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Glaubensgemeinschaften sind Experten für Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Müsste man meinen.
Diesen Anspruch erheben sie zumindest. Vor allem die christlichen. Toleranz sollte auch zu ihren Kerneigenschaften gehören, schliesslich sind sie im Namen Gottes unterwegs, der nach ihrer Vorstellung seinen Sohn opferte, um seine Liebe zu demonstrieren.
Doch das funktioniert meist nur bei den Sonntagspredigten. Im Alltag drückt dann nur allzu gern ihr radikaler Glaube durch, der zu Intoleranz, manchmal gar Fanatismus führen kann.
Die Reaktionen einzelner Freikirchen auf das Massaker von Orlando, bei dem 49 Menschen im Kugelhagel von Omar Mateen umkamen, macht wieder einmal deutlich, dass der Glaube Menschen zu emotionalen Eunuchen machen kann. Religiöse Dogmen zählen dann mehr als menschliche Regungen und Empfindungen.
Denn der Massenmord an Homosexuellen hat viele Freikirchen, die sich durch ein radikales Glaubensverständnis auszeichnen, in ein Dilemma gestürzt: Für sie ist Homosexualität eine Strafe Gottes für ein schwerwiegendes sündiges Verhalten.
Das Massaker von Orlando wirft – man glaubt es kaum – für Mitglieder von Freikirchen folgende perverse Fragen auf: War der Massenmord eine Strafe Gottes für angeblich sexuell abnormes Verhalten? Wenn ja: Darf man die Opfer ehrenvoll begraben? Darf man überhaupt um sie trauern?
Wie wir wissen, betrachten die meisten Freikirchen die Bibel als letzte Wahrheit – auch wenn gewisse Aussagen darin diametral zu gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Das ist bei der Homosexualität so, aber auch bei der Evolutionslehre, die viele Freikirchen ablehnen.
In ihrer Vorstellung hat Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen und die Frau aus der Rippe eines Mannes geschöpft – halt so, wie es in der Bibel steht.
Nun sind ja oben stehende Fragen schon pervers. Aber die Antworten der Gläubigen können noch viel perverser sein. Ein Beispiel dafür liefert Pastor Roger Jimenez von der Verity Baptist Church aus Sacramento, Kalifornien.
Der Geistliche gab bei seiner jüngsten Predigt gleich mal den Tarif durch: Gott habe für Homosexuelle die Todesstrafe vorgesehen, sagte er. Und wen Gott fallengelassen hat, verdiene keine Gnade.
Und der Pastor scheut sich nicht, ungehindert nachzutreten, auch wenn die Ermordeten bereits tot am Boden liegen. Und er tut es kräftig, geradezu lustvoll, wie es scheint.
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Auf seiner Homepage bezeichnet er die Homosexualität als Sodomie und abscheuliche Tat vor Gott. Wörtlich fügt Jimenez an: «Keinem Sodomiten ist es erlaubt, Mitglied der Verity Baptist Church zu werden oder an ihren Gottesdiensten teilzunehmen.»
In seiner Predigt sagte Pastor Jimenez auch, er sei nicht traurig, dass 50 Menschen (inklusive Täter) gestorben seien. Nein, er finde es grossartig. «Ich glaube, dass das der Gesellschaft hilft», fügte er an. Orlando sei nun ein wenig sicherer.
Tragisch ist für den Pastor nur, dass nicht noch mehr Homosexuelle umgekommen sind. «Ich ärgere mich, dass er – der Attentäter – seinen Job nicht zu Ende gebracht hat!»
Und dann wird der fromme christliche Pastor, der eigentlich Nächstenliebe predigen müsste, zum Unmenschen und Hassprediger: «Ich wünschte, die Regierung würde sie alle zusammentreiben, an die Wand stellen, ein Erschiessungskommando vor ihnen antreten lassen und ihnen die Gehirne rausblasen.»
Zwar erntete Jimenez viel Kritik, auch von christlicher und freikirchlicher Seite. Doch manche Prediger gratulierten ihm für seinen Mut und seine klaren Worte. Sie ärgern sich masslos, dass den Homosexuellen nach dem Attentat so viel Solidarität und Menschlichkeit entgegengebracht wird.
Klar ist es zynisch, das Alte Testament als Fachliteratur bezüglich Homosexualität heranzuziehen. Die Schriften sind mehr als 2000 Jahre alt und stammen aus einer Zeit, als es noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, geschweige denn eine aufgeklärte Haltung gegenüber der Sexualität gab.
Aber wir wollen die Freikirchen mit ihren eigenen Waffen schlagen: Wenn Gott tatsächlich die Bibel inspiriert hat, also quasi ihr Autor wäre, hätte er das Bewusstseinsniveau der Menschen von vor 2000 Jahren behalten. Und er wäre im Grunde genommen der gleiche Unmensch und Hassprediger wie ein Pastor Jimenez.
Doch weshalb hat dieser Gott als Schöpfer der Menschheit die Homosexualität überhaupt zugelassen?
Darauf werde ich wohl keine Antwort erhalten – zumindest nicht von den fanatischen und bibeltreuen Freikirchlern.
Das Fazit lautet deshalb: Die Bibel war 2000 Jahre lang die Ursache für unzählige Konflikte. Und manchmal löst sie auch heute noch viel Leid aus. Das ist leider so geblieben.