Videospiele begeistern weltweit Millionen von Menschen und sind bei Jung und Alt beliebt. Die Auswahl ist schier unbegrenzt und deckt praktisch alle Interessengruppen ab.
Etwas ungewöhlich wirkt die Werbung für den Psychothriller «Nevermind». Das Entwicklerstuido «Flying Mollusk» preist sein Produkt mit einer besondere Eigenschaft an: Das Spiel soll nicht nur als herkömmlicher Zeitvertreib Freude bereiten, sondern auch als therapeutische Massnahme eingesetzt werden können, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
In «Nevermind» dringt der Spieler in den Verstand von Trauma-Patienten ein und begibt sich durch surreale Welten. Soweit nichts Aussergewöhnliches. Jedoch basiert das Spiel auf der sogenannten Biofeedback-Technologie. Mittels Webcam oder Smartwatch werden Anzeichen von Angst und Aufregung registriert. Je höher die Emotionen ausfallen, desto grösser sind die Gefahren und der Schwierigkeitsgrad steigt – der Spieler muss lernen, sich zu entspannen.
Dank der Biofeedback-Technologie müssen sich die Spieler mit ihren Gefühlen auseinandersetzen. Allerdings weisen die Entwickler darauf hin, dass «Nevermind» bei psychisch labilen Personen überfordernd wirken könnte. In diesem Fall sei es ratsam, professionelle Hilfe auszusuchen.
Deshalb setzen Forscher bei der Behandlung gefährdeter Patienten eher auf klassische Methoden. Eines ist jedoch unbestritten: Computerspiele machen mehr Spass. Beim Trinity College in Dublin hat man festgestellt, dass sich junge Menschen nur ungerne auf eine klassische Psychotherapie einlassen, da sie ihre Gefühlslage nicht preisgeben wollen. Videospiele könnten dazu beitragen, dass sie sich mehr öffnen.
Christiane Eichenberg, Professorin für Psychosomatik an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien, ist der Meinung, dass Videospiele «eine gute Anfangserfahrung mit therapeutischen Methoden» sein können – dazu fehlen aber präzise Studien. Jedoch warnt Eichenberg, dass dadurch auch negative Gefühle hervorgerufen werden können.
Veronika Brezinka hat 2008 bei einem der ersten Spiele für therapeutische Zwecke mitgewirkt. Laut dem «Tages-Anzeiger» sollen Kinder, die unter Angststörungen, Aggressionen oder Depressionen leiden, beim Videogame «Schatzsuche» lernen, zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten zu unterscheiden.
Die Psychologin von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich betont aber, dass Videospiele als Ergänzung zur Psychotherapie eingesetzt werden sollten und nicht als Selbsthilfe. So kann das Spiel eine Suizidgefährdung nicht erkennen – das können nur ausgebildete Fachkräfte.
Jedoch scheinen immer mehr Psychotherapeuten von der positiven Wirkung von Videospielen überzeugt zu sein. 90 Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage von Eichenberg an, sich vorstellen zu können, damit zu arbeiten.
Eine Studie der Kinderklinik Boston hat gezeigt, dass sich der Einsatz eines Spiels mit Biofeedback durchaus lohnen kann. Bestandteil des Anti-Aggressivitäts-Training an der Klinik war das Game «Rage Control», welches die Kinder eine Viertelstunde lang pro Sitzung spielen durften.
Das Prinzip: Das Kind muss am Computer Ausserirdische bekämpfen. Steigt der Puls zu hoch, können keine Schüsse mehr abgegeben werden. Die Therapeuten stellten bei den Probanden – im Gegensatz zu jenen, bei denen «Rage Control» nicht zum Einsatz kam – nach nur fünf Sitzungen eine deutliche Abnahme der Intensität und Häufigkeit der Wutausbrüche fest.
Computergames können aber auch bei anderen Erkrankungen und Schwächen helfen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. So fördern beispielsweise die Ego-Shooter «Unreal Tournament» und «Call of Duty» das räumliche Vorstellungsvermögen und helfen Personen, die an einer Leseschwäche leiden.
Dass Videospiele kognitive Fähigkeiten fördern, könnte auch Schizophreniekranken zugutekommen – bei ihnen nehmen diese Fertigkeiten kontinuierlich ab. Gerade weil medikamentöse Behandlungen bei schizophrenen Patienten weitere Krankheiten hervorrufen könnten, wäre ein gezieltes Training am Computer durchaus sinnvoll. (vom)