Das Bedürfnis nach Ritualen und Geschichten ist tief in uns verankert. Schon Kleinkinder bekommen nicht genug davon. Stundenlang hören sie die immer gleichen Märchen. Auch wenn sie längst jeden Satz auswendig kennen.
Ähnlich verhält es sich mit den Ritualen. Kinder lieben wiederkehrende Abläufe und Bräuche. Sie geben ihnen Orientierung, Struktur und einen Rhythmus. Das führt schliesslich zu Sicherheit und Geborgenheit.
Dieses emotionale Phänomen kultivieren Glaubensgemeinschaften und Religionen wie kaum eine andere Institution. Sie sind das Fundament, auf denen sie ihre Strategien aufbauen.
Um dies zu verstehen, müssen wir uns nochmals in die Psyche von Kindern versetzen. Sie flüchten in schwierigen Situationen gern in eine Scheinwelt, die sie nach ihren Ideen, Wünschen und Bedürfnissen gestalten können. In dieser Gegenwelt sind Wunder der zentrale Aspekt. Mit zunehmendem Alter lernen sie, sich der Realität zu stellen. Sie müssen den fundamentalen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fantasie begreifen.
Doch tief im Unterbewussten lebt der Wunsch auch bei Erwachsenen weiter, gelegentlich in die heile Welt der Fiktion zu flüchten. Man denke nur an die Popularität von Fantasyfilmen.
Solche Fluchträume und Rituale für Erwachsene bieten auch die Religionen mit ihren Geschichten, Bräuchen und Heilvorstellungen. Aktuell tun dies Weihnachten, bei der wir trotz wachsender Säkularisierung die Geburt des Sohnes Gottes feiern. Ein Brauch, der für viele schöne und wundersame Geschichten enthält.
Es beginnt damit, dass eine Frau namens Maria schwanger wird. Wie die Zeugung vor sich ging, ist bis heute ein Geheimnis. Bibelforscher sprechen von der Jungfrauengeburt, wie sie schon in früheren religiösen Geschichten verankert ist. Bei der christlichen Version spielte offenbar der Heilige Geist eine Rolle.
Unklar ist, welche Funktion bei der «Zeugung» Joseph, der Verlobte von Maria, ausübte. Vielleicht war Jesus ein uneheliches Kind, was zur damaligen Zeit wohl eine «Sünde» gewesen wäre. Auch die Geburt ist in eine schöne Geschichte gepackt. Kaiser Augustus ordnete eine Volkszählung an, weshalb sich Joseph und die hochschwangere Maria zu ihrem Heimatort Bethlehem aufmachten.
Dort fanden sie offenbar keine Herberge, weshalb sie Jesus nach der Geburt in eine Krippe legten. Ob sich diese in einem Stall befand, verraten die Evangelien nicht. Doch die Metapher sitzt und trägt erfolgreich zur Legendenbildung bei: Der Sohn Gottes kommt nicht in einem Palast auf die Welt, sondern liegt bescheiden in einer Krippe auf Stroh. Für Kinder wirkt die Geschichte wohl wie ein schönes Märchen.
Dann folgt der zweite wundersame Teil der Weihnachtsgeschichte: Ein Engel verkündet den Hirten in der näheren Umgebung die Geburt des Sohnes Gottes. Sie eilen herbei und huldigen Jesus. Diese gefiederten Geister, die in fast allen Religionen bis zur heutigen Esoterik vorkommen, sind die Wunderwesen schlechthin. Und auch hier die Metapher vom bescheidenen Jesus: Nicht die Könige und Pharisäer machen dem Sohn Gottes als Erste ihre Aufwartung, sondern die armen Hirten.
Ein bisschen Glamour braucht es dann doch noch: Die freudige Botschaft des Engels erreicht schliesslich die drei Weisen aus dem Morgenland, die auch als die drei Könige bezeichnet werden: Caspar, Balthasar und Melchior pilgern von weit her zu Jesus, geführt vom Stern von Betlehem.
Wie auch immer. Die Bibel erzählt keine Einzelheiten zur Geburt von Jesus. Sicher ist aber, dass Jesus nicht am 25. Dezember geboren wurde. An diesem Datum wurden früher Könige geehrt und gefeiert.
Doch zurück zu Jesus. Der Sohn Gottes aus der Krippe wird auch während seines kurzen Lebens seinem himmlischen Nimbus gerecht. Er lässt Blinde wieder sehen, Lahme wieder gehen. Weiter verwandelt er Wasser zu Wein und vermehrt Brot und Fische. Wohltätige Wunder, die auch in Kindergeschichten gut ankommen würden.
Weniger erbaulich ist dann die Erzählung vom tragischen Tod von Jesus. Doch auch hier gibt es das Happy End, wie es Kinder lieben - die wundersame Auferstehung des Sohnes Gottes. Doch diese Geschichte erzähle ich vielleicht dann an Ostern.