sie die Schöpfer des Universums sind. Die geistige Entwicklung dürfte auch mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass sich der Monotheismus entwickelte.
Nachdem Mond und Sonne als astronomische Phänomene «entlarvt» wurden, verloren sie den göttlichen Status. Es war also das Wissen, das den Glauben an die Gestirne entzauberte.
Mit dem Christentum schienen dann alle religiösen Fragen definitiv beantwortet zu sein. Das Alte und das Neue Testament hatten (vermeintlich) nicht nur die Frage nach Gott beantwortet, sondern auch nach der Entstehung des Universums und des Menschen.
Kurz: Die Bibel lieferte in der damaligen Zeit ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept. Da die Kirche immer mehr Macht an sich riss und diktatorisch auftrat, war es gefährlich, kritische Fragen zu stellen und öffentlich zu diskutieren.
Doch dann gewannen die Geisteswissenschaften zunehmend an Bedeutung. Vor allem die Philosophie räumte mit dem Tabu auf, grundsätzliche Fragen nach Gott zu stellen. Als dann noch die Authentizität der Bibel in Frage gestellt wurde, begann auch der Thron von Gott zu wackeln.
Danach übernahmen wieder die Naturwissenschaften die Meinungsführerschaft, wenn auch ungewollt. Sie interessierten sich nicht für Gott, sondern für die Entstehung des Kosmos. Ihre Erkenntnisse entlarvten die zwei biblischen Geschichten der Genesis als Mythos. Und mit der Evolutionstheorie und der Urknall-Theorie begann Gottes Thron zu bröckeln.
Die Folgen lassen sich an den Besucherzahlen bei den Gottesdiensten ablesen. Das Desinteresse am christlichen Glauben dokumentiert eine breit angelegte Umfrage, die der «Tages-Anzeiger» kürzlich durchgeführt hat. Danach gaben 52 Prozent der Befragten an, im letzten Jahr nie eine Kirche besucht zu haben, 34 Prozent taten dies weniger als einmal pro Monat. 6 Prozent gehen ein- bis zweimal pro Monat in ein Gotteshaus, 4 Prozent wöchentlich, 1 Prozent mehrmals wöchentlich. (3 Prozent beantworteten die Frage mit «weiss nicht».)
Das sind schwere Zeiten für Gott und sein Bodenpersonal.