Irgendwo in der Ferne heult eine Kreatur, das Visier meiner Atemmaske ist beschädigt und ein Geräusch macht mir klar, dass ich bald keinen Sauerstoff mehr habe. Als wäre das nicht schon stressig genug, knurrt es jetzt in meiner Nähe und irgendetwas Grosses schleicht durch das verseuchte Unterholz. Ich erblicke eine kleine Hütte und beginne zu rennen. Das Heulen aus der Ferne ist jetzt näher und ich spüre förmlich, wie mich ein Ungetüm verfolgt. Die Munition ist alle, meine Gesundheit angeschlagen. Knapp kann ich mich in das Gebäude retten und weiss, dass draussen der sichere Tod auf mich wartet. Aber aufgeben werde ich nicht...
In «Metro: Exodus» ist die Welt ziemlich kaputt: Seit dem Atomkrieg im Jahr 2013 wurde fast die gesamte Menschheit ausgelöscht. In Moskau konnten sich zehntausende kurz vor der atomaren Zerstörung in den Untergrund, ins Tunnelsystem der Moskauer Metro flüchten. Über die Jahre hat sich dort ein eigener Mikrokosmos gebildet. Es entwickelten sich eigene Kleinstaaten, ein Handelsnetzwerk wurde aufgebaut und verschiedene Gesellschaften mit unterschiedlichen Ideologien standen sich gegenüber.
In der Ungewissheit, was genau an der verseuchten Erdoberfläche vor sich geht und welche Mutanten dort herumschleichen, gaben sich viele Menschen ihrem Schicksal hin. Diese Rahmenhandlung basiert übrigens auf dem Roman «Metro 2033» des russischen Autors Dmitri Alexejewitsch Gluchowski aus dem Jahr 2007 und diente vor allem dem ersten «Metro»-Videospiel als Vorlage und Inspirationsquelle.
Held und Krieger Artjom hat schon einiges durchgemacht. In den beiden Vorgänger-Spielen «Metro 2033» und «Metro: Last Light» hat er nicht nur gegen Faschisten und Kommunisten gekämpft, sondern sich auch gegen immer stärker werdende Mutanten wehren müssen und auch hie und da einen Ausflug in die Parapsychologie gemacht. Hauptschauplätze waren stets das klaustrophobische Tunnelsystem in Moskau sowie ein paar Ausflüge an die verseuchte Oberfläche der ehemaligen Russland-Metropole.
Doch die engen Räume unter Moskau werden im dritten Teil nun endlich verlassen. Denn Artjom schnappt sich mit seiner Frau Anna durch diverse Irrungen und Wirrungen einen Sonderzug, um auf der Oberfläche nach Überlebenden und einem neuen Lebensraum zu suchen. Mit dabei sind sein Schwiegervater und eine Gruppe treuer und tapferer Soldaten. Der mächtige Zug Aurora führt die Gruppe nun quer durch Russland und macht dabei in unterschiedlichen Ortschaften mit jeweils verschiedener Flora und Fauna Halt, weil die Weiterfahrt mit dem Zug durch bestimmte Umstände nicht mehr weitergeht. Mal ist die Stecke unterbrochen oder die Technik will einfach nicht so, wie sie sollte.
Die Welt jenseits von Moskau ist gar nicht schön. Raue Wetterbedingungen, viele Mutanten und ausgehungerte Menschen dominieren die dystopische Welt nach der atomaren Katastrophe. Neue Glaubensgemeinschaften und Kulte scharen verzweifelte Ausgestossene um sich, die Menschen wurden zu primitiven Tieren und der Tod ist allgegenwärtig. Da sehnt man sich fast nach dem sicheren Leben im Untergrund.
Die engen, dunklen Räume in der Moskauer Metro scheinen auf den ersten Blick passé zu sein. Wenn man zum ersten Mal in einer der offenen Spielwelten herumspazieren darf, wird einem bewusst, dass man es hier keineswegs mit einer simplen Fortsetzung, die die Erfolgsformel der Vorgänger dreist kopieren will, zu tun hat.
Das Ziel in einem bestimmten Landschaftsabschnitt ist klar definiert und auch wie man dort hinkommt, wird vermittelt. Doch zwischen Start und Ziel gibt es einige Nebenmissionen zu erfüllen, sofern man das überhaupt möchte. Hat man dann allerdings das Hauptziel erreicht und setzt seine Reise mit dem Zug fort, ist eine Rückkehr in vorherige Abschnitte nicht mehr möglich. Und wer übrigens klassische Schlauchlevels vermisst, wird ebenfalls ab und zu auf seine Kosten kommen.
Wer sein Ziel innerhalb des grossen Levels erreichen möchte, muss auf dem Weg dorthin so einiges beachten: Die Munition ist je nach Schwierigkeitsgrad gar nicht reichlich verfügbar, die Sauerstoffmasken brauchen Nachschub, können auch mal kaputt gehen und die Waffen sollten stets regelmässig gesäubert werden, um nicht plötzlich in der heftigsten Schiesserei zu streiken.
Doch da ist noch mehr: Die oft heftigen Wetterbedingungen können einem die Sicht rauben, man muss immer und überall mit einem Angriff von Bestien, Mutanten oder Banditen rechnen, brav neue Waffen und Utensilien sammeln und wer nicht öfters auf die spartanische Karte schaut, kann sich schon mal im grossen Areal verirren.
Wer jetzt denkt, «Metro: Exodus» sei ein Openworld-Spiel geworden, kann sich beruhigen. Die Areale sind einfach offener, grösser und einladender geworden. So gross, dass man sogar stellenweise mit einem Kleinbus herumfahren darf. Die Nebenmissionen müssen nicht absolviert werden. Wer aber nur das Hauptziel verfolgt, verpasst spannende, fordernde Nebenquests und die eine oder andere tiefgreifende Geschichte mit einer extra Portion Drama.
Die Taten unseres Helden haben übrigens auch Auswirkungen auf das Team und den Verlauf der Geschichte. Ob man beispielsweise eine Mission wie ein Berserker abschliesst oder doch lieber den Schleichweg einschlägt, kann schon mal Konsequenzen auf das Ab- oder Weiterleben seiner Teamkameraden haben.
«Metro: Exodus» sieht fantastisch aus. Egal ob man bei Dämmerung durch eine moorartige Landschaft schleicht, in einer düsteren Fabrik mit kleiner Lichtquelle durch die Gänge läuft oder in einer Wüstenlandschaft die sengende Hitze fast schon spüren kann, die jeweilige Atmosphäre ist eine Wucht. Die Umgebungen sind mit vielen Details und Objekten versehen, die eigene Geschichten erzählen und nur erahnen lassen, was hier alles seit dem atomaren Zwischenfall passiert ist. Die plötzlich einsetzenden Wettereffekte versprühen zusätzliche Dramatik und die Menschen, auf die man im Verlaufe des Spiels trifft, haben viele spannende Geschichten auf Lager.
Trotz offener Spielwiesen, spannender Geschichte und wunderschöner Optik, «Metro: Exodus» hat auch seine Schwachstellen: Dass Titelheld Artjom immer noch kein Wort über die Lippen bringt, macht den Charakter einmal mehr unglaubwürdig. Wenn etwa seine Frau in seinem Schoss liegt, ihr Herz ausschüttet und er einfach stumm bleibt oder auf Fragen seiner Mitstreiter nicht reagiert, wirkt das befremdlich. Dabei hat der Held eigentlich eine sehr gute, kernige Stimme, die sogar vor jedem Levelabschnitt einen Monolog zur Orientierung halten darf.
Dann wäre da noch die KI, die alles andere als intelligent reagiert. Oft kommt es vor, dass man vor den Gegnern einfach in aller Ruhe vorbeispazieren kann. Dafür sind die Monster auf dem höchsten Level der Aufmerksamkeit und scheinen jedes Schnaufen zu hören.
Auch die eigentlich solide Technik muss sich Kritik gefallen lassen: Plötzlich aufploppende Gegenstände sind keine Seltenheit und Gegner können schon mal einfach so in der Luft stecken bleiben oder sind plötzlich in Mauern gefangen. Viele Nerven brauchen zudem die langen Ladezeiten vor Spielbeginn. Das kann mehrere Minuten dauern, bis man endlich loslegen kann. Ist man virtuell gestorben, dauert es dann ebenfalls eine gefühlte Ewigkeit, bis es wieder losgehen kann.
Fazit: «Metro: Exodus» punktet vor allem mit einer eindrücklich düsteren, trostlosen Atmosphäre, wo man die Endzeitstimmung fast schon riechen kann. Die Geschichte ist solide und dramatisch gut genug, so wie man es von den Vorgängern gewohnt ist. Die ganz intensiven Minidramen spielen sich aber abseits der Hauptgeschichte, die etwa 20 Stunden Spielzeit schluckt, auf den grossen Spielwiesen ab. Wer einen abwechslungsreichen Solo-Shooter mit knackiger, herausfordernder Action und diversen Horror-Elementen sucht, bekommt hier das volle Programm serviert. So beklemmend und nervenaufreibend war ein Endzeit-Game schon lange nicht mehr.
«Metro: Exodus» ist erhältlich für Playstation 4, Xbox One und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.
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