Wenn ein «Philosoph» zum Kriegs-Verharmloser mutiert – der tiefe Fall des Richard David P.
Richard David Precht ist vieles, aber nicht dumm.
Er hat ein lukratives Geschäftsmodell entdeckt: Vertrete kontroverse Meinungen zu Themen, die alle interessieren, schreibe Bücher darüber und bewirb sie in Talkshows und bei anderen Medienauftritten.
Aktuell müssen wir über ihn reden, weil er in einem auch bei watson publizierten CH-Media-Interview merkwürdige Thesen und Unwahrheiten über das autokratische Russland und China verbreitet hat.
Die gute Nachricht: Die meisten watson-User fallen nicht auf Prechts geschliffene Rhetorik herein. Und sie prangern seine inhaltlichen Fehler schonungslos an.
Warum hat er Erfolg – und was ist daran problematisch?
Precht, mittlerweile 59-jährig, trägt zu jedem aktuellen Thema, das die Menschen bewegt, sehr viel Meinung bei. Seinen Mangel an Fachwissen kompensiert er allerdings nicht mit abgesicherten Erkenntnissen, er nimmt vielmehr eine umstrittene Position ein, die in Teilen der Gesellschaft Rückhalt oder Widerhall findet.
Precht ist ein Querdenker – im negativen Sinn.
- Während der Corona-Pandemie spricht er sich aus einem Bauchgefühl heraus gegen das Impfen (von Kindern) und den wachsenden öffentlichen Druck gegen Impfgegner aus.
- 2022 behauptet er in einem Buch, die Massenmedien würden die Demokratie gefährden, ohne dafür stichhaltige Belege oder gar Beweise zu liefern.
- 2023 unterstützt er das von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht lancierte «Manifest für den Frieden», das einen Stopp westlicher Waffenlieferungen und damit eine erzwungene Kapitulation der Ukraine fordert, aber Kriegsverbrecher Putin aussen vor lässt.
- Ende 2023 befeuert er in seinem Podcast mit dem ZDF-Moderator Markus Lanz antisemitische Vorurteile und löst damit einen gewaltigen Shitstorm aus.
Und hier kommt Alexander Prinz, alias «Der Dunkle Parabelritter», ins Spiel. Der 29-jährige Deutsche hat es sich zur Aufgabe gemacht, im Internet über die Gefahren von Populismus und Desinformation aufzuklären.
Prinz sagt über Precht, der sich zwar als Philosoph bezeichnet, aber Germanistik studiert hat:
watson-User Raembe hat in der Kommentarspalte auf ein sehenswertes Video verlinkt, in dem sich «Der Dunkle Parabelritter» mit Precht und dessen unwissenschaftlicher Vorgehensweise auseinandersetzt.
Das Prinzip, wie Precht Philosophie mache, sei super effektiv, erklärt Prinz. Sein Erfolgsrezept: Man finde unter einem aktuellen gesellschaftlichen Thema «eine abstrakte Ebene». Und je offensichtlicher diese abstrakte Ebene ist, desto besser. Es sei sogar enorm wichtig, dass andere «ebenfalls da draufkommen». Wie zum Beispiel: Kriege sind schlecht, es braucht Verhandlungen. Natürlich würde dieser Aussage niemand widersprechen. Und die Leute, die Prechts Allgemeinplätze bereitwillig aufnehmen und bestätigen, können sich damit auch selbst erhöhen, erklärt Prinz die Psychologie dahinter.
Kommt hinzu: Precht ist kaum kritikfähig. Selbstkritische Einschätzungen sind von ihm praktisch nie zu hören. Und auf berechtigte Einwände Dritter reagiert er häufig aggressiv, statt sich damit auseinanderzusetzen.
Löbliche Ausnahme: 2022 räumt er ein, zu Beginn der russischen Invasion völlig falsch gelegen zu haben. Damals hatte er der überfallenen Ukraine empfohlen, umgehend zu kapitulieren, Widerstand sei zwecklos.
Etwas daraus gelernt hat er offenbar nicht.
Was ist an Prechts jüngsten Äusserungen zur Ukraine gefährlich?
Er verharmlost den verbrecherischen russischen Angriffskrieg, der mit viel Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, mit Kriegsverbrechen und Folter verbunden ist. Ob er dies mit voller Absicht tut, sei dahingestellt. Schädlich ist es alleweil, wenn Precht quasi eine Täter-Opfer-Umkehr betreibt und die westliche Unterstützung für die Ukraine infrage stellt.
Precht hält sich an seine bewährte Strategie und adressiert beim Publikum vorhandene Ressentiments: Mit der nachweislich falschen Behauptung, Putin habe sich durch die NATO bedroht gefühlt und deshalb die Ukraine überfallen, zielt er auf den Antiamerikanismus und die Abneigung gegen das westliche Militärbündnis ab.
Das haben viele watson-User durchschaut.
Apropos bedrohliche NATO: Das pro-russische Narrativ, das von der russischen Staats-Propaganda auf allen Kanälen verbreitet wird, hat mittlerweile sogar im eidgenössischen Parlament Einzug gehalten. Der Mitte-Ständerat Peter Hegglin aus dem Russland-freundlichen Kanton Zug verwendete es, nachdem er sich mit anderen rechtsbürgerlichen Parlamentariern gegen eine grössere Ukraine-Unterstützung eingesetzt hatte.
Ein User verlinkt den bei YouTube verfügbaren Faktencheck eines echten Ukraine- und Russland-Experten. Der deutsche Historiker Klaus Gestwa, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen, zerlegt in dem Video unter anderem das falsche pro-russische Narrativ, dass die NATO Russland bedroht habe und Putin sich verteidigen musste.
Im Video erklärt der erfahrene Historiker, was hinter 8 Narrativen steckt, die sich auch hierzulande hartnäckig halten:
Sicher ist: Aktuell gibt es genau einen Menschen, der den verbrecherischen Krieg sofort stoppen könnte. Es ist der Mann im Kreml, der ihn gestartet hat. Und Wladimir Putin wird erst zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein, wenn die Ukraine die Oberhand erlangt hat und es gelingt, die russischen Invasoren zu vertreiben.
Precht ist übrigens ein Wiederholungstäter, was pro-russische Narrative betrifft: 2014 äusserte er sich kritisch zur Euromaidan-Revolution in der Ukraine und warf der NATO sowie der Europäischen Union fälschlicherweise vor, den Krieg im Donbas und die Annexion der Krim durch Russland provoziert zu haben.
PS: watson hat das Precht-Interview am 6. Juni veröffentlicht, genau 80 Jahre nach dem geschichtsträchtigen «D-Day», an dem die alliierten Streitkräfte in der Normandie gelandet waren, um Europa von Adolf Hitler und den Nazis zu befreien. Darauf wurde von mehreren watson-Usern in der Kommentarspalte hingewiesen.
Dieser User bringt es auf den Punkt:
Ein anderer User nutzt das Stilmittel der Satire, um Prechts fragwürdige Behauptung, es brauche einfach mehr Verhandlungen mit Despot Putin, zu entkräften.
Und China?
Zu Recht einstecken muss Precht auch für seine Behauptungen zu China und dessen autokratischer Führung, die im Verbund mit den Unrechtsstaaten Russland und Iran versucht, dem demokratischen Westen zu schaden und die Vormachtstellung der USA zu brechen.
Diese Userin erinnert an den hybriden Krieg, den China und Russland gegen die Demokratien führen.
Ein weiterer User doppelt nach:
Warum tut Precht das?
Follow the money.
Hold my beer!
Warum bietet watson Precht eine Plattform?
Berechtigte Frage.
Das grosse Problem bei Precht-Interviews ist ja, dass er eben genau kein Experte für die entsprechenden Themen ist, sondern nur lauthals eine Meinung vertritt. Und diese Meinung strotzt vor gefährlichem Halbwissen und waschechten Propaganda-Lügen.
Trägt er also etwas Sinnvolles zur Diskussion um Russlands verbrecherischen Angriffskrieg bei? Inhaltlich sicher nicht. Das haben die meisten watson-User erkannt. Und hier besteht auch eine kleine Chance, dass Dritte, die Precht noch ernst nehmen, mitbekommen, was an seinen Äusserungen problematisch ist. Auch wenn es schmerzt, sollten wir entsprechende Diskussionen führen und Prechts falsche Argumente widerlegen.
Wie lässt sich dieser Beitrag einigermassen positiv abschliessen?
Quellen
- wikipedia.org: Alexander Prinz