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Diese Karte verrät, woher die russischen Soldaten kommen

Diese Karte verrät, woher die russischen Soldaten kommen – es gibt ein klares Muster

Geleakte Passdaten russischer Soldaten zeigen: Russland lässt seine ethnischen Minderheiten aus den ärmsten und abgelegensten Regionen für sich kämpfen und bluten. Das spielt Putin in die Hände.
08.04.2022, 15:5131.12.2022, 17:42
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Woher stammen die russischen Soldaten, die in der Ukraine kämpfen, teils plündern oder Kriegsverbrechen begehen – und zu Tausenden fallen?

Diese Karte zeigt es.

Herkunft russischer Soldaten, die laut Ukraine in Butscha waren

Die Karte wurde mit den vom ukrainischen Geheimdienst veröffentlichten Passdaten der mutmasslich in Butscha stationierten russischen Soldaten erstellt. Unterdessen ist sie auf Google Maps nicht mehr a ...
Die Karte wurde mit den vom ukrainischen Geheimdienst veröffentlichten Passdaten der mutmasslich in Butscha stationierten russischen Soldaten erstellt. Unterdessen ist sie auf Google Maps nicht mehr aufrufbar. Begründung: «Diese Karte ist aufgrund eines Verstosses gegen unsere Nutzungsbedingungen und/oder Richtlinien nicht mehr verfügbar.»screenshot: google maps

Die interaktive Karte wurde von einem Esten mithilfe von Google Maps und den Anfang Woche vom ukrainischen Geheimdienst veröffentlichten Passdaten russischer Soldaten erstellt, die dringend verdächtigt werden, in Butscha an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Stecknadeln zeigen, wo ein Pass ausgestellt wurde, also nicht die Wohnadresse des Soldaten. Auf der publizierten Liste figurieren 1674 Namen russischer Offiziere und Soldaten.

Die Karte zeigt ein klares Muster: Die in der Ukraine kämpfenden Soldaten stammen grossmehrheitlich aus ländlichen, teils weit abgelegen Regionen im Süden Russlands und entlang der Transsibirischen Eisenbahn bis in den Fernen Osten. Viele von ihnen kommen aus ärmlichen Landesteilen, teils Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt.

«Die schicken nur die Jungs vom Dorf und Zentralasien.»

Umgekehrt heisst dies, das kaum urbane, junge Russen aus Sankt Petersburg oder Moskau in der Ukraine ihr Leben verlieren. In den grossen Städten im Westen Russlands dürfte es daher – zumindest bislang – kaum Menschen geben, die in ihren Familien oder im Bekanntenkreis Opfer zu beklagen haben. Dies spielt Putin in die Hände, der weder Kritik noch Aufstände befürchten muss, obwohl bislang nach westlichen Schätzungen mindestens 7000 bis 15'000 Russen gefallen sind.

Laut ukrainischem Geheimdienst handelte es sich bei den russischen Einheiten im Norden von Kiew unter anderem um Soldaten der 64. motorisierten Schützenbrigade aus dem Fernen Osten, die nun in den Donbass verlegt worden sei. Diese Einheit aus Chabarowsk an der Grenze zu China soll unter anderem Butscha bis zum 31. März besetzt gehalten haben.

Soldaten aus Chabarowsk fast am Pazifik kämpfen in der Ukraine.

Putins Krieger aus der Provinz

Wenn der Kreml-Sprecher nach sechs Wochen Krieg erstmals «bedeutende Verluste» zugibt und von einer «gewaltige Tragödie» spricht, tut er dies im Wissen, dass die Bürger in Moskau wegen gefallener Soldaten ethnischer Minderheiten aus der ärmlichen Provinz nicht aufbegehren.

Immer klarer wird: Im Angriffskrieg gegen die Ukraine verlieren vor allem Angehörige nationaler Minderheiten ihr Leben, die in Teilen der Bevölkerung als Russen zweiter Klasse gelten, etwa wegen ihres asiatischen Aussehens. Einen Hinweis darauf lieferten schon früher Videos von gefangenen Soldaten, die von den ukrainischen Streitkräften ins Netz gestellt wurden. Sie zeigten laut NZZ unter anderem burjatische Soldaten, sprich mongolischsprachige Buddhisten aus dem südöstlichen Sibirien. Burjaten machen 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Viele russische Soldaten in der Ukraine stammen aus der entlegenen autonomen Republik Burjatien.
Viele russische Soldaten in der Ukraine stammen aus der entlegenen autonomen Republik Burjatien.bild: Wikimedia Commons

Die Armee ist für Arme attraktiv

Mit der Herkunftskarte erhärtet sich der Eindruck, dass Putin in der Ukraine primär die gesellschaftlich tiefsten Schichten bluten lässt. Ein Muster, das in Kriegen immer wieder zu beobachten ist.

Der arme Nordkaukasus als Reservoir für Putins Armee.
Der arme Nordkaukasus als Reservoir für Putins Armee.

Wie die Karte enthüllt, kommen viele Soldaten aus dem Nordkaukasus, bzw. aus den autonomen Republiken Südrusslands zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer. In dieses Bild passt, dass der Bürgermeister von Machatschkala, der Hauptstadt von Dagestan, «auf seinem Telegram-Kanal alle Kondolenzbesuche dokumentiert, die er bei den Eltern von Gefallenen abstattet», wie die NZZ berichte.

Der russischsprachige Dienst der BBC kommt ebenfalls zum Schluss, dass viele der Gefallenen aus der autonomen Republik Burjatien und dem muslimischen Nordkaukasus stammen. Dies erstaunt nicht: Die Armee ist vor allem für Arme attraktiv.

«Minderheiten als Kanonenfutter sind auf den Schlachtfeldern stark überrepräsentiert.»
Kamil Galejew, Journalist

Der Journalist Kamil Galejew schrieb bereits am 23. März auf Twitter: «Den Opferlisten nach zu urteilen, sind Minderheiten als Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern stark überrepräsentiert.»

Dass die Armee gezielt Minderheiten in den Krieg schickt, ist schwer zu belegen. Sicher ist hingegen, dass es Russen aus der Ober- und Mittelschicht mit einer guten Ausbildung relativ leicht haben, dem Marschbefehl zu entgehen. Insgesamt leistet in Russland nur noch gut jeder Fünfte Wehrdienst.

Die Rolle des russischen Geheimdienstes

Am Pranger in der Ukraine steht unter anderem die 64. motorisierte Schützenbrigade aus Chabarowsk, ganz im Osten Russlands. In den sozialen Netzwerken werden seit Anfang Woche Fotos junger, asiatisch-aussehender Soldaten aus Chabarowsk verbreitet. Ob diese tatsächlich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sind, ist nicht geklärt. Auch Spezialeinheiten des Geheimdienstes FSB und die Söldnertruppe «Wagner Gruppe» stehen unter Verdacht.

«‹Es gab einige gute Kerle unter den russischen Soldaten, und da waren einige sehr raue Männer vor allem vom FSB›, dem russischen Geheimdienst, sagt Olena.»
Olena, Einwohnerin von Butschazdf

Olena, eine Einwohnerin von Butscha, berichtet laut ZDF, dass zuerst vorwiegend junge russische Soldaten gekommen seien. Erst danach seien ältere, besser ausgerüstete und brutalere Soldaten aufgetaucht, die für die Kriegsverbrechen verantwortlich seien. Es handle sich um eine Spezialeinheit des Geheimdienstes FSB. Die jungen Soldaten hätten die Bürger gar gewarnt, «dass es sehr gewalttätige Spezialeinheiten sind». Einwohner berichten zudem, dass Soldaten gezielt Bürger suchten, die zuvor Videos des Krieges auf YouTube hochgeladen hätten.

Olena verbrachte den März mit ihren sieben und neun Jahre alten Kindern im Keller eines vierstöckigen Hauses. Ohne Strom. Zusammen mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern. Sie sei zu den «normalen» Soldaten gegangen, um sie zu fragen, was sie ihren Kindern zu essen geben solle, «und sie haben uns Lebensmittelrationen und Essen gebracht», schildert sie.

Soldaten besprachen Morde über Funk

Nach Spiegel-Informationen hat der deutsche Nachrichtendienst (BND) den Funkverkehr mutmasslicher Täter mitgeschnitten. Demnach haben russische Soldaten Morde an Zivilisten in der Region nördlich von Kiew per Funk besprochen. Eine eindeutige Zuweisung zu den Morden in Butscha sei aber nicht möglich. Laut BND soll die Söldnertruppe «Wagner Gruppe» an den Gräueltaten in dieser Region beteiligt gewesen sein. Die Aufnahmen des BND legen den Schluss nahe, dass es sich weder um Zufallstaten handelt noch um Aktionen einzelner aus dem Ruder gelaufener Soldaten. Die Täter unterhielten sich über die Gräueltaten wie über ihren Alltag. Die Kriegsverbrechen, so scheint es, gehören zur Strategie, um die Bevölkerung einzuschüchtern.

Unterdessen ist die Karte auf Google Maps leider nicht mehr aufrufbar:

«Diese Karte ist aufgrund eines Verstosses gegen unsere Nutzungsbedingungen und/oder Richtlinien nicht mehr verfügbar.»
«Diese Karte ist aufgrund eines Verstosses gegen unsere Nutzungsbedingungen und/oder Richtlinien nicht mehr verfügbar.»screenshot: Google maps

Die Informationen zu Butscha und anderen Städten und Dörfern in der Region sind teils widersprüchlich. In den sozialen Netzwerken gab es bereits am 27. Februar, drei Tage nach Beginn der Invasion, Gerüchte über Massaker. Was wann genau geschah, ist nun Gegenstand laufender Ermittlungen.

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130 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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insert_brain_here
08.04.2022 15:58registriert Oktober 2019
Die Armee ist nicht "attraktiv" für Arme, die können sich einfach die umgerechnet ca. 5000$ nicht leisten die es Kosten sich davor zu drücken. Und drücken will sich eigentlich jeder, die russische Armee ist bekannt für eine gnadenlose mit Hilfe von übelstem körperlichen Missbrauch durchgesetzte Hackordnung in den Mannschaftsrängen.
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Magnum
08.04.2022 16:43registriert Februar 2015
«Immer klarer wird: Im Angriffskrieg gegen die Ukraine verlieren vor allem Angehörige nationaler Minderheiten ihr Leben, die in Teilen der Bevölkerung als Russen zweiter Klasse gelten, etwa wegen ihres asiatischen Aussehens.»

Und dann gibt es hier Putin-Fanboys, die Kritik am Kriegstreiber als antirussischen Rassismus abzukanzeln versuchen. Während Putin nur Minoritäten in den Krieg gegen die Ukraine schickt.

Merke: Putin-Fans können gar nicht anders, als Projektion zu betreiben. Weil ihnen vernünftige Argumente fehlen.
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MetalUpYour
08.04.2022 15:59registriert August 2016
Praktisch... so kann man die eigenen Minderheiten gleich auch noch ausrotten...
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