Was haben sie uns nicht alles versprochen vor 50 Jahren. Die Sterne wollten sie für uns vom Himmel holen, das Paradies auf Erden einrichten, Friede, Freude, Eierkuchen auf immer und möglichst ewig.
Die Rede ist von den frühen Esoterikern. Sie läuteten vollmundig den Paradigmawechsel ein und verkündeten ein neues Zeitalter im Zeichen des Wassermannes. Dieses löse das beinharte Fische-Zeitalter ab, das angeblich geprägt war durch Härte, Rücksichtlosigkeit und Egoismus. Sie träumten vom Sieg des Seins über das Haben, von der spirituellen Revolution, von Sanftmut und Harmonie.
Das Musical «Hair» beschwor erfolgreich den «aquarius» (Wassermann), das kommende Wassermann-Zeitalter. Die Esoterikerin Marilyn Ferguson erreichte mit ihren Büchern «Die sanfte Verschwörung» und «Wendezeit» Kultstatus und ein Millionenpublikum, Fritjof Capra eiferte ihr mit seinem Bestseller «Das Tao der Physik» erfolgreich nach. Die neue Marke «New Age» elektrisierte die junge Generation. Friede statt Krieg, Flowerpower statt Kanonendonner, spiritueller Anarchismus und freie Liebe.
Und heute? Der Wassermann ist inzwischen aus den Flüssen, Seen und Meeren geflüchtet, weil das Wasser kontaminiert ist. Und an der verschmutzten Luft droht er zu ersticken. Die Revolution der spirituellen Sucher wurde von ihrer eigenen Geldgier erstickt, ist doch Esoterik ein Milliardenbusiness geworden, das nicht dem sanften Aufbruch in ein neues Zeitalter folgt, sondern dem gnadenlosen Kapitalismus.
Aber auch der Rest der Welt hat sich nicht vom angeblich angebrochenen sanften Wassermann-Zeitalter anstecken oder besänftigen lassen. Hedonismus, Egoismus und Rücksichtslosigkeit blühen mehr denn je in den schillerndsten Farben – New Age hin oder her.
Von übersinnlicher Hellsichtigkeit und prophetischen Visionen keine Spur. Nur Pleiten, Pech und Pannen.
So konnten Esoterik und die Weltreligionen trotz Wassermann keinen namhaften Beitrag zum Weltfrieden leisten, Glaubenskriege und der Clash der Kulturen foutierten sich um die Sternenkonstellation und um den Wassermann. Die spirituellen Revolutionäre trugen auch keine besondere Sorge zur Natur und dem Tierreich. Die Agrarböden sind mehr denn je übernutzt und verseucht, die industrielle Fleischproduktion degradiert Nutztiere zur Ware. Der Klimawandel lässt die Meere über die Ufer treten, die Arktis schmelzen, die Luft verpesten. Das sanfte Zeitalter sieht anders aus.
Ein Blick auf Donald Trumps Politik und Wahlkampf zeigt, wie sehr die Hoffnungen auf ein neues sanftes Zeitalter pervertiert wurden. In seinem Amerika regiert der Narzissmus, das Lebensmotto lautet «America first» und nach mir die Sintflut.
Im Rest der Welt gibt es vermutlich so viele kleine Trumps wie noch nie. Egomanen und Narzissten, die sich als Autokraten mit Diktatorenallüren gebärden und ihre Länder und Völker wie ihr Eigentum behandeln. Putin, Erdogan, Duterte, Bolsonare und Co. kümmern sich primär um das eigene Ego und wollen in die Geschichtsbücher eingehen.
Gut funktionierende Demokratien gibt es fast nur noch in Europa. Selbst in den USA wackelt der Rechtsstaat, missachtet doch der Präsident nach Belieben Gesetze und Verfassung. Und er spaltet das Land so radikal, dass nach den Wahlen bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen drohen. Zum Beispiel dann, wenn Trump die Wahlen verlieren und das Weisse Haus besetzen und den Kongress mit Sicherheitskräften abriegeln sollte.
Apropos Europa und Demokratie: In Ländern wie Polen, Ungarn und Grossbritannien stehen die autokratischen Zeichen ebenfalls auf Sturm. Lukaschenko demonstriert, wohin die Reise gehen kann.
Zurück zu den frühen Esoterikern: Ferguson, Capra und den damaligen spirituellen Suchern muss man attestieren, dass sie moderate esoterische Konzepte verfolgt und teilweise vernünftige soziale und politische Ziele postuliert hatten.
Bei den heutigen Esoterikern dreht sich der spirituelle Kosmos hingegen primär um den eigenen Bauchnabel. Im Zentrum stehen die individuelle übersinnliche Selbstverwirklichung und die Erleuchtung. Dabei greifen sie tief in die Kiste von spirituellen Science-fiction-Ideen, die mehr mit Grimms Märchen als einer geerdeten Spiritualität zu tun haben.
Die heutigen Esoteriker träumen zwar immer noch von New Age und vom Wassermann-Zeitalter, doch sie sprechen lieber nicht mehr darüber. Es ist ihnen zu peinlich, an die geplatzten Seifenblasen erinnert zu werden.